Environment | Klimaproteste

Solidarität mit den Letzten

Rund 1500 Wissenschaftler:innen aus dem deutschsprachigen Raum erklären sich durch die Erklärung „Handeln statt Kriminalisieren“ mit den Klimaprotesten solidarisch.
David Hofmann
Foto: Isacco Gavazzi
Der Erklärung haben sich auch Südtiroler Wissenschaftler:innen angeschlossen, unter anderem David Hofmann, Hans Kiem und Martin M. Lintner als Erstunterzeichner. Seit gestern ist es auch eine Schwester-Petition „Aus der Mitte der Gesellschaft“ online, welche sich an Nicht-Wissenschafler:innen richtet.
Dem Namen der Petition der Wissenschaftler:innen verlieh in dieser Woche das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn gegen den Studenten und Klimaaktivisten der Letzten Generation Daniel E. zusätzliche Aktualität, der zu 5 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde. Es war das bislang härteste Urteil, welches in Deutschland gegen ein Mitglied der letzten Generation für eine Klebeblockade ergangen war und folgte auf ein Urteil im März, welches Daniel E. zu drei Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt hatte. Die Härte des in dieser Woche ergangenen Urteils begründete die Richterin mit einer ungünstigen Kriminalprognose für Daniel E. und die 40 auf seinen Namen laufenden oder gelaufenen Ermittlungen im Tatbestand der Nötigung (unter welchem Klebe-Blockaden im Straßenverkehr gewertet werden). An drei Mitangeklagte - zwei Männer und eine Frau - ergingen mildere Haft- und Geldstrafen.
Bei einer gestrigen Online-Pressekonferenz erklärte das Bündnis gestern die Hintergründe der Erklärung. Impulse gaben Prof. Dr. Claudia Paganini (Medienethikerin, München), Prof. Dr. Johann Graf Lambsdorff (Volkswirt, Passau), Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl, (Moraltheologe und Sozialethiker, Berlin), sowie Dr. Christina West (Geographin, Philosophin und Transformationsforscherin, Darmstadt), während Dr. David Hofmann (Physiker und Neurowissenschaftler, Bozen), PD Dr. Marie-Therese Mäder (Medienethikerin und Religionswissenschaftlerin, Zürich) und Prof. Dr. Wilhelm Guggenberger (Theologe und Sozialethiker, Innsbruck) für anschließende Pressegespräche zugeschaltet waren.
Paganini machte den Anfang und bekundete, in den letzten Monaten eine Zunahme von Hassrede gegen Klimaaktivist:innen in Social Media, sowie eine Verrohung der Sprache seitens der Politik in diesem Kontext beobachtet zu haben. „In Folge ist genau das eingetreten, was aus der einschlägigen Forschung zu erwarten war“, meinte die Medienethikerin. „Eine Zunahme von Aggression und körperlicher Gewalt auf der Straße.“  (Wie beispielsweise an dieser Stelle in einem sehenswerten Beitrag zur letzten Generation zu sehen) Es werde durch Dekontextualisierung, Infragestellung der Protestierenden und deren Lächerlichmachen zudem von der Dringlichkeit von Maßnamen abgelenkt. Sie erklärte zudem, dass der Text der Erklärung bis zum gestrigen Datum nur privat weitergegeben worden sei, jedoch noch nicht, etwa über Social-Media, öffentlich beworben worden sei.
Mit kritischen Tönen begann hingegen Lob-Hüdepohl sein Statement: „Zweifellos kann über Sinn und Berechtigung dieser Aktionsform gestritten werden, grundsätzlich oder auch im Einzelnen.“, meinte der Moraltheologe und Sozialethiker in Hinblick auf eine Reihe von Blockaden in Berlin im Laufe der Woche. „Sie aber pauschal als kriminell, staatszersetzend oder gar terroristisch zu verunglimpfen muss nach meinem Dafürhalten selbst heftigen Widerspruch erfahren.“ Er sah in ungenehmigten Sitzblockaden im Straßenverkehr nichts ungewöhnliches und erinnerte an historische Beispiele im bundesdeutschen Kontext, außerhalb der Klimabewegung. Er sah Ausnahmen für die moralische Pflicht sich an Recht und Ordnung zu halten und ordnete die Klimaproteste im Bereich des zivilen Ungehorsam ein.
Christina West, sprach, nachdem sie ihre Stummschaltung überwunden hatte (es zeigt sich, auch Wissenschaftler sind nur Menschen), als Geographin, Philosophin und Transformationsforscherin aus Perspektive der Übersetzungstheorie. Sie sah die Aktionen der Letzten Generation als Herausforderung. Übersehen werde jedoch das Angebot, welches die Letzte Generation dabei mache: „Indem sie den öffentlichen Raum besetzen stellen sie Öffentlichkeit eigentlich erst her, bieten und fordern den öffentlichen Diskurs im öffentlichen Raum…“ Sie versteht die Aktionen als Plattform. Es brauche allerdings veränderte Modi der Kommunikation „weniger was wir aushandeln und mehr wie wir aushandeln“.
Johann Graf Lambsdorff wollte „insbesondere als Volkswirt noch ein paar Punkte machen“. Er verstand die Letzte Generation als Warnung rasch einen gesellschaftlichen Konsens und politische Mehrheiten für Lösungsansätze zu finden: „Entgegen dieser Mahnung suchen wir und landen wir die ganze Zeit in Kontroversen: Für oder gegen die letzte Generation, für oder gegen gewaltfreien Widerstand, wo sind die Grenzen?“ Er sah dabei die Politik in analogen Grabenkämpfen: „Hier wird der Klimaschutz zerrieben in alten, dogmatischen Streitigkeiten.“ Man lenke selbst von offensichtlichen Maßnamen, welche rasch Mehrheiten finden würden ab. Diese „low hanging fruits“ benannte Graf Lambsdorff als „vor allem den Abbau klimaschädlicher Subventionen“. Deren Kosten beliefen sich in Deutschland, meinte der Volkswirt sich auf eine von Greenpeace in Auftrag gegeben Studie berufend, jährlich 46 Milliarden Euro. „Es ist besonders skandalös, dass unsere Steuergelder verschwendet werden um unseren Nachkommen eine Klimakatastrophe zu hinterlassen. Die letzte Generation, das sind die Menschen, die hier ihren Finger in eine offene Wunde legen.“, schloss der Volkswirt und forderte Maßnamen seitens der Bundesregierung anstelle der Kriminalisierung der Protestierenden.
Beide Umschriften-Sammlungen stehen nach wie vor für Unterzeichnende offen, man sichte hierzu die Links zu Beginn des Artikels.
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Dietmar Nußbaumer Sun, 04/23/2023 - 20:47

