Culture | Salto Weekend

Am Rande (Europas) notiert

Galicien im Nordwesten von Spanien war als Gastland mit namhaften Filmen beim Bolzano Film Fesival Bozen geladen. Bei einem Talk wurde darüber gesprochen.
titel1.jpg
Foto: salto

Waldbrände, Franco, Jakobsweg. Die drei Schlagworte haben eines gemeinsam: Sie haben eng mit der Autonomen Gemeinschaft Galicien in Spanien zu tun. Was die Gegend mit ihren rund 2,7 Millionen Einwohnern seit Anfang der 2000er Jahre über die eigenen Landes- und Staatsgrenzen hinaus zudem bekannt machte, ist des sogenannte "neue galicische Kino", welches beim diesjährigen Bolzano Film Festival Bozen 2023 mit mehreren Filmen vertreten war. Zusammengestellt hat das Programm für Bozen der in Bozen wohnhafte Ricardo Apilánez in Zusammenarbeit mit dem Festivalleiter Vincenzo Bugno. „Es war im Jahr 2006, als die Geschichte zum neuen galicischen Kino losging“, erzählt Apilánez, der gestern auch den Talk im Parkhotel Mondschein leitete, bei welchem die Produzentin Beli Martínez der Filmkritiker Jaime Pena und der Regisseur Eloy Enciso zugegen waren. Dabei konnte das spärlich erschienene Publikum über die Erfolgsgeschichte der außergewöhnlichen Kinokultur des Gastlandes erfahren, vor allem weshalb eine derartige Dichte an beachtenswerten Filmen, in der jüngsten Vergangenheit internationale Erfolge feiern konnte und seit eineinhalb Jahrzehnten regelmäßig von sich reden macht. „Die Filme zeichnen sich durch eine besondere Poesie aus“, meint Vincenzo Bugno, „ein Tatsache“  die, so Apilánez, „auch für die lokale Filmkultur in Südtirol als gutes Vorbild dienen kann.“ 
 


„In nur wenigen Jahren entwickelte sich das galicische Kino von einem Industriekino ohne internationale Ausrichtung zu einem Kino, das sich auf neue Erzählungen einstellte“, meint Jaime Pena: „Die Filmemacher setzten zunächst auf Dokumentarfilme, wandten sich dann zunehmend der Fiktion zu, doch der Ursprung im Non-Fiction-Bereich ist in vielen Filmen sehr präsent“. Beim BFFB zu sehen war beispielsweise die Produktion Eles Transportan a Morte von Helena Girón und Samuel M. Delgado, die im fernen Jahr 1492 spielt und die Geschichte von drei Männern der Besatzung bei Christoph Kolumbus erzählt, welche ihrem traurigen Schicksal entgehen, indem sie an der ungewissen Reise teilnehmen. Beim Film Longa Noite von Regisseur Eloy Enciso, der ebenfalls beim Talk anwesend war und über die Besonderheiten des Filmlandes erzählte, handelt es sich ebenfalls um einen Streifen, der sich mit der Geschichte des Landes auseinandersetzt.
 


Enciso Film behandelt die dreißigjährige Franco-Diktatur anhand einiger sinnbezogener Figuren. Der Regisseur suchte nach etwas, „das sich nicht so sehr mit den Geschehnissen im ersten Jahrzehnt der Franco-Diktatur befasste, sondern mit der Art und Weise, wie sich ein totalitäres System auf das Leben der einfachen Leute auswirkte.“ In diesen Jahren entstand eine beachtliche Menge an Exilliteratur, da viele Schriftsteller, aber auch andere Intellektuelle, während oder unmittelbar nach dem Bürgerkrieg Spanien verließen, aber weiterhin in Argentinien, Mexiko, Frankreich oder anderen Ländern veröffentlichten. So bilden Texte von Max Aub, Luis Seoane, Ramón de Valenzuela u.a., neben Tagebuchaufzeichnungen von Menschen „die den Krieg gegen die Faschisten verloren hatten und sich entschieden oder gezwungen waren, im Land zu bleiben“, wichtige Bausteine des Films. Auch Texte aus Briefen von Häftlingen, die in den 1940er Jahren in Galicien im Gefängnis oder in Konzentrationslagern saßen hat der Regisseur eingebaut „Diese Briefe waren eigentlich die Initialzündung für Longa noite“, sagt er. Sie offenbaren die Erfahrungen „der Verlierer des Regimes.“
 


Verglichen mit dem übrigen Spanien wird Galicien jährlich von überdurchschnittlich vielen Waldbränden heimgesucht. Im Jahr 2006 erreichten die Brände einen Höhepunkt, nachdem innerhalb von nur zwei rund 70.000 Hektar Wald und Buschland niederbrannten. Nur wenige Jahre danach, 2019, widmete sich der Film O que adre von Oliver Laxe, dieser Thematik. Er war ebenfalls beim Festival zu sehen, wie auch Trinta Lumes von Diana Toucedo und Trote von Xacio Baño.
 


Einen ersten Aufschwung nahm die Demokratisierung Spaniens in den 1970/1980er Jahren, nach dem Tod Francos, als Galicien neben Katalonien, Navarra und dem Baskenland als eine der historischen Nationen Spaniens anerkannt wurde. Das kleine Land erhielt mit Beginn der 1980er Jahre als eine der ersten Regionen Spaniens ein Autonomiestatut. Auch in dieser Hinsicht war das Gastland bei den BFFB durchaus von Interesse. Und wird es hoffentlich weiterhin bleiben.
 


Einen letzten und wichtigen Funken Galicien, wird am Samstag (22.4.) bei der Preisverleihung die Jurorin Beatrice Fiorentino dem BFFB versprühen. Die Journalistin, Autorin und Filmkritikerin – ein Elternteil von ihr, stammt aus dem Gastland Galicien –, schreibt für mehrere italienische Zeitungen und wurde als beste Filmkritikerin bei den 71. Filmfestspielen von Venedig ausgezeichnet. Seit 2016 ist sie Mitglied des Auswahlkomitees der Internationalen Filmkritikwoche von Venedig. Wen sie und die weiteren Juroren und Jurorinnen in Bozen 2023 auszeichnen werden? Heute Abend wird das Geheimnis gelüftet.