Stille Hilfe
Der Konferenzsaal in der EURAC war gerammelt voll. Manche, die am Montag Morgen zur Pressekonferenz von Landesrätin Martha Stocker und ihrem Amtsdirektor Luca Critelli gekommen waren, mussten diese im Stehen verfolgen. Gespannt waren viele Augen- und Ohrenpaare auf die beiden gerichtet. Doch wer sich klare Auskünfte und konkrete Informationen darüber erwartete, wie man beim Land gedenkt, Bilder wie jene, die in den vergangenen Tagen aufgetaucht sind, zu beseitigen, wurde enttäuscht. Dabei hätte sich der Pressetermin, der zum Thema “Flüchtlingshilfe in Südtirol” stattfand, geradezu angeboten, die vielen Bürgerinnen und Bürger, die seit Auftauchen der Fotos und der Geschichten dahinter ihrem Unverständnis und ihrer Wut Luft machen, zu beschwichtigen. Auch weil Landeshauptmann Arno Kompatscher erst am Samstag im Rahmen einer kleinen Weihnachtsfeier mit den Freiwilligen von Binario 1 angekündigt hatte, dass rasch Lösungen her sollten.
Was von einem Jahr bleibt
Das Treffen mit den Medien, dem auch zahlreiche Freiwillige beiwohnten, sollte dazu dienen, am Ende des Jahres Bilanz zu ziehen: “Über die Flüchtlingssituation, die unterschiedlichen Situationen und Dynamiken in Südtirol und die Auswirkungen des italienischen Asylsystems auf unser Land.” So Soziallandesrätin Martha Stocker einleitend. Aktuell sind an die 900 Personen in 14 Aufnahmestrukturen im ganzen Land untergebracht. “Mit 980 könnten es etwas mehr sein”, meinte Stocker, “aber im Wesentlichen erfüllen wir derzeit die Quote von 0,9 Prozent”. Sie konnte auch mit Zahlen zu den Flüchtlingen, die sich auf ihrer Weiterreise – meist nach Norden – in Südtirol aufhalten, aufwarten: So wurden am Bahnhof Bozen seit Mai 2015 16.100 Personen gezählt (durchschnittlich 70 Personen am Tag), am Bahnhof Brenner waren es seit Dezember 2014 25.900 Personen (75 im Tagesdurchschnitt).
So viel Platz hat Südtirol aktuell für Flüchtlinge. Grafik: Informationsbroschüre “Asyl und Flüchtlinge in Südtirol”
Zahlen zuhauf gibt es auch in der neuen Informationsbroschüre zu “Asyl und Flüchtlinge in Südtirol”. Diese wurde in Zusammenarbeit zwischen EURAC und Provinz Bozen erarbeitet und im Rahmen der Pressekonferenz präsentiert. Auf sieben Seiten soll in leicht verständlicher Sprache Auskunft über die rechtlichen Grundlagen, Zahlen und Fakten, auch gegen gängige Vorurteile, gegeben werden. Am Ende der Pressekonferenz erklärte Landesrätin Stocker dann, worauf sie die Schwerpunkte 2016 in Sachen Flüchtlingshilfe legen wird. Im Großen und Ganzen soll der im heurigen Jahr eingeschlagene Weg weiter beschritten, insbesondere aber Maßnahmen in den Bereichen “Wohnen” und “Arbeit” umgesetzt werden. “Aber es gibt auch die Bereitschaft unsererseits, Ad-Hoc-Lösungen zu finden”, fügte Stocker hinzu: “Allerdings ist es wichtig, dabei nicht jedes Mal in Alarmismus zu verfallen.” Ob sie damit auch auf die aktuelle Situation rund um den Bozner Bahnhof anspielte, verriet sie nicht. Keiner der institutionellen Vertreter erwähnte die Aufregungen der vergangenen Tage.
“Nicht zuständig”
Es bedurfte einer Journalisten-Frage, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass es in der Landeshauptstadt Menschen auf der Flucht gibt, die anscheinend durch alle Raster fallen und in alten Zugwaggons oder unter Brücken hausen. Ohne Wasser, Heizung oder sanitäre Einrichtungen, im besten Fall mit einer warmen Mahlzeit am Tag. “Das ist nichts Neues, die Situation gibt es seit Jahren”, gestand Martha Stocker ein. In den konkreten Fällen, die nun aufgekommen seien handle es sich aber nicht nur um Flüchtlinge, sondern um Personen aus unterschiedlichsten Realitäten. Obdachlose, Bettler und eben Menschen auf der Flucht. “Darunter auch einige aus dem SPRAR-System, die nicht verpflichtend in das territoriale Aufnahmesystem aufgenommen, sondern eigentlich in andere Regionen zurück überwiesen werden müssten”, erklärte Luca Critelli. Dafür sei allerdings nicht die Provinz zuständig, sondern das Regierungskommissariat. Ebensowenig fielen auch die Obdachlosen nicht in die Zuständigkeiten des Landes Südtirol, sondern seien “Aufgabe der Stadt”, fügte die Landesrätin hinzu. Gemeinsam mit der Stadt Bozen und den staatlichen Institutionen arbeite man “seit Wochen” daran, eine Lösung zu finden. Konkrete Maßnahmen gibt es allerdings noch keine. “Wir haben nicht die Spontaneität, die Privatpersonen haben, machen aber unser Möglichstes”, versuchte Stocker einen Erklärungsversuch.
