"Die Gunst ist ihm zu Kopf gestiegen"
Salto.bz: Herr Meiler, war die Krise zwischen Lega und M5S vorhersehbar und was lässt sich nun im Nachhinein über den Charakter der nun zerbrochenen Regierung aussagen?
Oliver Meiler: Die Krise war vorhersehbar, ja, sie kam aber in einem völlig überraschenden Moment. Mitten im Sommer, so etwas hat es ja noch nie gegeben. Vielleicht wird der Grund des Timings dann irgendwann einmal klar, noch aber ist es ein Mysterium. Salvini hatte gerade erst sein Decreto Sicurezza bis durchs Parlament gebracht, die Cinque Stelle waren an seiner Seite. Und bei der Tav hat die Lega auch gewonnen, obschon die Sterne eine eigene Motion einbrachten. Es gab also kein inhaltliches, politisches Motiv für den Bruch - außer eben dem Drang zu Neuwahlen.
Wichtig wäre, dass ein Bündnis der PD und den Cinque Stelle die Paradethemen Salvinis, also Immigration und Aversion gegen Europa, nicht offen lässt, sondern neu besetzt.
Staatspräsident Mattarella lässt momentan sondieren, ob eine neue Mehrheit im Parlament zusammenkommen könnte. Falls es bis zur nächsten Woche zu einer Einigung zwischen Partito Democratico und Movimento Cinque Stelle kommen sollte: wie könnte das Mehrheitsbündnis zwischen den zwei Parteien aussehen? Könnte es bis zum Ende der Legislaturperiode 2023 halten?
Zunächst gibt es da diesen Kitt: Keine der beiden Parteien will und kann es sich leisten, jetzt neu zu wählen. Die Cinque Stelle würden dramatisch verlieren, die Sozialdemokraten hätten kaum Aussicht auf die Regierung. Es gibt aber auch programmatisch viele Schnittstellen: sozial- und wirtschaftspolitisch etwa. Eine solche Regierung müsste sich eine völlig neue Prägung geben: grün, sozial, verlässlich auf internationaler Bühne. Wichtig wäre, dass sie die Paradethemen Salvinis, also Immigration und Aversion gegen Europa, nicht offen lässt, sondern neu besetzt. Bis 2023? Keine Ahnung, das hängt von so vielen Faktoren ab, unter anderem auch davon, ob Matteo Renzi das Experiment für die ganze Zeit mittragen würde.
Welche politische Zukunft hat der nun Ex-Vizepremier Luigi di Maio?
Er ist Capo politico, gewählt für sieben Jahre. Aber natürlich ist sein Gesicht unlöschbar mit jenem Salvinis verbunden, mit der Regierung aus Lega und Cinque Stelle. Ja, er hat die Seele der Sterne Salvini verkauft, das wird wohl ewig auf ihm lasten. Wenn es ihm jetzt gelingt, die Allianz mit dem PD auf den Weg zu bringen, bessert er seine Bilanz. Doch das Image bleibt.
Im Falle von Neuwahlen: wie wahrscheinlich ist eine Lega-Regierung?
Die wäre ziemlich wahrscheinlich, vor allem wenn es sehr bald Neuwahlen gibt.
Verliert Salvini durch sein politisches Hin und Her – durch den Rückzug des Misstrauensvotums, den Alleingang, dann die verspätete Bereitschaft zur Kooperation – nicht deutlich an Sympathie und Glaubwürdigkeit?
Seine Gunst im Volk ist ja kein Hirngespinst, obschon sie ihm offensichtlich in den Kopf gestiegen ist. Er hat wahrscheinlich noch immer etwa 30 Prozent, selbst wenn er etwas verloren hat mit dieser Krise im August und seinem nicht sehr geschickten Krisenmanagement, um es gelinde zu sagen. Eigentlich offenbarte sich Salvini als ziemlich schwacher Politiker. Propaganda aber kann er gut. Und in einem Wahlkampf wäre er wohl wieder stark, so man ihm seine Themen überlässt.
Sie schreiben für die Süddeutsche Zeitung. Dass der Blick in Deutschland auf die Person Salvini tendenziell kritisch ist, zeigt vor allem das große Thema Immigration, geschlossene Häfen, der Umgang mit der Sea-Watch und jetzt mit Open Arms. Wie wird Salvini in Deutschland während der Regierungskrise wahrgenommen?
