Politics | Aufnahme

“Lasst uns nicht alleine”

Die Herausforderungen der Flüchtlingsfrage sind auf europäischer und lokaler Ebene zum Teil dieselben. Wie etwa jene der besseren Verteilung der Menschen.

“Italien darf von der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten mit den Herausforderungen der Flüchtlingsfrage nicht allein gelassen werden.” Diesen eindringlichen Appell brachten die Landeshauptleute der Euregio Arno Kompatscher, Ugo Rossi und Günther Platter gestern (21. August) an höchster Stelle vor. Die drei Landeshauptmänner waren beim Europäischen Forum Alpbach zu Gast, ebenso wie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. An diesen übergaben Kompatscher, Rossi und Platter eine gemeinsame Flüchtlingsresolution mit dem Titel “Für ein Europa der gemeinsamen Lösungen”. Unter den fünf Forderungen, die Kompatscher, Rossi und Platter am Ende des dreiseitigen Papiers auflisten, findet sich auch jene nach einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Mitgliedsstaaten.

Alpbach am 21. August 2016: Die drei Landeshauptleute übergeben ihre Flüchtlingsresolution an EU-Kommissionspräsident Juncker. Foto:sedlakphoto


Bozen ist (nicht) anders

Just am selben Tag als die drei Landeshauptleute ihr Resolutionspapier an den Kommissionspräsident überreichen, meldet sich Chiara Rabini mit einem ganz ähnlichen Anliegen zu Wort. Rabini sitzt für die Grünen/Projekt Bozen im Bozner Gemeinderat. Sie zeigt auf: Die Probleme, mit der sich die Landeshauptstadt konfrontiert sieht, sind dieselben, die es auch auf europäischer Ebene zu lösen gilt. Vor einigen Wochen ist ein Streit um die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb von Südtirol entbrannt. Bürgermeister Renzo Caramaschi fordert eine bessere Verteilung der Asylbewerber, die Südtirol über die staatliche Quote zugewiesen werden. Sie sollen gerechter zwischen den Gemeinden des Landes aufgeteilt werden, vor allem um Bozen zu entlasten. Die Stadt beherbergt derzeit 523 Flüchtlinge – etwa die Hälfte der in Südtirol aufgenommenen Asylbewerber. Die Flüchtlingsverteilung wird Thema eines Treffens des Gemeindenverbandes am 2. September sein. Ein solches hat Renzo Caramaschi zur Bedingung für den Verbleib der Gemeinde Bozen im Verband gemacht.

“Eine bessere Verteilung ist dringend und unumgänglich”, stimmen die Grünen/Projekt Bozen mit dem Bürgermeister überein. Zumal die kleinen Gemeinden Südtirols besonders erfolgreich in der Integration von Flüchtlingen seien. Rabini verweist auf ein Dekret, das die italienische Regierung am 3. August im Zusammenhang mit dem “Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati” (SPRAR) verabschiedet hat. Erklärtes Ziel des Dekrets: eine hohe Konzentration von Flüchtlingen vermeiden und eine faire Verteilung zu gewährleisten.

Die jüngsten Daten zum Flüchtlingsaufnahme in Italien hat Il Sole 24 Ore in einer Grafik zusammengefasst.

Dazu soll es in Zukunft keine Einrichtungen für mehr als 50 Menschen geben, sondern die Unterbringung in Mirkostrukturen gefördert werden. Zudem sollen jene Gemeinden und Provinzen ausgezeichnet und gefördert werden, die am SPRAR-System teilnehmen. Bekanntlich nimmt die Provinz Bozen und ihre Gemeinden nicht Teil des SPRAR-Programms. Geht es nach den Grünen/Projekt Bozen soll sich das künftig ändern. Denn: Auf ihren Vorschlag hin wurde das Vorhaben, gemeinsam mit dem Land die Möglichkeiten und Chancen dieses SPRAR-Modells auszuloten, in das Koalitionsprogramm der Bozner Stadtregierung aufgenommen.


An alle denken

Doch in Bozen gibt es in Sachen Flüchtlinge noch mehr zu tun, erinnert Chiara Rabini: “Hier werden Flüchtlinge offensichtlich auf zwei verschiedene Arten behandelt: Es gibt Flüchtlinge der Kategorie ‘A’ und jene der Kategorie ‘B’.”. Zu zweiterer zählt sie die so genannten Flüchtlinge “fuori quota”. Die Anzahl jener Geflüchteten, die aus dem italienischen System der Flüchtlingsbetreuung “herausfallen” und sich zur Zeit auf dem Gemeindegebiet von Bozen aufhalten, ist mittlerweile auf 300 angestiegen. Weniger als die Hälfte dieser “fuori quota” haben im Ex-Lemayr-Gebäude und nahe der Salewa in Bozen Süd Unterkunft gefunden. Doch die Zustände dort sind zum Teil bedenklich, wie nicht nur die jüngste Aktion auf dem Landhausplatz zeigte: zu wenig Platz, niemand, der sich für diese Menschen zuständig fühlt und keine Möglichkeit, auch am Tag die Unterkünfte zu nutzen.

Inzwischen wurde eingerichtet, das die Menschen auch einen Teil des Tages in den beiden Hallen verbringen dürfen. Doch mehr als eine Übergangslösung können diese Einrichtungen nicht darstellen, wie Chiara Rabini betont: “Sie sind keine Zentren für Asylbewerber, da hier den Flüchtlingen all jene zusätzlichen Maßnahmen, die eigentlich vom Gesetz vorgesehen sind, nicht angeboten werden. Zusätzliche Maßnahmen wie Sprachkurse oder Freizeitbeschäftigungen werden bisher von Freiwilligenvereinen organisiert. Die übrigen Asylsuchenden leben weiterhin auf der Straße.”

Dies schaffe große Unsicherheit, warnen die Grünen/Projekt Bozen, zudem ergäben  sich immer wieder Probleme im Zusammenleben zwischen Flüchtlingen beziehungsweise Asylsuchenden und der Bevölkerung der Stadt. Die Grünen/Projekt Bozen fordern die verantwortlichen Institutionen daher auf, “diese Situation so rasch als möglich zu beseitigen, besonders hinsichtlich des bevorstehenden Winters”.