Klar sei allerdings, dass “wir eine Lösung für diese ziemlich komplexe Situation finden müssen”. Dies sei aber nicht sehr einfach. Ähnliche Worte auch von Amtsdirektor Critelli, der dann allerdings etwas genauer wurde: “Wir werden zusätzliche Plätze in den Kältenotzentren und niederschwelligere, flexiblere Einrichtungen schaffen.”
Weihnachtsfeier mit den freiwilligen Helfern am vergangenen Samstag, 19. Dezember. Foto: LPA
Herbergsuche im 21. Jahrhundert
Den Unmut unter den freiwilligen Helfern zu beseitigen, schafften jedoch weder Stocker noch Critelli. “Wir sind absolut nicht zufrieden mit den Äußerungen, die während der Pressekonferenz gemacht wurden”, hieß es im Anschluss vonseiten Binario 1. “Nach den Aussagen von Landeshauptmann Kompatscher am Samstag haben wir uns erwartet, dass Antworten auf den Tisch gelegt werden. Denn die Situation ist tragisch: Die Menschen dort in den Baracken haben kein Wasser. Dazu kommt die Kälte dieser Tage. Und es geht einfach nichts weiter”, klagen sie. Mehr als die Presse haben die Freiwilligen auf Nachfrage bei Luca Critelli nicht in Erfahrung bringen können: “Es heißt, Lösungen seien in Sicht. Aber wir bekommen keinerlei Auskunft, was oder wie schnell etwas gemacht wird.” Enttäuscht ist man auch von den “vielen schrecklichen Kommentaren” gegen die Flüchtlinge, die es nach wie vor im Internet gebe.
Die Freiwilligen und mit ihnen die Menschen, die unter unwürdigsten Bedingungen leben müssen, werden wohl auch weiterhin auf ihre Eigeninitiative und jene von zahlreichen Privatpersonen, die bei Binario 1 immer noch vorstellig werden, zählen müssen. “Es haben sich viele gemeldet, die sagen, es muss etwas getan werden.” Sachspenden wie Decken, Schlafsäcke, winterfeste Schuhe, Schals und Handschuhe werden immer gebraucht. Auch der Vinzenzverein hat eine spontane Hilfsaktion gestartet, bei der mit Spendengeldern 300 Paar Handschuhe gekauft wurden. Aber was die Betroffenen in erster Linie brauchen, wäre ein Dach über dem Kopf. “Wir hoffen, dass sie zumindest jetzt, an Weihnachten eines bekommen”, meinen die Freiwilligen. Doch bis es so weit ist, geht die Herbergsuche 2000 Jahre nach jener, der Jahr für Jahr am christlichen Weihnachtsfest gedacht wird, weiter. Und das in jener Stadt, die soeben zur “lebenswertesten Stadt Italiens” gekürt wurde.
Heute Morgen habe ich zu
Heute Morgen habe ich zu einem anderen Artikel einen Kommentar gepostet, in dem ich Verständnis für das Verhalten der Behörden zeigte. Interessanter Weise sind meine Argumente ziemlich deckungsgleich mit denen von Stocker: "Grundsätzlich habe ich Verständnis für die Haltung der Institutionen und der Landesregierung. Andererseits gebietet die christliche und humanitäre Hilfspflicht, zu handeln. Dabei erinnere ich mich an eine Studienfahrt nach Holland. Wir waren überrascht, dass wir in einer Kirche eine Kaffee-Ecke mit Tischen und Toiletten vorfanden. Man berichtete uns, dass dies von einer Tradition herrühre, als man arme und obdachlose Menschen im Winter in der Kirche einen Schlafplatz bot. So etwas müsste doch heute auch bei uns noch möglich sein!? Die meisten Kirchen sind auch noch geheizt! Außer den Kirchen, haben die Pfarreien meistens auch noch leerstehende Pfarrsäle. Auch besitzende Privatpersonen könnten Strukturen zur Verfügung stellen!
Menschen in Baracken, unter den Brücken, auf Parkbänken, vor Geschäften, unter überdachten Winkeln, auf Pappkarton, mit Zeitungen und Decken zugedeckt, ist nicht gerade etwas ganz Neues. Ich kenne das in Bozen, seit ich hier lebe, also seit Ende der Siebziger Jahre. Ich musste sogar erfahren, dass auch ein enger Verwandter, den ich aber nicht kannte, unter solchen Umständen hauste."
Es scheint, dass die Migranten inzwischen eine starke Lobby gefunden haben. Diese macht mir oft zuviel Dampf und Hysterie! Plötzlich werden Obdachlose zu einem dankbaren Thema für die Medien. Die traditionellen Armen und Obdachlosen wurden Jahre lang übersehen (man schaut einfach weg), sie gehören zum Stadtbild, außer sie haben...........??