Wissenschaftler warnen seit über 50 Jahren, Al Gore brachte das Anliegen weltweit in Vorträgen ans Publikum, Greta Thunberg und FfF, die Letzten, ... . Thunberg wurde von den Medien gehätschelt, die Letzten werden zu Terroristen abgestempelt. Dabei wird das Thema alle betreffen, die noch länger leben. Die Medien sollten seriös über Ursachen und Gefahren des Klimawandels berichten, über das, was uns erwartet. Jene Medien, die das tun, erreichen wahrscheinlich zu wenig Leser. Die "großen" Blätter und Medien empören sich lieber wegen der Kleber.

Sun, 04/23/2023 - 20:47 Permalink
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Hartmuth Staffler Sun, 04/23/2023 - 21:06

In reply to by Dietmar Nußbaumer

Die Medien berichten über Ursachen und Gefahren des Klimawandels und über die Klimakleber. Ob sie das seriös machen oder unseriös, hängt davon ab, ob es sich um seriöse oder unseriöse Medien handelt. Über die Klimakleber empören sich nicht so sehr die Medien, sondern eher die Autofahrer, die wegen der Kleber im Stau stecken. Dabei sind gerade sie ja eine der Hauptursachen für den Klimawandel, gegen den geklebt wird, und gerade so ein Stau verursacht mehr Kohlendioxyd-Ausstoß als ein fließender Verkehr.

Sun, 04/23/2023 - 21:06 Permalink