Culture | Salto Afternoon

Auch Poesie gehört gehört

„Gedichtelesen“ war ein schlichter Titel für 26 Gedichte von 13 Stimmen im durchaus nachahmenswerten, vielsprachigen Format; für und in gewisser Weise mit Gerhard Kofler.
Gerhard Kofler
Foto: ZeLT
Gestern gab es zu einem Datum gleich viele Welt-Tage: Jener des Down-Syndroms, der Wälder und jener gegen Rassismus. In Italien kamen noch der nationale Pollentag und der Tag der Erinnerung und Bestrebung in Gedenken an die unschuldigen Opfer der Mafias dazu. Um einen weiteren, von der UNESCO ausgerufenen ist es allerdings, naturgemäß, ruhiger. Gestern war Welttag der Poesie und in der Brixner Dekadenz hat man diesen mit 13 Lyriker:innen gefeiert, in lebendiger Erinnerung an den 2005 verstorbenen Brixner Dichter Gerhard Kofler, dem auch eine noch bis zum 31. März offen zugängliche Ausstellung in der Stadtbibliothek gewidmet ist.
Das Konzept des mit ZeLT erdachten Formats war von Alma Vallazza schnell erklärt. Nach dem Konzept „Gedichte gehören gehört und laut gelesen aus dem Munde derer, die sie geschrieben haben oder geschrieben haben könnten“, hatte jeder der Gäste ein Gedicht Koflers ausgesucht und ließ auf dieses ein eigenes folgen, welches - in welcher Weise auch immer - artverwandt war. Vallazza erinnerte auch an die Begründung der UNESCO, als diese 1999 den Tag ins Leben rief, „…mit dem Ziel sprachliche durch poetische Ausdrucksformen zu fördern und bedrohten Sprachen mehr Gehör zu verschaffen. Der Welttag der Poesie bietet Anlass um Dichterinnen und Poeten zu ehren und mündliche Formen des Gedichtvortrags wieder zu beleben und das Lesen und schreiben von Gedichten zu fördern.“ Man sah sich mit dem eigenen Programm somit genau ins Schwarze treffen.
 
Gedichte gehören gehört und laut gelesen aus dem Munde derer, die sie geschrieben haben oder geschrieben haben könnten.
 
Den Anfang des bunten Reigens machte Christoph W. Bauer, mit Koflers Text „In Brixen leben“, in welchem Kofler die literarischen Einflüsse würdigt, welche ihn in den Straßenzügen zwischen den verrosteten ethnischen Gitterstäben begleiteten: Neruda, Alberti und Lorca. Zu letzterem hatte Kofler einen Anknüpfungspunkt mit einem Gedicht aus dem Zyklus „Orange sind die Äpfel blau“, in welchem er Dialoge über Raum und Zeit hinweg erdachte. Lorca gesteht er, dass ihm Albertis Verse lieber sind. „Dabei spreche ich nur mit deinem Porträt, Federico.“
Arno Dejaco kannte Kofler erst seit wenigen Jahren, attestierte ihm jedoch „eine neue Welt geöffnet zu haben und das ist schön“. Verbindende Elemente waren für die beiden die Liebe zur Mehrsprachigkeit und zu Griechenland. „Torno, vengo, porto“ und „Nachmittag in Chrani“ zeugten beide von mehr als einem Urlaub, sondern intensivem Erlebnis und Leichtigkeit.
Eine der beiden jungen - wenngleich schon künstlerisch affirmierten - Poetinnen war Greta Maria Pichler. Sie hatte „L’azzurro della poesia“ gewählt, nicht nur aus dem naheliegenden Bezug des Meeres zu ihrem Zyklus „Salzwasser“, sondern wählte „Farbverlauf“, auch wegen des Motivs des Rauschens, des Verlusts von Farbe und des sich Verlierens in Farbe und die Frage des Tons im Sprechen und Dichten. Einer der schönsten Sätze Koflers der am Abend zur Sprache kam: „Nella tua mano il mare perde il colore / è come quando invece di poesia si fa conversazione.“ Ein Kurzgedicht, das als erstes auch in der Koflerschen Selbstübersetzung vorgetragen wurde. Bei Pichler war es ein Aufeinandertreffen von Nebel und Meer, ein fließender Übergang zwischen Zuständen.
 
Nella tua mano il mare perde il colore / è come quando invece di poesia si fa conversazione.
 
