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Zweisprachige Zeitschrift

Die Zeitschrift "Geschichte und Region/Storia e regione" gibt es seit 30 Jahren. Ein Gespräch mit Michaela Oberhuber über die Jubiläumsfeier, Fußnoten und rote Fäden.
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Foto: Geschichte und Region/Storia e regione

salto.bz: 1992 gründeten in Bozen junge Historikerinnen und Historiker beider Sprachgruppen die Zeitschrift „Geschichte und Region/Storia e regione“. Seit 2014 sind Sie geschäftsführende Redakteurin der Zeitschrift. Mit welcher Ausgabe haben Sie „Geschichte und Region/Storia e regione“ kennengelernt?

Michaela Oberhuber: Oh je, ich muss zugeben, dass ich Geschichte und Region/Storia e regione so richtig eigentlich erst kennengelernt habe, als ich mich für die Bewerbung auf eben diese Stelle vorbereitet habe. Klar, ich kannte die Zeitschrift vom Namen her schon vorher, aus meiner Studienzeit. Aber ich komme ja eigentlich aus der Alten Geschichte und habe mich vorher eben mit Antike und der althistorischen Historiografiegeschichte beschäftigt – da gab es keine allzu großen Berührungspunkte. Übrigens eine kleine Leerstelle der Zeitschrift, an deren Behebung wir bereits konkret arbeiten, denn wir sind in den Vorbereitungen für ein Heft über die Antike im Alpenraum. Mehr dazu dann 2024.

30 ist ja noch gar kein Alter, da fängt die gute Zeit ja erst an.

Über 50 Hefte sind in den vergangenen drei Jahrzehnten erschienen. Wie blicken die Geschichts-Schreiber*innen auf die eigene Geschichte? Wie jung will man sich mit 30 geben? Wie altbacken kommt man vielleicht – für Desinteressierte und Kritiker – daher?

Altbacken? Also wollen wir zunächst mal nur das Aussehen betrachten, da muss ich ein großes Dankeschön an Arnold Mario Dall’Ò ausrufen, er gestaltet die Covers unserer Hefte und die geben uns schon mal ein sehr junges Äußeres, nicht wahr? Aber auch das Innere, das auf den Seiten zwischen den Buchdeckeln, würde ich nicht als „altbacken“ bezeichnen: Die Hefte widmen sich aktuellen Themen wie der Migration, den Geschlechterverhältnissen, Grenzräumen, der Geschichte der Gewalt, oder fragen, wie soziale Identitäten außerhalb der eigenen „Heimat“ konstruiert wurden oder welche Rolle Regionen in einer globalen Welt zukommt. Die Zeitschrift ist seit ihren Anfängen offen für neue, innovative geschichtswissenschaftliche Methoden und Themen. Übrigens muss sich Geschichte und Region/Storia e regione ja gar nicht jung geben: 30 ist ja noch gar kein Alter, da fängt die gute Zeit ja erst an.

 

Wie funktioniert der seit jeher durchgezogene sprachgruppenübergreifende Ansatz der Zeitschrift?

Den Gründungsmitgliedern – zu denen übrigens deutsch- wie italienischsprachige Historiker:innen gehörten – war die Zweisprachigkeit der Zeitschrift von Anfang an sehr wichtig. Zum einen sollte dies die getrennte, zur Einseitigkeit tendierende Geschichtsschreibung überwinden. Zum anderen wollte die Zeitschrift von Anfang an als Plattform zwischen den beiden Sprach- und Wissenschaftsräumen dienen, also Erkenntnisse aus der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft in den italienischsprachigen Raum vermitteln und umgekehrt. Konkret sieht das so aus, dass wir in den Redaktionssitzungen dem Prinzip der passiven Zweisprachigkeit folgen, das heißt, jede:r spricht in der eigenen Sprache und wir verstehen uns. In der Zeitschrift selbst schlägt sich die Zweisprachigkeit in unseren Bemühungen nieder, in jedem Themenheft mindestens zwei Artikel in deutscher und in italienischer Sprache zu veröffentlichen. Hinzukommt, dass jeder Artikel ergänzt wird durch eine längere Zusammenfassung seiner wichtigsten Punkte – in der jeweils anderen Sprache. Somit ermöglichen wir auch Personen, die nicht beider Sprachen mächtig sind, alle Texte unserer Zeitschrift verstehen und rezipieren zu können.

 

Ist der mehrsprachige Zugang zu historischen Themen der einzige rote Faden der sich bis in die jüngste Ausgabe zieht?

Es ist einer von mehreren. Ein anderer liegt im Vergleich zwischen den Regionen. Bereits im ersten Heft wurden die Vorteile der komparativen Perspektive betont: Man beugt ganz einfach einer Scheukappen-Sicht auf die eigene Vergangenheit vor, wenn man schaut, wie ähnliche historischen Phänomene anderswo funktioniert haben. Vor allem aber ermöglicht der Vergleich den Kontext zu erfassen. Bis heute sind also die Themenhefte so aufgebaut, dass verschiedene Regionen zu dem jeweiligen Überthema untersucht werden, um eine Vergleichsbasis zu schaffen.
Ein anderer roter Faden, der sich von den ersten Heften bis in die Gegenwart zieht, ist das besondere Begriffsverständnis von „Region“ – ein wichtiges Charakteristikum der modernen Regionalgeschichte. Region meint dabei eben nicht ein a priori feststehendes, verwaltungs-politisches Territorium, sondern verweist darauf, dass Bezugsräume immer erst und immer wieder neu durch Menschen konstruiert werden. Das bedeutet also, dass, je nachdem für welchen Aspekt der Vergangenheit man sich interessiert, auch der Untersuchungsraum, also die Region, ein jeweils anderer ist. Die Frage, wie Menschen solche Räume sozial konstruieren, ist also auch ein roter Faden unserer Zeitschrift.