In Deutschland gibt es schon immer eine Sehnsucht nach Süden und nach Italien, das hat auch mit den Italienern zu tun, die vielen Deutschen so viel eleganter und leichtfüssiger vorkommen, um es mal pauschal zu sagen. Salvini ist der Gegenentwurf, eine wandelnde Antithese des, zugegebenermassen, klischierten Italieners, wie man ihn im Norden gerne sieht: laut, vulgär. Allein deshalb verstört seine Figur.
Salvini schaffte es, Dinge in den Italienern zu wecken, von denen sie vielleicht nicht einmal wussten, dass sie sie in sich hatten, und er befeuerte die Wut.
Salvinis Erfolg ist nicht nur anhand seiner politischen Handlungen zu erklären, sondern auch über seine Kommunikationsstrategie auf den sozialen Medien und der von ihm benutzten Symbolik, wie der oft geküsste Rosenkranz. Inwiefern beeinflussen diese Faktoren die öffentliche Meinung in den Zeiten der Krise?
Seine Kommunikation der letzten Jahre war, bei aller Abscheulichkeit der Kampagnen und der Vulgarität, eine Meisterleistung - eine taktische, politische. Er schaffte es, Dinge in den Italienern zu wecken, von denen sie vielleicht nicht einmal wussten, dass sie sie in sich hatten, und er befeuerte die Wut. Das war teuflisch genial - und hat Italien in die Niederungen von Ressentiments, Zorn und Neid gerissen, wo er sie dann wieder bediente mit seinen einfachen Rezepten. Ja, die Strategie in den sozialen Netzwerken, dank seiner „Bestia“ und Luca Morisi, war ein wichtiger Teil seines bisherigen Aufstiegs. Er gab sich gerne wie einer vom Volk, mit diesen Posts beim Essen, mit seinen Kindern, mit nacktem Bauch - das zahlte sich aus.
Interessant war auch ein Post Salvinis auf Instagram nach der Rede Contes, in dem er seine Amtsniederlegung bekannt machte: Ein Video, in dem alles danach aussah, als ob Conte sich bei Merkel Hilfe suchen würde, Salvini zu stürzen, woraufhin er im Gegenzug Merkel seine Loyalität zusagte. Kurz danach stimmten die Cinque Stelle Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin zu. Salvini hat es nun so ausgelegt, als ob Conte die 5 Stelle zur Zustimmung angeregt hätte, als Gegenleistung für Merkels Hilfe. Ganz, als ob er Opfer einer Verschwörung zwischen Angela Merkel, Conte und M5S geworden sei.
Er schlüpft nun in die Rolle des Opfers, das ist die beste, die ihm im Moment gerade geblieben ist. In die Situation hat er sich allerdings höchst selbst manövriert - ohne Verschwörer.
Welche Rolle würde eine Lega-Regierung im europaweiten Erstarken von rechts-populistischen Parteien spielen?
Schwierig zu sagen: Die schwarze Koalition, wie sie Salvini vor den Europawahlen vorschwebte, hob ja nie ab. Nationalisten sind Nationalisten, das Internationale widerstrebt ihnen von Natur her.
So sehr sich viele Italiener immer mal wieder einen starken Mann wünschen: Sie sind dann auch immer schnell dabei, die Aufgeblasenen in die Wüste zu schicken.
Conte hat bei seiner Amtsniederlegung Salvini in seine Schranken gewiesen. Wieviel Wichtigkeit wird der verfassungsmäßigen Ordnung in Italien noch beigemessen?
Mir scheint, als funktioniere die Verfassungsordnung ganz gut: Man sieht es in diesen Tagen. Der Staatspräsident nimmt die Geschicke in die Hand, die parlamentarische Republik kann auch eine andere Mehrheit hervorbringen. Natürlich: Die Sprüche der Politiker könnten zuweilen nahelegen, dass es nicht so ist, ihr Respekt für die Institutionen ist gering. Doch vielleicht schadet Salvini ja auch seine Forderung nach „pieni poteri“. So sehr sich viele Italiener immer mal wieder einen starken Mann wünschen: Sie sind dann auch immer schnell dabei, die Aufgeblasenen in die Wüste zu schicken.