Society | Türkei

Dress-Code

Pünktlich zum islamischen Bayram-Fest färben sich die Einkaufsstrassen in der Istanbuler Altstadt schwarz ein. Tausende von Frauen aus den Arabischen Emiraten und Katar sind zu Besuch.

Die Türkei ist ein islamisches Land, trotzdem aber relativ offen und tolerant, was die Sitten betrifft. Deshalb strömen zu den traditionellen islamischen Festen Massen von wohlhabenden Arabern aus den wahabitisch-radikal-islamischen Nachbarstaaten ins Land, in dem sie ungehemmt einkaufen , essen und trinken können. 

Sichtbarer Ausdruck dieser Touristenströme sind die vielen vollverschleierten Frauen, die den Istiklal Caddesi, die Haupteinkaufsstrasse von Istanbul bevölkern. Immer wieder : schwarze Löcher inmitten der Menschenmassen, in Form von Frauengruppen mit dem Niqab, dem Gesichtsschleier, der ebenso schwarz ist, wie die restliche Vollverschleierung.

Schwarz ist die Farbe der Pantomine, also der Kunst, sich auf der Bühne unsichtbar zu machen. Und unsichtbar sollen und - wollen offensichtlich auch - die Frauen sein, die mit dieser Vollverschleierung ausgestattet sind.  Selbst die Augenschlitze werden meist verhüllt, durch grosse Brillen oder ein senkrechtes, schwarzes Bändchen, das die Haut zwischen den Augen bedeckt.

So weit geht die Verschleierung mittlerweile, dass nun auch die Hände durch feste schwarze Handschuhe vor den Augen Fremder verborgen werden . Und das alles bei einem mittleren Temperaturwert von 29 Grad derzeit in Istanbul.

Vor diesen schwarz verhüllten Frauen marschieren dann die Herren der Schöpfung,  die Gatten von einer  - oder je nach Vermögensgrad mehreren Frauen - einher : mit Marken-Shorts, Marken - Polohemden, Marken-Mokassins - richtig sommerlich gekleidet, wie normale Sterbliche.

Während die Männer genüsslich ihr Eis schlürfen, müssen die "Unsichtbaren" mit einer Hand ihren Gesichtsschleier  aufheben , um darunter mit der anderen Hand das Eis zu schlecken. Meist tropft es auf den Rest der Verschleierung, die Frauen helfen sich gegenseitig, die Flecken sofort wegzumachen.

Unsichtbar sind die arabischen Frauen allerdings nur in der Öffentlichkeit. Kein Fremder darf sie anschauen, nur die Familienmitglieder im Inneren des Hauses.  Dort dürfen die Frauen dann alles tragen, was ihnen draussen verwehrt wird: enge Jeans, ausgeschnittene Blusen und Kleider, sexy Unterwäsche, hochhakige Schuhe: aber nur für die Augen ihres Herrn und Gebieters, des Ehemanns.

Europäisch erzogene türkische Freundinnen haben mich darauf hingewiesen, dass es sich um "seitenverkehrte " Sitten handelt. Während sich die  Niqab - Frauen verhüllen, wenn sie das Haus verlassen ,  bretzeln wir Europäerinnen uns erst richtig auf, wenn wir  ausser Haus gehen. 

 Sobald wir dann wieder das Haus oder die Wohnung betreten, stürzen wir uns in die Schlabber-Wohlfühl-Klamotten , die meistens nicht sehr elegant sind. Dagegen beginnt für die vollverschleierte Araberin das Schönmachen erst, wenn sie nach Hause zurückkommt. Der Ehemann und dessen mitwohnende Verwandte fordern, dass die Frau schick gekleidet  ist, wenn sie die Herren der Schöpfung bedient und die Kinder versorgt. 

Das bedeutet, dass sich auch die Vollverschleierten arabischen Frauen auf ihrem Türkei-Trip in Fashion-Victims verwandeln.   In den Super-Nobel-Ketten der grossen Istanbuler Einkaufszentren sieht man deutlich mehr verschleierte Frauen als Europäerinnen.  Mit der Kreditkarte des wohlhabenden Ehemanns wird dann richtig viel und teuer eingekauft.

