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Von Menschen und Maschinen

Ein Gespräch mit der Philosophin Cornelia Stefan über die Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz und ihre Auswirkungen auf die menschliche Gesellschaft.
Künstliche Intelligenz
Foto: Kohji Asakawa, Pixabay
  • SALTO: Frau Stefan,Wie sehen Sie die Rolle der Künstlichen Intelligenz in der heutigen Gesellschaft, insbesondere im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Bildung, Arbeit und soziale Beziehungen?

    Cornelia Stefan: Die Möglichkeiten im Bereich der Bildung sind vielfältig. Statt eines standardisierten Frontalunterrichts kann mithilfe von KI-Assistenten der Unterricht individueller auf die Bedürfnisse der einzelnen Schüler eingehen und die Lernprogramme je nach Bedarf adaptieren. Eine KI erkennt sofort die Defizite eines Schülers und kann entsprechend Übungen vorschlagen.

    Problematisch wird es, wenn junge Menschen den Wert von KI verkennen und es nicht mehr als Werkzeug sehen, sondern es zu einer Art Ersatz fürs eigene Denken wird. Wir sehen im Bildungssystem einen fundamentalen Bruch mit einer jahrhundertealten akademischen Tradition. Wo ein Studierender früher wochenlang in der Bibliothek recherchieren, exzerpieren und um Formulierungen ringen musste, kann er nun mittels KI in einem Bruchteil der Zeit fertig sein.

     

    Bildung ist durch die KI-Revolution nicht weniger wichtig, sondern aus meiner Sicht noch zentraler für unsere Gesellschaften.

     

    Schreiben ist auch ein Denkwerkzeug, bei dem ich komplexe Gedanken ausformuliere, strukturiere und im Schreibprozess gleichzeitig mein eigenes Verständnis einer Sache erweitere und vertiefe. Dieser kognitive Prozess fehlt, wenn ich der KI mit Prompts den Auftrag erteile meine Arbeiten zu schreiben.

    Bildung ist durch die KI-Revolution nicht weniger wichtig, sondern aus meiner Sicht noch zentraler für unsere Gesellschaften geworden, nur vermutlich auf eine andere Art. Wir brauchen Menschen, die verstehen, wie Algorithmen unsere Gesellschaft formen, kritische Fragen stellen und ihre Auswirkungen auf unsere Gesellschaft mitreflektieren.

  • Der Hintergrund

    Gestern (Montag, 20. Oktober) fand auf Schloss Runkelstein die fünfte Ausgabe des „Pop-up-Podiums“ statt, bei der die Philosophin Cornelia Stefan über Künstliche Intelligenz und Ethik sprach. Im Rahmen dieser interdisziplinären Dialogreihe diskutierte sie gemeinsam mit dem Schriftsteller, Musiker und Performancekünstler Matthias Vieider das zentrale Thema „KI und Mensch: Wem gehört die Zukunft?“. Die Diskussion war eingebettet in die aktuelle Theatersaison der Vereinigten Bühnen Bozen, die sich mit Fragen nach Realität und Wirklichkeit auseinandersetzt - ein Leitmotiv, das auch in den Stücken „König Lear" und „Alice im Wunderland" präsent ist. Hätte König Lear heute sein Gehirn in die Cloud geladen, um ewig zu leben? Und ist die Open-AI tatsächlich ein neues Wunderland? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Diskussion. 

  • Bei der Diskussion ging es um die Rolle der Künstlichen Intelligenz in der heutigen Gesellschaft. Foto: © Vereinigte Bühnen Bozen
  •  Welche kulturellen und philosophischen Implikationen hat die Entwicklung und Implementierung von KI-Systemen?

    Ich denke, zu den Bereichen, die am massivsten von Veränderung betroffen sind und weiterhin sein werden, ist der Arbeitsmarkt. Hier erleben wir einen Paradigmenwechsel. Nicht nur die einfachen Aufgaben können von Technik übernommen werden, sondern hochkomplexe, datenintensive Aufgaben. 

     

    Die Prognosen für die nächsten Jahre gehen von 30 Prozent Jobverlusten aus.

