lawinen.report
Irgendwo in Tirol, irgendwann im Winter. Es hat schon ewig lang nicht mehr geschneit. Die letzten Tage waren eher föhnig, dann wechselhaft. Aber heute lacht überall die Sonne und es ist klar: Wir wollen eine Skitour gehen. Einzig die Schneequalität lässt zu wünschen übrig. Zwar ist alles vorhanden – vom Bruchharsch über dicke Triebschneeansammlungen und Zastrugi hin bis zu blank gefegten, pickelharten Eisflächen – aber halt nicht das, was das Herz des Freeriders oder Skitourengehers begehrt. Also bleibt nichts Anderes übrig: Tablet raus, ab ins Internet und checken, wo sich der gute Schnee versteckt. Nach ein paar Klicks wird klar, man findet ihn im Trentino, wohl am besten in der Gegend um den Passo Tonale. Gut, dann noch die Lawinengefahr checken. Wo war das nochmal genau? Ahja,www.avalanches.org … dann auf das Trentino klicken: Oha, alles auf Italienisch!
Das Beispiel zeigt, was wohl kein Geheimnis mehr ist: Passionierte Skitourengeher aus Tirol, Südtirol und Trentino entdecken immer mehr Touren innerhalb des gesamten Gebietes der sogenannten Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino (Euregio). Doch zu jeder guten Skitour gehört natürlich auch eine gute Tourenplanung inklusive der Lawinengefahreneinschätzung durch die regionalen Lawinenwarndienste. Und genau da stießen viele an ihre Grenzen. Denn lawinenrelevante Informationen konnten in der Europaregion nur über unterschiedliche Lawinenlageberichte bzw. Lawinenvorhersagen und verschiedenste Informationsquellen bezogen werden, bei denen dem Wintersportler auch sprachliche Herausforderungen gestellt wurden.
Die Vision eines gemeinsamen, mehrsprachigen und grenzüberschreitenden täglichen Service war der Ausgangspunkt für die Überarbeitung der Berichte aus Tirol, Südtirol und Trentino. Denn genauso wie Wetter und guter Powder kennt auch die Lawinengefahr keine politischen oder administrativen Grenzen. Das Hauptziel war eine gemeinsame, tägliche und mehrsprachige Lawinenvorhersage für die gesamte Europaregion.
Zusammenarbeit der Lawinenwarner für lawinen.report
Am Anfang einer gemeinsamen Lawinenvorhersage stehen die Personen und Prozesse, die zu dieser Information führen: Die Lawinenwarner und deren Einschätzung. Dabei mussten zwei Nationen, drei Länder bzw. Provinzen, drei Warnteams mit zehn Lawinenwarnern und mehrere Sprachen unter einen Hut gebracht werden.
Grundlage für eine verbesserte und effektive Zusammenarbeit der drei Lawinenwarnteams bildet eine gemeinsame Softwareapplikation, die es den Lawinenwarnern erlaubt, gemeinsam und interaktiv ihre Beurteilungen zu verfassen und sich gegenseitig zu beraten. Dieses Expertentool gibt einen auf Standards der Europäischen Warndienste EAWS basierenden Workflow vor. Ähnlich wie in der Schweiz ist es nun möglich, in einem ersten Schritt kleine Regionen je nach Lawinensituation auch über die Landesgrenze hinaus zusammenzufassen und zu beurteilen.
Dabei können sich benachbarte Lawinenwarner gegenseitig Vorschläge für angrenzende Regionen machen. Sieht z. B. der Lawinenwarner aus dem Trentino, dass die Situation nördlich des Mendelpasses ähnlich wie südlich davon ist, kann er den Kollegen aus Südtirol vorschlagen, seine komplette Einschätzung zu übernehmen. Diese können den Vorschlag akzeptieren und übernehmen oder verwerfen und die Einschätzung selbst vornehmen.
Da die Lawinenwarner in der Europaregion in zwei Sprachen (Deutsch/Italienisch) arbeiten, muss die Lawinenvorhersage unmittelbar in beiden Sprachen verfasst werden. Zeit für präzise Übersetzungen bleibt da nicht. Deshalb wird die Beschreibung der Lawinengefahr, der Schneedecke und der Tendenz in Zukunft nicht mehr „geschrieben“, sondern wie in der Schweiz aus einem Katalog vordefinierter Sätze „zusammengeklickt". Die Lawinenwarner haben somit ein durchdachtes und gut funktionierendes Werkzeug in der Hand, um die Lawinengefahr einzuschätzen, ihre Meinungen auszutauschen und den Inhalt der Gefahreneinschätzung zu kommunizieren.
Der inhaltliche Aufbau von lawinen.report
Es mag für viele Wiederholung sein, aber für den Aufbau eines Lawinenlageberichts oder einer Lawinenvorhersage ist es enorm wichtig: das Konzept der Informationspyramide. Wer sich wenig Zeit nimmt, soll zumindest das Wichtigste sehen. Dieser europaweit von allen Lawinenwarnungen verfolgte Grundsatz – eben die Informationspyramide– wird in der neuen Lawinenvorhersage der Europaregion zum ersten Mal konsequent und konsistent durchgezogen.
Denn bisher gab es für Teile der Informationspyramide immer wieder zeitliche oder räumliche Skalensprünge.
In der Schweiz wird z. B. die Lawinengefahr und deren Beschreibung für Regionen herausgegeben, die je nach Wetter- und Schneedeckensituation dynamisch gruppierbar sind. Die Beschreibung der Schneedecke (eine Stufe tiefer in der Pyramide) wird wiederum nur für den gesamten Schweizer Alpenraum verfasst.