In reply to Heute Morgen habe ich zu by Sepp.Bacher
Lieber Herr Bacher, ich habe
Lieber Herr Bacher, ich habe heute morgen eine Lokalaugenschein gemacht. Ich habe zwischen 60-70 Leute gezählt. Alles Afganen oder Pakistaner die auf Asyl in Bozen angefragt haben. Mir wurde gesagt, dass in anderen ähnlichen Hausungen, nur eben anderswo und nicht weit weg, die "Afrikaner" leben. Ich habe keinen Obdachlosen Autochtonen gesehen. Sie wollen anscheinend das glauben, was Ihnen der Politiker vom Dienst erzählt, um ihr warmes Weihnachten nicht zu stören. In diesem Fall ist es halt die Stocker, dessen Geschichtchen Sie glauben wollen.
In reply to Lieber Herr Bacher, ich habe by Maximilian Ben…
Sie haben meinen Kommentar
Sie haben meinen Kommentar wohl nicht aufmerksam gelesen; oder wollen Sie mir etwas unterstellen?
In reply to Sie haben meinen Kommentar by Sepp.Bacher
Wahrscheinlich habe ich Ihre
Wahrscheinlich habe ich Ihre subtile Ironie nicht verstanden. Sorry
In reply to Lieber Herr Bacher, ich habe by Maximilian Ben…
Lieber Max Benedikter, ich
Lieber Max Benedikter, ich glaube Ihnen, was sie schreiben. Ich schätze Ihre Arbeit und die Ihrer Mitstreiter, bin aber nicht Ihrer Meinung wenn Sie fordern, dass die Öffentliche Hand für jeden unvorhergesehen Notfall verantwortlich zu machen ist.
Ich weiß nicht, was Sie mit "Obdachlosen Autochtonen" meinen? Darum geht es mir auch nicht! Letzte Woche ging ich um 9 Uhr Abends von der Talferbrücke Richtung Tessmann. Da lag jemand vor dem Reisebüro Rauch so wie ich es oben beschrieben habe. Die Geschichten der Obdachlosen unter den Brücken Bozens sind doch allgemein bekannt. Letztes Jahr wurde eine noch nicht so alte Frau tot unter der Talferbrücke aufgefunden. Man wusste, dass sie dort schon fast seit Jahres "wohnte" - und ging vorbei. Die Aufregung gab es erst als man sie tot fand.
Letzten Sommer begegnete ich einen alten Bekannten, einen Tunesier dunkler Hautfarbe, der schon über 10 Jahre in Bozen lebt. Er erzählte mir, dass er arbeits- und wohnungslos sei und unter der Brücke schlafe. (Unter der neuen twenty-Fußgängerbrücke, denn unter den anderen Brücken seien die Plätze schon alle besetzt). Ich gab ihm einen provisorischen Schlafplatz. Als er aber auch mit meiner Unterstützung in keiner Struktur, auch nicht im Kolpinghaus, oder in der Jugendherberge unterkam, wandte ich mich an Volontarius. Ein Teil des Hotel Alpi, sollte auch für bedürftige Nicht-Flüchtlinge zur Verfügung stehen. Ich erhielt keine Antwort. Ich wandte mich an die Landesrätin und erhielt Antwort: er solle sich im Sozialsprengel melden. Er kam auf eine Warteliste und sollte verständigt werden. Er hat öfters nachgefragt, bis er die Hoffnung aufgab. Ich musste ihn nach zwei Monaten verschicken, weil ich weg fuhr. Zum Glück kam er kurzfristig bei einem bekannten Inder unter und fand dann eine Saisonstelle mit Unterkunft. Das habe ich ihnen erzählt, damit Sie nicht vielleicht in mir einen verkappten Rechten oder SVP-Gläubigen vermuten - was bei euch Übermotivierten und -idealisierten zu schnell passiert.
die Broschüre ist sehr gut
die Broschüre ist sehr gut gelungen: sachlich, informativ und setzt die Situation in Südtirol in Relation zu den Nachbarregionen und der globalen Fluchtsituation. Wo es hapert ist bei den Taten. Noch immer fliesst jede Menge Geld in die Versorgung mit Essen, Kleidung und Hygieneartikel, obwohl die meisten Flüchtlinge sich autonom versorgen könnten und es genug leerstehende Häuser bzw. Wohnungen (auch in öffentlicher Hand) gäbe. Außerdem ist die Ausstattung für die Helfer in manchen Einrichtungen äußerst rudimentär und so fehlt die Zeit die Flüchtlinge auf Wohnen und Arbeiten nach ihrer Entlassung vorzubereiten. Ganz zu schweigen von der Bereitschaft der verschiedenen öffentlichen und privaten Einrichtungen sich an einen Tisch zu setzen, um Arbeit(Erprobung)Möglichkeiten auszutauschen und zu koordinieren.