Culture | In memoriam

10 Punkte für Manuel

Einen Anfangspunkt zu finden, im Nachhinein zu rekonstruieren, wo ich Manuel das erste mal begegnet bin, oder wann genau das letzte Mal war hatte ich mir vorgenommen.
Manuel Lavoriero
Foto: Südtiroler Autorinnen und Autorenvereinigung
Fakt ist, dass ich es nicht mehr genau weiß, aber beides war wohl auf oder um eine Slam-Bühne herum, wo sich die Menschen immer auch ein Stück weit anders geben, Unsicherheiten kaschieren, Stärke nach außen tragen. Bei Manuel zählte zu seinen echten, nicht aufgesetzten Stärken sicher seine Begeisterungsfähigkeit, die in zwei Richtungen ging: Er ließ sich anstecken und steckte wiederum andere an.
Er war, auch wenn es spät von einem Poetry Slam Abend im Ost West Club gemeinsam im Auto von Meran nach Bozen ging, aufgekratzt und enthusiastisch, unabhängig davon, ob er sich auf den ersten oder hinteren Plätzen hatte einordnen können und neidete niemandem den Erfolg.  Selbst bestochen hatte er meist mit humorvollen Texten, denen es nicht an Tiefgang fehlte und die etwas Kritisches zu sagen hatten. Es war für Manuel okay, wenn jemand an einer Provokation Anstoß nahm, solang es auch ein Denkanstoß war. Schlappen, recht selten wie sie waren, auch weil sich Manuel immer akribisch auf seine Auftritte vorbereitete, was Körpersprache und Text anbelangte, schienen für ihn eine Herausforderung zu sein. Manuel war sich aber auch nicht zu schade, mit einem Text auf die Bühne zu gehen, für den ihn die Inspiration kurz vor dem Auftritt gefunden hatte und bei dem die Tinte kaum trocken und ein Auftritt noch nicht einstudiert war. Er stand für seine Texte auf der Bühne, mehr noch als mit ihnen, vermittelte Überzeugung und Leidenschaft.
Einmal - es muss schon länger her sein, Manuel war damals noch recht frisch auf den Slam-Bühnen des Landes - sprachen wir davon, dass wir beide gern beim Bäckerei Poetry Slam in Innsbruck einen Sieg und die Trophäe (eine zwei Liter Flasche Bier) mit nach Hause nehmen würden. Manuel hat in diesem Kontext von einem Slam auf einen anderen Level gesprochen, und Szene-Kenner wissen, dass der Innsbrucker Traditions-Slam unter Markus Köhle zu den wichtigsten nördlich des Brenners zählt. Ich weiß nicht, ob ihm auf dieser Bühne je ein Sieg vergönnt war, in Erinnerung geblieben war mir das Gespräch aber auch nicht deshalb. Während ich im Qualitätsunterschied zwischen meinen Auftritten und denen der Bäckerei Slammer:innen tendenziell einen Hinderungsgrund sah, lag für Manuel darin einen Ansporn besser zu werden. Das wurde er auch: Man hatte das Gefühl, dass sich Manuel nicht mit einer gleichbleibenden Leistung zufrieden gab, sondern über sich selbst hinaus wachsen wollte. Dennoch urteilte er nicht über andere, machte mit seinem anhaltenden Streben nach Selbstverbesserung niemand anderen klein.
 
 
Dass ich Manuel vom Slammen her kannte, macht mich etwas traurig darüber, dass wir uns in einem Umfeld kennen lernten, wo die Gesprächs-Themen oft recht spezielle waren. Wir hatten etwa nie eine Gelegenheit uns gemeinsam über Tolkien nerdy zu sein. Wir schrieben eine Zeit lang auch für den selben, großen Südtiroler Medienkonzern, er online und im Print, ich fast ausschließlich im Kulturbereich des Printprodukts, ohne dass wir als externe Mitarbeiter dazu gekommen wären uns über unsere Ansichten zum Journalismus auszutauschen. Aber Manuel war nicht nur Slammer oder journalistisch aktiv, Manuel war auch Musiker: Instrumente sind auf der Slam-Bühne den Regeln nach ja keine erlaubt und die meisten von ihnen wären ohnehin zu klein für ein Klavier gewesen. Auch so lernte ich Manuel also nicht näher kennen. Nicht direkt, zumindest, da er sich auch mit Filmmusik von Kurzfilmen beschäftigte, wo sich das eine oder andere online noch hören lässt, unter anderem auch bei „Desiderium“ von Salto-Filmrezensenten Christoph Waldboth.
Es gibt noch viele andere Dinge, über die ich gerne mit Manuel gesprochen hätte: Durch die Selbstbeschreibung Manuels, die sein Vater im Alto Adige veröffentlichen ließ, weil sich das Thema Suizid nicht totschweigen lässt, weiß ich, dass es in den Geschichten, die Manuel als Kind schrieb um einen kleinen Hasen und einen faulen Koala ging. In meinen ging es um einen Rochen, was die Möglichkeit einer Bewegung zwar ohnehin ausgeschlossen hätte, aber so konnten wir nie über unsere ersten Gehversuche als Geschichtenerzähler lachen. Die Pandemie kam auch noch, die, mit Auflagen viele Potenz Slams in kleinen Innenräumen unmöglich machte und dafür sorgte, dass sich die Mitglieder der Slamily eine Zeit lang nicht sahen, was für Manuel, der wenige Gelegenheiten in Südtirol auf die Bühne zu gehen ausließ, sicher auch schwierig war.
Bei Manuels Beerdigung habe ich erst verstanden, wie vielen Menschen er wieviel verschiedenes bedeutet hat und das nur ansatz- oder auszugsweise. Manuel war ein kreativer, immer auf Fairness bedachter Mensch mit vielen Seiten und Talenten.
Meinen Vorsatz über das Schreiben eines Texts einen Anfangs- oder Endpunkt zu finden kann ich getrost aufgeben: Darum geht es nicht. Verstanden hat das auch eine Gruppe von Menschen, die, wie ich, mit Manuel die Bühnenbretter und wertvolle Stunden abseits von diesen teilen durften und mit der Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung eine Veranstaltung ausrichten. So soll an diesem Samstag um 20 Uhr auf Schloss Maretsch Manuel noch einmal gefeiert werden. Dort hatte Manuel 2017 erfolgreich den Titel als bester Slammer bei der Südtiroler Landesmeisterschaft verteidigt. Der Ort stimmt also, für ein Zusammentreffen, das Manuel sicher gefallen hätte und bei dem es nicht um verpasste Chancen gehen wird, sondern um das Geschenk der Zeit, die wir mit ihm hatten. 10 Punkte und ein auf das Wertungskärtchen gezeichneter Schmetterling für Manuel Lavoriero.