Chronicle | Schnalstal

Stille gefordert

Ein neuer Steinbruch vor Karthaus sorgt im Tal für Proteste. Die Anrainer:innen wollen die Ruhe des Dorfes zurück, aber die Provinz braucht Steine für Sicherungsarbeiten.
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Foto: Privat
In Karthaus ist es mit der Stille vorbei. Seit dem Sommer wird im Schnalstal bei dem neuen Steinbruch Sellwand 600 Meter entfernt von der Ortschaft Karthaus und vor der Einfahrt ins Pfossental Gesteinsmaterial abgebaut. Der verursachte Lärm ist rundum zu hören, auch der Staub wird im Sommer mit den Aufwinden im Tal fortgetragen.
Die Mair Josef & Co. KG liefert mit dem Steinbruch Zyklopen und Wasserbausteine, die für die Wildbachverbauung und die Errichtung von Schutzbauten verwendet werden sollen. Unter anderem sind 15.500 Tonnen Zyklopensteine für Arbeiten der Landesagentur für Bevölkerungsschutz in Vernagt im Schnalstal vorgesehen. Laut dem Anfang Oktober von der Landesregierung gefassten Beschluss sei der Abbau daher von öffentlichem Interesse.
Das änderte auch nicht die im Juni fristgerecht eingereichte Beschwerde des Alpenvereins (Ortsstelle Schnals) nach der Genehmigung vonseiten des Landes. Sowohl die HGV Ortsgruppe, der Tourismusverein Schnals, der Kulturverein Schnals und die drei SVP-Ortsausschüsse der Gemeindefraktionen Karthaus, Unser Frau und Katharinaberg tragen die Beschwerden mit.
 
 
Ihr Interesse liegt neben dem Erhalt des Schutzwaldes auch in der Gewährleistung der Lebensqualität und Stille in Karthaus. Das Dorf geht auf ein Kloster des Kartäuserordens zurück, die Mönche dort lebten in Einsamkeit und Stille, sogar das Sprechen war ihnen verboten.
Noch heute schätzen die Einwohner:innen die Ruhe im Tal. 2014 wurde auf Initiative des Kulturvereins Schnals mit Geldern des Landes, der Gemeinde, der Stiftung Südtiroler Sparkasse und den damaligen Etschwerken (AEW) das Projekt Silentium umgesetzt. Es beinhaltet sechs fast lebensgroße Mönchsfiguren an der Hauptstraße bei der Abzweigung nach Karthaus und einen aus mehreren Richtungen nach Karthaus führenden Wanderweg, gesäumt mit philosophischen Zitaten. Auch der Tourismussektor greift die Vergangenheit des Ortes auf und bewirbt die ehemalige Klosteranlage „Allerengelsberg-Karthaus“ als das Dorf der Stille. Jetzt sollen dort für mindestens zehn Jahre die Geräusche des Steinbruchs zu hören sein.
„Es ist konträr zu dem, was wir gemacht haben“, sagt Benjamin Santer, Obmann vom Kulturverein Schnals. „Das Dorf Karthaus baut auch in der heutigen Zeit auf Stille“, so Santer. Der Wunsch wäre, dass die Arbeiten am Steinbruch eingestellt werden, und er fordert zumindest eine Lärmreduzierung.
Die Kosten für das Projekt Silentium beliefen sich insgesamt auf rund 91.470 Euro. Die Abbaugebühr für den Steinbruch ist mit 50 Cent pro Kubikmeter rund 70.000 Euro hoch, die Summe soll an die Gemeinde Schnals gehen und für Instandhaltungsarbeiten verwendet werden.
 

Vorschriften erfüllt

 
Paul Gänsbacher, Direktor vom Amt für Umweltprüfungen, weiß von den Protesten nach der Eröffnung von Steinbrüchen in Südtirol. „Es ist verständlich, dass sich die Anrainer:innen wehren. Aber bei der Genehmigung des Steinbruchs Sellwand geht es um gesetzliche Vorschriften, die alle eingehalten werden“, so der Amtsdirektor. Nicht selten stelle sich bei Steinbrüchen später heraus, dass der Lärm erträglicher sei als zuvor angenommen.
Außerdem brauche es das abgebaute Material: „Jeder will bauen und braucht Steinmaterial, aber keiner will einen Steinbruch vor seinem Haus“, sagt Gänsbacher. Der Schnalser Gemeindereferent Peter Grüner stimmt dem zu, auch wenn er den Unmut der Anrainer:innen versteht. Er selbst hat sich am Karthauser Dorfrand talauswärts ein Bild der Lage gemacht und gesteht: „Dort war es wirklich laut.“
Als die Gemeinde Schnals Ende vergangenen Jahres vom Land die Aufforderung erhielt, ein Gutachten zum geplanten Steinbruch vor Karthaus zu erstellen, fiel dieses positiv aus. „Zu diesem Zeitpunkt sahen wir keinen Grund dafür, ein negatives Gutachten für das Projekt auszustellen. Wir verließen uns auf die Gutachten der Landesämter und ich gehe auch davon aus, dass die dafür notwendigen Lärmmessungen seriös durchgeführt wurden“, so Grüner. Im Nachhinein würde er heute möglicherweise ein negatives Gutachten ausstellen, auch wenn dieses nicht bindend wäre. Einen Rekurs findet er hingegen wenig sinnvoll, da der Bauherr legal vorgehe.
Auch Georg Pichler, Direktor vom Amt für Luft und Lärm, bestätigt, dass die Grenzwerte für Lärm bei den Messungen eingehalten wurden und kündigte nun für die nächsten Tage einen Lokalaugenschein seines Amtes an, um gemeinsam mit der Gemeinde und dem Betreiber eine Lösung zu finden und eine neue Lärmmessung durchzuführen.
 