Der aus Innsbruck angereiste Federico Italiano las „Segno / Zeichen“ in beiden Sprachen. Sinnlich und trotz Fingerzeig auf Landschaft ambivalent und offen setzte er dem Gedicht einen humorvollen Gegenpunkt aus seiner neuen Lyriksammlung „Sieben Arten von Weiß“ entgegen, welches er seiner Osteopatin verschrieben hatte. Bindendes Element war hier wohl die (Schmerz-)Schwelle. Für die deutsche Übersetzung seines eigenen Textes rief er den, auch mit eigenem Text angereisten Übersetzer, Raul Schrott auf die Bühne. Auch ein Kontrast zwischen Italianos sanfter Stimme und Schrotts entschlossen rauerem Ton ließ aufhorchen.
Welche große Herzenssache Lyrik ist, zeigte auch der Auftritt Sepp Malls, der Kofler für seine Gedichte sogar verzeihen wollte, dass er Juve-Fan war. Passend zu diesem Zugeständnis hatte er zwei Gedichte aus der Welt des Fußballs gewählt, was für Mall ist „wie mit schmutzigen Schuhen in den Elfenbeinturm zu gehen“. „Saluto agli avversari“ würdigte die Leistung der 0:1 unterlegenen Mannschaft Pro Gorizia im Spiel gegen den FC Südtirol, reduzierte das Spiel auf Trikotfarben, gehaltenen Elfmeter und Endstand, wie auf die Freude über den Sieg, die Kofler anteilsmäßig der Gegenseite zurückgeben wollte. Im folgenden erneut ein Bezug zu Raul Schrott der im Vorfeld der WM 2006 in Deutschland für die Zeit 33 Gedichte zur angeblich schönsten Nebensache der Welt zusammengetragen hat. Für „Replay. Slow motion“ stellte diese nur den Schlusssatz: „Es ist wieder wie vor einem schweren Spiel.“
Erika Wimmer Mazohl wählte „Inizia di nuovo il Novembre“, schätzte am Gedicht, das sie zweisprachig vortrug die „feine Melancholie“ und das Moment der Übersetzung, wenn Bienen von Grabblumen „si prendono ancora il nettare / per un a me / amaro miele d’inverno / che forse dolce si traduce / in altre lingue“. In der Überleitung zu ihrem eigenen Text ließ Mazohl etwas viel Zeit vergehen. Ihr österliches Lang-Gedicht „die flügel getaucht in den see“ präsentierte die Autorin mit durch einen Werbeeinschub bedingtem Abstand von Kofler. So waren die Texte schön für sich, mit dem Hintergrund von Vergänglichkeit und Entstehen, sprachen aber nicht zu einander.
 
„si prendono ancora il nettare / per un a me / amaro miele d’inverno / che forse dolce si traduce / in altre lingue“
 
