Schleckereien vor dem Fernsehen
„Heute haben wir Kraut, und welln's a a bissl an Kren?“ Ganz oben stapeln sich die Nudeln, darunter Reis und Polenta, in einem Eckregal Olivenöl und Essig. Ganz unten die Krautköpfe, frisch geliefert vom Bauern aus Aufhofen. Zwei Frauen sind eifrig beschäftigt, eine nimmt in einem großen Heft Notizen, eine versorgt die Kundschaft. Zwei Mal pro Woche, dienstags und freitags.
„Wenn i no a Polenta hobn terfat.“ Martha* hat bis zu ihrem 60. Lebensjahr alte Leute gepflegt. „Jetzt kann ich mir gerade noch die Miete zahlen, aber alles andere wird schwierig für mich.“ Die Kinder sind groß, Martha wohnt allein. In einer Mietwohnung, „zum Glück mit Aufzug“, gerade bei dem kalten Regenwetter sind ihre Rückenschmerzen wieder stark. "Meine Ärztin hat mir den Tipp gegeben hier her zu kommen."
Vor dem kleinen Holzhäuschen am Rande von Bruneck treffen sich Leute. Alleine stehen sie unter einem winzigen Vordach, umgeben von ihren Kindern, an ihr Fahrrad gelehnt. Regenschirme aufgespannt, die Einkauftaschen sind irgendwo in ihrer Hand, in ihrem Hosensack versteckt. „Die Anonymität ist sehr wichtig“, sagt Josef Unteregelsbacher, der das Projekt Leo (Lebensmittel und Orientierung) in Bruneck koordiniert. "Das Wichtigste eigentlich."
„Gewartet haben wir lange darauf“, erinnert sich Martha, regelmäßig ist sie hier. Und mit Andrea*, die aus Deutschland kommt und im Brunecker Frauenhaus gestrandet ist, entwickelt sich ein Gespräch. Auch dafür sind Wartezeiten gut. „Dass es so etwas wie eine Tafel gibt, ja, das ist sehr gut, für mich eine große Hilfe“, sagt die 50-Jährige. „In Deutschland ist das ja die Regel.“ Doch was in Südtirol fehlt, darin sind sich die beiden Frauen einig, ist ein soziales Kaufhause. „Ein Geschäft, wo günstig Gebrauchtes eingekauft werden kann“, ergänzt Martha, die 65-Jährige.
"Freiwillige Hilfe schreiben wir groß", sagt Josef Unterregelsbacher
„Eigentlich geben wir Terminkarten aus“, erklärt Unteregelsbacher, „damit die Leute keine Scheu haben, zu kommen. Vielen ist es unangenehm, gesehen zu werden.“ Wissen, dass andere wissen könnten, dass es alleine nicht mehr geht. Schon das hält ab, Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Ja, das ist für viele schlimm, vor allem für die Älteren, die kommen. Die haben ein Leben lang gekämpft, und dass sie nun umsonst was kriegen, das können sie teilweise gar nicht glauben. Trauen sich nicht, zu fragen."
Eine Frau aus Marokko wartet mit ihren zwei Kindern, zu Hause gilt es die Schwiegermutter und die zwei Kleineren, zu versorgen. „Io non lavoro, mio marito è ammalato, prendiamo il riso, la polpa al pomodoro e il detersivo.“ Hygienartikel sind gefragt, weiß Unteregelsbacher. „Anfänglich waren es viele Migranten, die gekommen sind zur Lebensmittelausgabe. Doch es werden immer mehr Einheimische.“ Das freut ihn, doch etwas erschreckt auch: „Es sind immer mehr junge Leute. Ein junger Bursche war neulich da, er hat als Mechaniker seine Arbeit verloren, seine Eltern haben sich getrennt. Er hatte niemanden.“
Armut ist nicht sichtbar. "Eine Frau kommt regelmäßig zu uns", erzählt Unteregelsbacher. "Niemand hatte geahnt, dass sie finanzielle Schwierigkeiten hat. Sie ist immer gut angezogen, sauber, gepflegt. Dann haben wir erfahren, dass sie sich in der Kleiderkammer in Bruneck einkleidet." Hilfe annehmen ist eine Überwindung, "das müssen viele erst lernen", sagt er. Ausgegeben wird je nach Bedürftigkeit, nach Familiengröße und was das Lager gerade hergibt.
Seit 7. Februar 2014 hat auch Bruneck auf die zunehmende Bedürftigkeit vieler Menschen reagiert. Dienstags kommen zwischen 25 bis 30 Leute, Freitags, gegen Wochenende hin sind es mehr - zwischen 35 und 45. Gesammelt werden die Lebensmittel einmal im Jahr von Vintl bis Gais über Bruneck nach Antholz. In Bäckereien, Metzgerein, Lebensmittelgeschäften, „überall sind Freiwillige am Werk, ohne die ginge nichts“, sagt der 66-Jährige und zufrieden sagt Unteregelsbacher: "Bis das Häusschen hier stand haben viele zusammengeholfen." Gemeinde, Sponsoren, freiwillige Architekten, Geschäftsinhaber, die die Einrichtung zahlten, das E-Werk, das den Strom liefert. Hilfe - Umsonst.
Koordination und Miteinander sind gefragt, ein Mal im Monat werden außerdem Lebensmittel vom Banco Alimentare aus Trient geholt, Bauern wenden sich an den rüstigen Pensionisten, die Senni liefert Joghurts, Private, die Marmelade einkochen und nicht wissen wohin damit, liefern Überschüssiges ins Blockhäuschen. „Es kommt sehr viel Unterstützung von überall her.“ Das begeistert Untereglsbacher, „am Montag und Donnerstag dürfen wir außerdem in verschiedenen Geschäften Lebensmittel oder Artikel abholen, die bald verfallen. Verfallene Sachen dürfen wir natürlich keine vergeben.“
Um die Unterstützung gehe es, um ein Zeichen, sagt er, „leben kann niemand allein von diesen Lebensmitteln, es ist eine Überbrückung.“ Aber es geht auch um einen Kontakt, ums Einkaufen eben, wo nette Worte gewechselt werden, das Wetter abgehandelt, gewitzelt wird. Deshalb kommt Hubert* auch immer gern, einfach nur, um sich ein paar „Schleckereien“ zu holen. „Für abends vor dem Fernsehen“, erklärt er. "Und wenn die Moidl", wie Unteregelsbacher eine 80-jährige Kundin nennt, "sich ein Mehl holt, dann freuen wir uns, dass wir sie sehen." Zusammen ist man weniger allein.
*Namen von der Redaktion geändert