Die Eckdaten

 
Das Unternehmen Mair Josef & Co. baut auf einer Fläche von rund einem Hektar in einem Zeitraum von zehn Jahren geschätzt 165.000 Kubikmeter Gesteinsmaterial ab. Davon sind rund 46.000 Kubikmeter Blockschutt sowie Geröll und 120.000 Kubikmeter Fels. Die maximale Aushubtiefe sollen 37 Meter sein – der Antholzer See, einer der tiefen Bergseen in Südtirol ist zum Vergleich nur ein Meter tiefer. Während der Bauphase komme es laut der Umweltvorstudie (Screening) durch den Einsatz entsprechender Baumaschinen zu einer „temporären Mehrbelastung durch Lärm- und Schadstoffemission sowie durch Staubdispersion“. Die Studie wurde vom Betreiber des Steinbruchs in Auftrag gegeben.
Diese gesteht zwar ein, dass sich die Anwesenheit der Grube negativ auf das örtliche Landschaftsbild und die Qualität des Bereichs sowohl für die Nutzung als Erholungsgebiet als auch für die Tierwelt auswirke. Dennoch könne das Projekt aus ökologischer und landschaftlicher Perspektive gutgeheißen werden, sofern die angeführten Milderungs- und Ausgleichsmaßnahmen konsequent umgesetzt werden.
 
 

Stimmen aus dem Dorf

 
Für Klimaforscher Georg Kaser, der in Innsbruck, Wien und v.a. mit seiner Schnalser Frau in Karthaus lebt, ist die Umweltvorstudie auf einem sehr niedrigen Niveau verfasst worden. Er spricht davon, dass es unfassbar sei, dass dieses zum Teil in sich widersprüchliche und in Teilen unrichtige Schriftstück Grundlage einer Entscheidung sein konnte und stellt sich hinter die Dorfbewohner:innen. Dabei steht eine massive Beeinträchtigung der Lebensqualität in Karthaus im Vordergrund, auch wenn die hohen CO2-Emissionen der eingesetzten Maschinen zudem in hohem Maß klimaschädlich sind.
Kaser kritisiert auch, dass die 45-tägige Frist für die Einreichung von Beschwerden nach der Genehmigung des Projekts nicht eingehalten wurde: Der neue Steinbruch wurde am 11. Mai 2022 von der Dienststellenkonferenz genehmigt, die Arbeiten am Steinbruch begannen aber schon in den ersten Junitagen, offiziell am 9. Juni, also ohne den Ablauf der Frist abzuwarten. „Werden da nicht die grundlegendsten Rechte von Bürger:innen missachtet“, fragt er.
Martin Rainer vom Tumlhof, der nur 400 Meter weg vom Steinbruch ist, fühlt sich als Nachbar übergangen. Er sei weder von dem Grundeigentümer vom Ausserbrugghof noch von der Firma oder der Gemeinde frühzeitig über das Projekt informiert worden. „Man ist bei Straßenbau- oder Sicherungsarbeiten viel gewöhnt, die oft über zwei bis drei Jahre gehen“, sagt Rainer. Zehn Jahre seien aber zu viel. Der Tumlhof bietet auch Ferienwohnungen an, zurzeit sei der Lärm im Haus „aushaltbar“. 20 Meter von dem Haus entfernt sei er in vollem Ausmaß zu hören. Würde der Hof seine Hausgäste verlieren, habe die Familie von Rainer ein Problem.
 

 
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Richard Oberhofer Fri, 10/21/2022 - 18:57

Làrmmessung wurde in Karthaus nie gemacht. Wurde unterhalb am Hof mit einen kleinen Bagger .Umweltstudie macht der Betreiber nicht ein unabhängiges Unternehmen oder Land.Steinbruch von òffentlichen Interesse? Wurde eine Ausschreibung gemacht oder steht schon fest wer liefern darf?

Fri, 10/21/2022 - 18:57 Permalink