Bei der rückläufigen Zahl an Menschen die sich zu Historiker*innen ausbilden lassen sieht die Zukunft der Historiker*innen-Zunft nicht gerade rosig aus. Gibt es Nachwuchssorgen?

Ja, schon. Dies ist aber, denke ich, kein spezifisch geschichtswissenschaftliches Phänomen, sondern betrifft wohl viele geisteswissenschaftlichen Fächer. Dabei sind gerade in einer beschleunigten Welt geisteswissenschaftliche Kompetenzen, wie etwa Zusammenhänge herzustellen oder auf Kontexte zu achten, wichtig um Komplexitäten anzuerkennen. Die Nachwuchssorgen haben vor allem ihre Ursache in einem strukturellen Problem, auf das die „Ich-bin-Hannah-Debatte“ bereits seit über einem Jahr kontinuierlich hinweist: Einstieg in die Wissenschaft bedeutet vor allem sich für ein Leben im Prekariat, ohne Planungssicherheiten, aber mit Arbeitsüberlastung, starkem Konkurrenzkampf und häufigem Ortswechsel zu entscheiden. Solange die (geschichtswissenschaftliche) Forschung also nicht verlockendere Jobs anbietet, werden wir Nachwuchssorgen haben.
Bei Geschichte und Region/Storia e regione versuchen wir Netzwerke zu schaffen, um junge Historiker:innen stärker einzubinden. Die von uns organisierten Bozner Gespräche zur Regionalgeschichte etwa sind als Plattform speziell für den regionalhistorischen Nachwuchs gedacht, um einen hierarchiefreien Austausch- und Diskussionsraum zu ermöglichen.

...in den Fußnoten treffen sich Akademiker zum Prügeln und zum Schmusen.

Beim Jubiläumsfest steht auch eine Diskussionsrunde zu einer (post)kolonial ausgerichteten Regionalgeschichte auf dem Programm. Was ist zu erwarten?

Auf diese Gesprächsrunde bin ich schon sehr gespannt. Man schüttelt ja zunächst mal zweifelnd den Kopf, denn was soll Regionalgeschichte denn mit Kolonialgeschichte zu tun haben, Kolonialismus, dahinter stehen ja die großen Imperien, aber doch nicht die kleinen Regionen – so könnte der erste Gedanke lauten. Aber dass es da eben schon Zusammenhänge gibt, darauf haben unter anderem die Referent:innen, die wir eingeladen haben, in ihren Arbeiten gezeigt: Jan Surman etwa interessiert sich dafür, wie sich die historische Erzählung über Galizien ändert, wenn man sie durch die Brille der Postcolonial Studies betrachtet; Stefanie Michels hat sich mit den (kolonialen) Verbindungen zwischen zwei Regionen, dem Rheinland in Deutschland und dem Grasland in Kamerun beschäftigt. Und Sebastian De Pretto bringt die Südtiroler Geschichte in diese Betrachtungen ein. 

Das Thema der (italienischen) Kolonialgeschichte steht beim Festakt zudem im Mittelpunkt des Theaterstücks „Zibaldino Africano“ von Elvira Frosini und Daniele Timpano. Es geht um alte Denkmuster in unserer Gegenwart. Beängstigend?

Beängstigend könnte es sein, wenn wir die Augen verschließen und uns dem nicht stellen wollten. Aber genau deshalb holen wir dieses Theatergruppe ja auf die Trostburg: Das Theater lässt uns manchmal auf unmittelbare Weise Widersprüche und Verschränkungen in unseren Denkmustern wahrnehmen.

Die Korrekturfahnen des nächsten Heftes liegen vor mir, im Herbst wird es erscheinen, sofern der aktuelle, globale Papiermangel uns keinen Strich durch die Rechnung macht.

Noch eine Fußnote zum Festakt?

Fußnoten sind ja was Schönes. Erst kürzlich haben Aurelia Brandenburg und Katharina Prager auf Twitter geschrieben, in den Fußnoten treffen sich Akademiker zum Prügeln und zum Schmusen. Und tatsächlich ist das Lektorieren von Fußnoten eine meiner Lieblingsaufgaben im Rahmen meiner Arbeit. Gerne nutze ich also dieses Fußnoten-Angebot für einen kleinen Hinweis: Nehmt euch für das Theater unter dem Sternenhimmel einen Klappstuhl mit!

Was kommt in die nächste Nummer? 

Die Korrekturfahnen des nächsten Heftes liegen vor mir, im Herbst wird es erscheinen, sofern der aktuelle, globale Papiermangel uns keinen Strich durch die Rechnung macht. Darin geht es um Kontaktzonen im zentraleuropäischen Raum, wie der heutigen Ukraine, Serbien, Istrien und auch dem historischen Tiroler Raum. Die Artikel untersuchen die unterschiedlichen Formen von Kulturkontakten in diesen Regionen und fragen etwa danach, welche Machtstrukturen diese Kontakte prägten oder auch welche Handlungsspielräume den involvierten Personen offenstanden. Alexander Piff etwa beschäftigt sich mit einem interessanten Beispiel von Kulturkontakt in „unserer“ Region: Er beschreibt, welche Rolle dem Fahrrad in den nationalistisch aufgeladenen Grenzdebatten um 1900 zukam.


 

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Giancarlo Riccio Mon, 08/22/2022 - 15:03

Questo è giornalismo di approfondimento molto accurato e ben scritto. E questo è anche uno dei suoi focus più attraenti e utili. Fino ad ieri non si poteva prescindere da questa rivista "non solo" bilingue. Da oggi non si può prescindere neanche da articoli come questo. Dunque, due volte Grazie.

Mon, 08/22/2022 - 15:03 Permalink