Ein anderes Beispiel: In Tirol wurden bisher zwei Lawinenprobleme herausgegeben. Für welche der bisher zwölf Subregionen Tirols diese zwei Lawinenprobleme aber dann wirklich gegolten haben, war für den Leser nur mit Hilfe des Textes oder gar nicht zu erkennen. Auch die Beschreibung der Lawinengefahr und der Schneedecke war immer für das ganze Bundesland ausgelegt.
Diese Brüche innerhalb der Informationspyramide sind häufig systembedingte Kompromisse, führen in letzter Konsequenz aber immer wieder zu Verständnisproblemen bei den Lesern. Der Anspruch der neuen Lawinenvorhersage in Tirol, Südtirol und dem Trentino war insofern, der Informationspyramide in ihrer reinsten Form ohne zeitliche oder räumliche Sprünge zu entsprechen. Dieser Grundsatz war der rote Faden, aus dem das neue Kleid der Lawinenvorhersage in der Europaregion geschneidert wurde.
Das neue Kleid der Lawinenvorhersage
Der lawinen.report präsentiert sich in einem schlichten, reduzierten, sehr ansprechenden Design. Das Herzstück ist natürlich die Lawinenvorhersage selbst, deshalb bietet die Webseite sofort eine Übersichtskarte mit vorherrschender Gefahrenstufe in der gesamten Europaregion an. In kürzester Zeit verschafft sie dem Nutzer einen Überblick über die ausgegebenen Gefahrenstufen. Die Karte ist interaktiv, d.h. der Nutzer kann gruppierte Regionen auswählen und den Kartenausschnitt vergrößern/verkleinern/verschieben. Interessiert man sich nun näher für eine bestimmte Gegend innerhalb der Europaregion, kann man mit der Karte interagieren: Ein Klick auf die Karte zeigt die Gefahrenstufe und ihre exakte Höhenabgrenzung (wenn vorhanden) bzw. die ausgegebenen Lawinenprobleme für diese Region. Man erkennt nun auch das genaue Gebiet, für das die Gefahrenbeurteilung gilt. Mit einem weiteren Klick auf Details oder durch Scrollen nach unten erscheinen in einer Symbolleiste genauere Infos zur Lawinengefahrenbeurteilung mit detaillierter Information zu den vorherrschenden Lawinenproblemen (Höhe und Exposition) bzw. der zu erwartenden Tendenz.
Nach der Übersichtskarte und den Symbolen, die einen schnellen Überblick bieten, geben die Beurteilung der Lawinengefahr sowie die Beschreibung der Schneedecke und der Tendenz in Textform deutlich detailliertere Informationen zur prognostizierten Lawinensituation. Ein Link zu den jeweiligen Wetterdienststellen und deren Wetterberichten schließt die Lawinenvorhersage ab. Außerdem kann die Lawinenvorhersage in sozialen Netzwerken geteilt oder der tägliche Service abonniert werden.
Neu ist auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung, denn die Lawinenvorhersage mit Gefahrenkarte, Gefahrenbeurteilung und Beschreibung der Schneedecke wird täglich um 17 Uhr für den nächsten Tag als Prognose publiziert. Um 8 Uhr erfolgt dann ein Update. Ändert sich die Lawinengefahr im Tagesverlauf deutlich, so werden weiterhin zwei Gefahrenkarten (Vormittag/Nachmittag) herausgegeben.
Zusatzinformationen zu Wetter und Schneedecke sind ebenfalls vereinheitlicht. So entstehen Übersichtskarten zu wichtigen Parametern wie Neuschnee, Wind und Temperatur für die gesamte Europaregion. Aber auch die klassischen und bewährten Darstellungen von Wetterstationen und Schneeprofilen fehlen nicht.
Abgerundet wird die Kommunikation nach außen mit der Möglichkeit, Blogeinträge der Lawinenwarner zu lesen. Wie in Tirol schon sehr stark eingesetzt und genutzt, wird der Blog weiterhin die Möglichkeit bieten, Situationen detailliert mit Text und Grafiken zu beschreiben. Auch hier werden die Einträge aus Tirol, Südtirol und dem Trentino vereinheitlicht und direkt auf der Webseite lawinen.report verfügbar sein. Sie können nach Land, Sprache, Lawinenproblem und Jahr/Monat gefiltert werden.
Damit die Lawinenwarner weiterhin mit freier Sprache im Blog kommunizieren können, ist das der einzige Teil der neuen Lawinenvorhersage, der nicht automatisch in drei Sprachen übersetzt wird. Sonst ist der gesamte Internetauftritt durchgängig in den drei Sprachen Deutsch, Italienisch und Englisch verfügbar.
Durch ein responsives Design wird die Webseite für alle Endgeräten (PC, Notebook, Tablet, Handy) optimiert dargestellt. Daher wird es auch keine App zu lawinen.report geben, vorhandene Apps (z.B. lawine tirol App) bleiben erhalten und werden mit den Informationen von lawinen.report gefüttert. Da die interaktive Darstellung der Lawinenvorhersage im Internet sich nicht wirklich gut zum Drucken eignet, wird ein extra angepasstesDIN-A4-Produkt zum Drucken und Mitnehmen angeboten.
Zum Schluss bleibt uns nur noch euch einzuladen, das neue Kleid der Lawinenvorhersage in der Europaregion zu nutzen und zu testen. Wir freuen uns auf eure Besuche unter lawinen.report | valanghe.report | avalanche.report.
Christoph Mitterer, Norbert Lanzanasto, Alex Boninsegna
(Projekt ALBINA)