     

    Viele Jobs fallen jetzt schon weg; werden zunehmend durch KI-Agenten ersetzt oder KI wird zum unverzichtbaren täglichen Assistenten. Die Prognosen für die nächsten Jahre gehen von 30 Prozent Jobverlusten aus. Das ist eine unglaubliche Zahl, die an die Great Depression erinnert. Aber selbst, wenn die Zahl zu hoch gegriffen ist, wird das viele Existenzen bedrohen, denn nicht jeder steht am Anfang seiner Karriere oder hat Fähigkeiten, die besonders gefragt sind. Wir brauchen deshalb neue Konzepte für Umschulungsprogramme, die staatlich finanziert werden. Denn wenn KI die Produktivität steigert, muss die Gesellschaft in die Menschen investieren, deren Jobs sich verändern. Sonst entsteht eine gefährliche Kluft zwischen denen, die KI nutzen können, und denen, die von ihr verdrängt werden.

    KI wird zunehmend in Bereiche vordringen, die den Kern menschlicher Existenz betreffen. Sollte eine KI als Therapeut fungieren? Als Freund für einsame Menschen? Als Richter? Als Künstler?

    Hier geht es nicht nur um Effizienz oder Fairness, sondern um die Frage nach dem guten Leben. Gibt es Bereiche, die wir um ihrer selbst willen „menschlich“ halten sollten, selbst wenn KI es besser könnte? Ich denke da zum Beispiel an Sport und Kunst. Es geht dabei um Themen wie Teamgeist, Schönheit, Sinnlichkeit und vieles mehr.

     

    Eine schöne Vision wäre, wenn wir KI als Werkzeug zur menschlichen Entfaltung nutzen.

     

    Ein Arzt, der sich Zeit nimmt, ein Lehrer, der inspiriert, erfüllen eine nicht nur funktionale Rolle. Es sind zwischenmenschliche Beziehungen, die fundamental wichtig sind für uns als soziale Wesen. Das kann keine KI ersetzen. Eine schöne Vision wäre, wenn wir KI als Werkzeug zur menschlichen Entfaltung nutzen, die uns von monotoner Arbeit befreit und uns mehr Zeit für andere Aktivitäten ermöglicht. Stellen Sie sich vor: Eine Vier-Tage-Woche wird Standard, weil KI-Produktivität das möglich macht. Die öffentliche KI-Infrastruktur sollte deshalb möglichst transparent und demokratisch kontrolliert sein. Nur so kann man sicherstellen, dass sie eher dem Gemeinwohl verpflichtet, ist als irgendwelchen Profitinteressen.

  • Zur Person

    Cornelia Stefan ist eine österreichische Philosophin, die sich intensiv mit den ethischen Aspekten der Künstlichen Intelligenz auseinandersetzt. Sie ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Philosophie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

  • Demokratie lebt von informierten, mündigen Bürgern, die komplexe Zusammenhänge verstehen. Foto: © Vereinigte Bühnen Bozen

    Sie haben sich mit der Frage beschäftigt, wie die Befähigung zur demokratischen Teilhabe als kulturelle und bildungspolitische Aufgabe neugestaltet werden könnte. Wie kann KI dabei helfen oder hinderlich sein?

    Das ist vielleicht die drängendste Frage unserer Zeit. Demokratie lebt von informierten, mündigen Bürgern, die komplexe Zusammenhänge verstehen, unterschiedliche Perspektiven abwägen und sich eine eigene Meinung bilden können .Positiv ist sicher, dass mit KI komplexe Inhalte zugänglicher werden, trotz der Vorbehalte von Ungenauigkeit und Halluzinationen. Problematisch wird es, wenn wir uns ansehen, wie und wo Meinungsbildung sich aktuell vollzieht.

     

    Die beunruhigendste Dimension des Ganzen betrifft aber die historisch beispiellose Konzentration von Macht in den Händen weniger Unternehmen.

     

    KI wird bekanntlich auf allen Social-Media-Kanälen eingesetzt, um die Interaktion mit den Plattformen zu erhöhen. Wenn diese Algorithmen über politische Realitäten entscheiden oder diese Algorithmen bestimmte Inhalte favorisieren, dann ist das demokratiepolitisch gefährlich. Die beunruhigendste Dimension des Ganzen betrifft aber die historisch beispiellose Konzentration von Macht in den Händen weniger Unternehmen, wie Google, Meta, OpenAI. Diese Unternehmen kontrollieren nicht nur Technologie, sie kontrollieren eine Infrastruktur, auf der der demokratische Diskurs stattfindet, deren Regeln sich nach Profitinteressen richten, nicht nach demokratischen Prinzipien.