Berufsbildung goes Bologna
Der kürzlich angekündigte duale Studiengang zu den Smart Building Technologies stellt für Südtirol eine strategische Erweiterung des Bildungsangebots im Bereich der höheren Berufsbildung dar. Partner ist das Management Centrum Innsbruck (MCI). Zugleich sind Investitionen für den Smart Automation Campus der neuen Fakultät für Ingenieurwissenschaften an der Freien Universität Bozen geplant - vielleicht auch dank der Gelder aus dem Recovery Fund. Dieses Projekt gehört dank des innovativen Charakters und der Bedeutung der technischen Ausbildung für kommende Generationen zu den aussichtsreichsten für die Genehmigung durch Rom und Brüssel.
Mit Europa Schritt halten
Konkrete Schritte für eine Bildungsoffensive im Bereich der höheren Berufsbildung waren längst fällig. In weiten Teilen Europas haben sich diesbezüglich die Fachhochschulen als Bildungspartner der Unternehmen etabliert. Zusammen mit den anderen Studienzweigen der Freien Universität Bozen, u. a. dem Bachelorstudium in Tourismus-, Sport- und Eventmanagement in Bruneck, den vielfältigen Studiengängen der Claudiana, dem Lehrgang der Akademie für das Hotelmanagement und den Ausbildungsgängen der höheren Lehre laut staatlicher Rahmensetzung schwingt sich Südtirol allmählich hoch auf das Niveau vergleichbarer Regionen wie etwa Vorarlberg, das bei einer Zahl von 400.000 EinwohnerInnen allein im Fachhochschulbereich 24 Studienprogramme aufweist, allerdings über keine Universität verfügt.
Unternehmerverband als Impulsgeber
Die notwendige Schubkraft für den Studiengang Ingenieurwissenschaften kam vom Südtiroler Unternehmerverband. Dieses Angebot ist auf den Qualifikationsbedarf des Automotive Excellence Netzwerks Südtirol zugeschnitten, das Bestandteile für ein Drittel der in Europa zirkulierenden Autos produziert, wie es auf der Homepage der FUB heißt. Die meisten Studierenden arbeiten bei einem der darin zusammengeschlossenen sechs Unternehmen. Das Abkommen des Landes mit dem MCI zum Studiengang Smart Building Technologies eröffnet den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der in Südtirol gut aufgestellten Baubranche wichtige Qualifikations- und Spezialisierungschancen. Die zahlreichen Neuerungen in Bezug auf Materialien und Heizungs-, Klima-, Lüftungs- und Sanitär- sowie Lichttechnik erfordern entsprechende Bildungsangebote, die die Kompetenzvermittlung der heimischen Berufsschulen ergänzen und vertiefen.
Lehre, Fachschulen und FOS bisher unantastbar
Grenzübergreifende Kooperation ist im Bildungsbereich nicht einfach zu bewerkstelligen. Deshalb ist der neue duale Studiengang auf der Ebene der Euregio einzigartig. Ein weiterer Ausbau der Zusammenarbeit ist durchaus denkbar. Bisher hat sich Südtirol ja nicht recht dazu entschließen können, eigene Fachhochschulstudiengänge auf den Weg zu bringen. Mit der Einführung kapillarer beruflicher Ausbildungsangebote in den Talschaften ist dem Wunsch der Unternehmen entsprochen worden, standort- und wohnortnahe Fachausbildungen anzubieten. Bei rückläufigen Lehrlingszahlen stehen die Unternehmen dennoch untereinander in Konkurrenz um die Verpflichtung der Fachschul- und der FachoberschulabsolventInnen und bieten diesen teilweise schon vor dem Abschluss einen Arbeitsplatz an.
Konsens und aktive Beteiligung der Unternehmen unerlässlich
In dieser sensiblen Arbeitsmarktlage ist nach den grundlegenden Änderungen durch die Oberschulreform von 2010 die heikle Aufgabe nicht angegangen worden, bestehende Angebote neu zu ordnen und die teilweise Überlappung des Ausbildungsangebots der Berufsschulen im Bereich Metalltechnik mit denen der Fachoberschulen zu entwirren, um Platz für ein zusätzliches Angebot auf Fachhochschulebene zu schaffen. Große Unternehmen haben die betriebsbezogene fachspezifische Ausbildung vielfach internalisiert. Sie sehen das als schnell umsetzbare und zielgerichtete Lösung für den Qualifikationsbedarf der neu eingestellten Arbeitskräfte und zeigen somit weniger Interesse an Lehrgängen und Studiengängen anderer Träger. Mit der internen Aus- und Weiterbildung steigern sie zudem ihre Attraktivität als Arbeitgeber. Nur im Konsens mit den wesentlichen Nutzern war es jedoch denkbar, für zusätzliche Studiengänge genügend TeilnehmerInnen zu gewinnen.
Fachhochschulen in Italien ohne institutionellen Anknüpfungspunkt
Dazu kamen formale Hürden. 2008 ist gleich nach den entsprechenden Weichenstellungen auf gesamtstaatlicher Ebene (D. P. M. vom 25.01.2008) mit dem Landesgesetz Nr. 2 zwar die Möglichkeit zur Errichtung von Fachhochschulen vorgesehen worden (in Ergänzung des LG Nr. 40/1992). Die Umsetzung jedoch gestaltete sich schwierig, da die Fachhochschulen in der entsprechenden Tradition im deutschen Sprachraum zunächst nicht der universitären Ebene zugeordnet waren und die italienische Neuschöpfung der Istituti Tecnici Superiori (ITS) auf einem Stiftungsmodell mit Beteiligung von Universitäten, Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Lokalkörperschaften und Schulen beruht. Ohne institutionellen Anknüpfungspunkt in der staatlichen Rechtsordnung und im bestehenden Bildungsgefüge war es schwierig, da eine neuen Bildungsebene einzuziehen. In Deutschland gehen Fachschulen und Fachhochschulen auf eine Ende des 18.Jahrhunderts begründete Tradition zurück. In Italien hingegen bestand noch in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs in den 60er-Jahren eine klare Präferenz für allgemeinbildenden Oberschulen als Vehikel des sozialen Aufstiegs. Diese Einstellung prägte auch die Bildungspolitik bis herauf zur Schwelle des neuen Jahrtausends.
