Society | Euphur-Tagung

Leben und leben lassen

Seit Februar dieses Jahres schafft ein neues Gesetz klare rechtliche Bedingungen für die medizinische Versorgung und regelt das Arzt–Patienten–Verhältnis neu.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Patientenverfügung
Foto: CC0

Wer zum Arzt geht, will auch eine Behandlung. So ungefähr lautete die implizite Annahme und gängige Praxis zwischen Arzt und Patient bisher. Seit Februar dieses Jahres jedoch muss der Patient jeder Behandlung aktiv zustimmen. Das Gesetz zur informierten Einwilligung und Patientenverfügung stärkt die Rechte von Patienten in der medizinischen Versorgung in zwei Bereichen der Gesundheitsversorgung.

 

Die informierte Einwilligung bezieht sich auf jede einzelne Behandlung, vom Hausarztbesuch bis zum chirurgischen Eingriff. So ist das Recht des Patienten festgelegt, umfassend über Krankheitsfolgen und mögliche Therapien aufgeklärt zu werden. Gemeinsam mit dem Arzt entscheidet sich der Patient dann für einen Behandlung, an die sich der Arzt verbindlich halten muss. Bevor der Zahnarzt also den Bohrer zückt, muss sich der Patient klar einverstanden erklären damit, wie das Loch im Backenzahn gestopft wird.

Mit der Patientenverfügung kann ein Patient für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit verbindlich über bestimmte Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe entscheiden. Das gilt vor allem im Hinblick auf lebensverlängernde oder -erhaltende Maßnahmen etwa bei schweren Erkrankungen oder am Lebensende.

 

Insgesamt kann das Gesetz über die rechtlich – formale Regelung hinaus Patienten ermöglichen, selbstbestimmter über sich und ihren Körper zu entscheiden, so Dr. Kolis Summerer, Professorin für Strafrecht an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen. Auf einer Fachtagung, organisiert von Dr. Summerer im Rahmen ihrer Tätigkeit für die universitäre Plattform „Menschenwürde und Menschenrechte“ (engl. Abkürzung „Euphur“) der Universitäten Innsbruck, Trient und Bozen sowie der Akademie Meran, diskutierten Experten verschiedener Disziplinen über das Gesetz.

 

Die Regelung rückt den Patienten im Verhältnis zum Arzt in ein neues Licht. Mit der Pflicht, ihre Patienten umfassend zu informieren, tragen Ärzte einen höhere Verantwortung als bisher. Dass der Patient bei unzureichender Beratung auf sein Informationsrecht pochen kann, sollte Ärzte dazu antreiben, alle Möglichkeiten und Konsequenzen einer Krankheit und ihrer Therapie aufzuzeigen. So hat der Patient die Chance, basierend auf einem ganzheitlichen Bild eine fundierte Entscheidung über seinen weiteren Krankheitsweg zu treffen. Hierzu gehört jedoch nicht nur die Einwilligung zu bestimmten Therapien wie zum Antibiotikum bei Lungenentzündung oder zum Röntgen des gebrochenen Schienbeins.

 

Das Informationsrecht ist umfassender: Auch die Verweigerung von Informationen gehört dazu. Das heißt, der Patient kann entscheiden ab einem bestimmten Krankheitsstadium nicht mehr von seinem Arzt informiert werden zu wollen. Alternativ kann er eine Vertrauensperson benennen, mit der sich der Arzt abspricht. Da der Arzt an die gemeinsame Vereinbarung gebunden ist, sind Entscheidungen über den Kopf des Patienten hinweg rechtlich ausgeschlossen.

 

Jedoch setzt die Chance zur informierten Einwilligung großes Vertrauen voraus. Als Patient ist man darauf angewiesen, den Arzt als Experten anzuerkennen und von ihm über alle wichtigen Informationen aufgeklärt zu werden. Sich selbst auf Wikipedia oder Google informieren zu müssen sei explizit nicht Teil von selbstbestimmteren Patientenentscheidungen, so Dr. Kolis Summerer. „Das Gesetz kann leisten, dass sich Patienten in der Behandlung sicherer fühlen. Denn sie wissen, dass der Arzt verpflichtet ist, ihnen zuzuhören“, sagt die Professorin. Darüber hinaus muss der Patient auch darin vertrauen, für sich selbst eine passende Entscheidung treffen zu können.

 

„Das Gesetz kann leisten, dass sich Patienten in der Behandlung sicherer fühlen. Denn sie wissen, dass der Arzt verpflichtet ist, ihnen zuzuhören“

 

Der Schutz des Lebens und die Pflicht zu heilen des Arztes gestaltet das Verhältnis zwischen Arzt und Patient sowohl im Konsens als auch in Konflikten. Behandlungen können nur nach Wünschen und Willen des Patienten erfolgen, jedoch nicht als Zwangsmaßnahme. Die Würde des Menschen als Patient und Patientin schimmert vor der dem Hintergrund der gesetzlichen Neuregelung in einer neuen Facette – vorausgesetzt, die formale Regelung wird praktisch umgesetzt.

 

Um Patienten umfassend informieren zu können, benötigen Ärzte etwa mehr Zeit in der Behandlung. Dies ist wiederum auch ein Kostenaspekt. Außerdem stellt sich die Frage, was Ärzte gewährleisten können angesichts kontinuierlichen medizinischen Fortschritts. Daneben müssen auch Krankenhäuser und Gemeinden ihre Arbeits- und Verwaltungsabläufe umstellen.

 

Ganz abgesehen davon ist es an den (potentiellen) Patienten und Patientinnen, sich über ihre neuen Rechte zu informieren. Zwar empfindet Dr. Summerer die Resonanz der Bürger auf das Gesetzt positiv, jedoch hätten sich längst nicht alle mit der Debatte befasst. Obwohl es den Umgang jedes Menschen mit Krankheit, Leben und Sterben betrifft, ist das Gesetz noch nicht breit bekannt. Bis das Gesetz praktisch umgesetzt wird, können Bürger immerhin die Zeit nutzen, sich selbst zu informieren: Das Gesetz ist kurz gehalten und so verfasst, dass es allgemein verständlich sein sollte.