Wenn die schwarz verhüllten Haremsfrauen  mit schwarzen Mini-Bussen ins Hotel zurückgebracht werden, brauchen sie Helfer, um die vielen Tüten und Pakete aufs Zimmer zu schleppen. 

Mit diesen Mini-Bussen ( die auch dunkel getönte Scheiben haben -man kann ja nie wissen !! ) werden die Frauen gewöhnlich vom Hotel zur obligaten Moschee-Visite nach Sulthanamet  gebracht und dann sofort in die Einkaufszentren gekarrt.  In ihren Herkunftsländern gibt es trotz des grossen Reichstums deutlich weniger Angebot als in der Türkei. Und ausserdem ist dort der Verzehr von gewissen Speisen und Alkohol in der Öffentlichkeit verboten.

Nicht so in der islamischen Türkei : trotz der hohen Steuern auf Alkohol wird er ausgeschenkt und darf ohne Angst vor Prügelstrafen konsumiert werden. Und überhaupt ist das Leben in Istanbul für Menschen, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder dem Katar leben, wunderbar offen und bunt.

Uns Europäerinnen hingegen erscheint Istanbul letzthin eher verschlossen und abweisend geworden zu sein.   Freundinnen, die mich besuchen, sind erstaunt über die vielen Hidschabs, also die Kopf- ( nicht die Gesichts- )Verschleierung, die in den letzten fünf Jahren  aufgetaucht sind.  

Meine Rai-Kollegin Isabella Cherubini, die mich im August in Istanbul besuchte, bemerkte zu Recht, dass diese zunehmende Verschleierung mit einer zunehmenden Missachtung der normalen Benehmensregeln gegenüber allen Frauen einhergeht.

Frauen werden regelrecht niedergerannt, wenn sie auf Gehsteigen oder engen Strassen nicht rechtzeitig vor einem männlichen Harems-Anführer ausstellen .  In Restaurants und Geschäften werden Frauen , sofern sie nicht blutjung und einheimisch sind,  einfach übersehen, nicht wahrgenommen, übergangen und meist hineingelegt, wenn es sich im Touristinnen handelt. 

Wenn irgendwo die Mäntel oder Jacken abgenommen werden : dann natürlich zuerst den Männern, dann bestenfalls den Frauen. Meistens müssen sich aber die weiblichen Mitglieder einer Gesellschaft selbst um die Ablage kümmern. Das Gleiche bei der Essensverteilung: zuerst die Männer, dann die Frauen.

Das gilt natürlich nicht für die europäisch geführten Istanbuler Restaurants, sondern für die sogenannten " traditionellen", türkischen Gastbetriebe.

Mir war es bisher ziemlich gleichgültig , wer als erster und in welcher Reihenfolge bedient wird und ob mir jemand in und aus dem Mantel hilft. Seit ich in Istanbul lebe, schätze ich Höflichkeit und korrektes Benehmen aber mehr denn je.  Wenn mir hier jemand die Tür aufhält, falle ich aus allen Wolken und es fehlt nicht viel, dass ich den Akteur dieser höflichen Geste vor Dankbarkeit umarme.

Insofern tut mir das Leben in Istanbul sehr gut. Es lehrt mich zu schätzen, was ich an unserem alten, wenngleich zerstrittenen Europa habe : an seinen Sitten, seiner Zivilisation, seiner Toleranz und an seiner - wenngleich letzthin etwas abnehmenden - Achtung vor den Frauen.       

 

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Sepp.Bacher Fri, 09/25/2015 - 11:21

Einerseits ganz interessanter Bericht; aber nicht ganz korrekt. Welcher der türkischen Nachbarstaaten ist "wahabitisch-radikal-islamisch"? Das trifft fast nur für Saudi-Arabien und z. T. für Qatar zu. Sicher aber nicht mehr für die VAE und für den Oman.
Aber eigentlich hätte ich mir jetzt von Oktavia Brugger etwas zu Griechenland nach dem zweiten Sieg von Zypras erwartet.

Fri, 09/25/2015 - 11:21 Permalink