Kooperationsmodell für die Gestaltung berufsbildender Angebote
Mit dem Rahmengesetz zur Berufsbildung Nr. 845 von 1978 ist die Kooperation mit den sozialen Stakeholdern und deren Kontrolle der Ergebnisse als organisatorisches Prinzip der Berufsbildung verankert worden. Inzwischen hat Italien im Bemühen um die Schließung des Qualifikationsnachteils gegenüber anderen EU-Ländern das Potenzial der Berufsbildung entdeckt und setzt auf den Ausbau entsprechender Ausbildungsangebote. Sowohl im Bereich der IFTS als auch bei der Einführung der neuen ITS-Studiengänge wurde das Konzept der breiten Bildungspartnerschaft bestätigt. Bisher werden die ITS-Angebote vom zuständigen Ministerium noch der nichtuniversitären tertiären Ausbildung zugeordnet, da sie im Regelfall noch auf eine zweijährige Dauer ausgerichtet sind, weshalb sie dem EQF-Niveau 5 entsprechen. Die Schulbehörde stellt das Abschlussdiplom aus. In der Variante der dreijährigen Studiengänge entsprechen sie jedoch den Fachhochschulstudiengängen mitteleuropäischer Prägung, die dafür als Vorbild dienten und dem Lehrumfang der Bachelorabschlüsse, womit die Zuordnung zur EQF-Stufe 6 angemessen ist. Berufsbildung goes Bologna.
Berufsbildung dank der Reformen im Fokus der Universitäten
Die Berufsbildung ist jedoch auch auf universitärer Ebene in den Fokus gerückt worden. Das Ministerialdekret Nr. 509/1999 sah bereits vor, dass im Rahmen der dreijährigen Studiengänge der Universitäten auch berufsspezifische Kenntnisse vermittelt werden. Mit dem Gesetzesdekret Nr. 53/2003 ist dann auch die Möglichkeit eingeführt worden, im Rahmen der höheren Lehre einen Sekundar- bzw. einen Universitätsabschluss zu erzielen. Somit war es naheliegend, dass im Zuge der Reform der Universitäten diese daran gehen, die Bachelorstudiengänge auf die Qualifikationsanforderungen der Unternehmen auszurichten bzw. in dualen Studiengängen der höheren Lehre ihr Ausbildungsspektrum zu erweitern. Damit entstauben sie ihr akademisches Image und werden entsprechend den Weichenstellungen der Universitätsreform für die höhere beruflichen Bildung systemrelevant. Europaweit erweitern die Universitäten ihr Angebot, um sich als Bildungsinstitution für die Zukunft optimal aufzustellen – nicht zuletzt als Antwort auf die Konkurrenz der Fachhochschulen.
Mit den Mitteln aus dem Recovery Fund PNRR werden nun die ITS-Studiengänge zu einer tragenden Säule für die Höherqualifizierung der Arbeitskräfte in Branchen gemacht, wo neue Technologien einen Innovationsschub verursacht haben. Die aktuellen Daten zeigen, dass 80% der AbsolventInnen der ITS innerhalb eines Jahres eine Arbeitsstelle finden.
Ausbildungsangebot als Standortvorteil
In Südtirol hat sich in den letzten zehn Jahren generell die Einstellung gegenüber weiterführenden beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten gewandelt. Der LVH befürwortete immer überzeugter die maturaführende Lehre. Die Freie Universität Bozen wird vor allem vom Unternehmerverband als Bildungspartner angesehen, der nicht nur akademische Ambitionen hat, sondern durchaus die konkreten Qualifikationserfordernisse der Unternehmen in den Blick nimmt. Dass laut dem italienischen Modell der höheren Berufsbildung die Universitäten als konstitutive Partner entsprechender Trägerstrukturen vorgesehen sind, kann sich als förderlich für entsprechende lokale Initiativen erweisen.
Welche Chancen könnte die Einführung von ITS- oder Fachhochschulstudiengängen auf lokaler Ebene eröffnen. Nun, in erster Linie ist es wichtig, dass diese auf die learning outputs des lokalen Ausbildungsangebots im Sekundarbereich aufbauen und auf den künftigen Qualifikationsbedarf der heimischen Unternehmen abzielen. Es müssen nicht gleich neue Strukturen errichtet werden, weil solche Studiengänge sehr gut an die bestehenden und sehr gut ausgestatteten Berufsschulen oder Fachoberschulen angedockt werden können. Als Ausbildungsstandort könnte Südtirol zudem darauf setzen, in Nischenbereichen in der Europaregion und für Oberitalien dank mehrsprachiger Ausbildung ein überregionales Ausbildungszentrum zu werden. Und schließlich ist ein hochwertiges Ausbildungsangebot auch eine erfolgreiche Strategie, um jungen Arbeitskräften aus dem Ausland eine Ausbildungs- und Arbeitsperspektive zu geben - was angesichts der demographischen Entwicklung durchaus im Interesse des Landes ist.