Gentiana Minga sah in Koflers Gedichten ein täuschendes Moment, von täuschender Einfachheit und Leichtigkeit aus welcher heraus „er im letzten Moment das Licht anschaltet“ und auf viele der Texte trifft das wohl zu. „Un qui, un lì“ erfüllte sicher dieses von der italienisch albanischen Schriftstellerin geschätzte Kriterium. „Tali siamo“ knüpfte an die Unwiederbringlichkeit dieses ersten Moments der Begegnung an.
Barbara Pumhösel versprach ein südtiroler Mundartgedicht mit mostviertler Dialekt und lieferte dies mit dem ironischen „Gschichtsgschichtl“ auch ab. Eine Schulerinnerung versetzte alle ins falsche Jahrhundert und Pumhösel näherte sich in der Folge im eigenen unveröffentlichten Text „Summer 1968“ (mit selbst erstellter Übersetzung) einem toten Fuchs an, die Mundart war neben dem Schreiben aus der Erinnerung Bindeglied.
Von Matthias Vieider kam neben zwei Textbeiträgen auch die Projektion auf der Bühnenrückwand bei welcher unter dem Namen der Auftretenden auch ein Statement zu Gerhard Kofler erschien, bevor die beiden Gedichttitel eingeblendet wurden. „Naturgedicht“ trug er zuerst in italienischer Übersetzung dann im „Original“ vor, Kofler berichtete darin von seinen Schwierigkeiten mit der Natur in Schulaufsätzen. „Immer musste ich darin etwas erleben, besonders im Wald“ Den Anforderungen der Lehrer trotzte er nach der Schule „Später schrieb ich eine Erzählung mit grünen Bäumen, nur für mich, in der endlich nichts geschah.“ Das Problem mit Erwartungshaltungen der Leser kannte Vieider und schrieb die Geschichte, welche Kofler vielleicht nie wirklich geschrieben hatte, oder versuchte es zumindest. In seiner Geschichte „blätterten“ allerlei Bäume, abermals nur ein Auszug, „aber danach passiert eh nichts.“
Peter Sragher, Kofler Übersetzer ins Rumänische und Autor einer dreisprachigen Anthologie, hatte von der Veranstaltung auf Umwegen erfahren und war auf eigene Kosten angereist und gern gehörter Gast, welcher das Sprachen-Spektrum des Abends um das Rumänische erweiterte. Zu „30. November“ bekundete Sragher auch die aus Sicht eines Übersetzers besondere Freude mit mehr als einer Übersetzung arbeiten zu können. Die sprachliche Nähe zwischen Italienisch und Rumänisch bedeutete auch, dass die Schlusszeile im Italienischen „sono e suono“ direkte Entsprechung fand. Sragher ließ auf das klanglich fließende Kofler Gedicht ein in Graz, an der Mur geschriebenes gegenüber.
Raul Schrott, bereits namentlich mehrfach erwähnt, hatte „bugie“ als „seinen“ Kofler Text ausgewählt. Das „Gedichtl“ von den Schönen mit den langen Beinen verlas er erst in beiden Fassungen, erklärte dann die Funktionsweise von vielen seiner Texte, die mit einem Motiv über einen Rahmen hin zu einem Aphorismus oder einer Erkenntnis gelangen, innerhalb wenigster Zeilen. Schrotts Text war länger und weniger direkt, die „Wildtauben der Frauenhände“ an einer italienischen Piazza waren dabei elegant und luftig, trotz akademischer Coda mit Ausblick auf die Flüchtigkeit.
Als vorletzter betrat Jörg Zemmler die Bühne, welcher aufrichtig bereute, die Gelegenheit ausgelassen zu haben, Gerhard Kofler persönlich kennen zu lernen. „Der Stern der dritten Sprache“, in welcher Koflers lyrisches Ich gerne eine dritte Sprache hätte, für die Liebe „wie ein stern / der strahlt / im leeren raum / vielleicht schon / seit jahrtausenden / fiktion / es genügt / wenn du / siehst“. Die Zemmlersche Sprache der Liebe? Aus seinem jüngsten Gedichtband die wechselseitigen Kosenamen oder Paarbeschimpfungen, ebenfalls eine Sprache für sich.
 
wie ein stern / der strahlt / im leeren raum / vielleicht schon / seit jahrtausenden / fiktion / es genügt / wenn du / siehst“
 
Es beschloss Nadia Rungger, die jüngste der Runde mit der „Stimme des Mäander“, ein wunderbar gesetzter Abschluss griff er doch so viele Themen des Abends wieder auf: das Sprechen/Schreiben, Flüsse, Erinnerung und sogar Griechenland. Wie es Rungger „nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte“, so dürfte es vielen beim restlos ausverkauften Abend gegangen sein. „Heute habe ich mich geboren“ antwortete in Zwiesprache mit dem eigenen inneren Kind, das Aussparungen sprechen ließ.
In einer knappen Stunde war viel geschehen. Es blieb nur noch der Hinweis auf kommende poetische Termine: man erinnerte an die Lyrikwerkstätten unter Leitung von Christoph W. Bauer und Barbara Pumhösel die man in dieser Woche täglich für Schüler:innen anbietet.
Heute Abend soll ein weiterer, zweisprachiger Abend. „Schreiben Übersetzen Herausgeben“, zu Gerhard Kofler in der Brixner Stadtbibliothek folgen, bei welchem Federico Italiano und Raul Schrott um 19 Uhr auf Giulia A. Disanto treffen.
Wer schnell ist, kann sich auch noch für den literarischen Stadtspaziergang „Rundgang und Sprachbrocken“ am Wochenende einen Platz sichern, der Freitag ist bereits ausgebucht. Zu Matthias Vieider stoßen Hannelore Kofler-Brugnolo und Hans Heiss.
Am Ausgang verteilte Erika Wimmer Mazohl noch Einladungen zu „die flügel getaucht in den see“, am 30. März, 19 Uhr in der Stadtbibliothek. Damit soll ihr Langgedicht ebenfalls eine Übersetzung erfahren, in die Sprachen des Tanzes und der Musik. Dem Wort, das nicht viel Platz braucht, räumt man derzeit in Brixen viel Platz ein.