Society | Homosexualität in Südtirol

Das Coming-Out unseres Sohnes – ein Vater erzählt

Schon vor zwei Jahren hatte er einen Aufruf gestartet. An mehrere Südtiroler Zeitungsredaktionen geschrieben. 14 Tage etwa ist es her, da platzte ihm der Kragen. Die homophoben Leserbrief in der Dolomiten ärgerten ihn, den Vater. Den Vater eines Sohns, der homosexuell ist. Er fordert Sorgsamkeit und Umsicht mit dem Thema "Schwulsein" "Lesbisch sein". Abgedruckt in der Tageszeitung Dolomiten wurden seine Forderungen bis heute nicht. salto.bz holt das nach. Das Thema brennt, nach wie vor.

Weder werde ich schreiben, wer ich bin noch woher ich komme.

Es ist verdammt schwer in einem kleinen Land wie Südtirol, in einem Dorf auf dem Lande, sich als Vater offen zu einer sexuellen Orientierung eines Kindes zu bekennen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht.

Das ist die Geschichte des Bekenntnisses unseres Sohnes:

An seinem 21. Geburtstag zeigt er der Mutter, mir und seiner Schwester einen Fernsehbericht vom bekannten österreichischen Journalisten Christoph Feuerstein über ein homosexuelles Männerpaar in einer Landgemeinde in Österreich. Und dann sein Bekenntnis: „Und ich fühle auch so!“ Da gehen uns die Augen auf und wir verstehen....seine Zurückgezogenheit, sein seltener gewordenes Lachen, seine Einsamkeit, seinen Jähzorn, seine undefinierbare Traurigkeit, seine Niedergeschlagenheit und sein oft bedrückendes Schweigen....das alles bekommt nun ein Gesicht.

Es ist verdammt schwer in einem kleinen Land wie Südtirol, in einem Dorf auf dem Lande, sich als Vater offen zu einer sexuellen Orientierung eines Kindes zu bekennen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht.

Und wir beginnen damit zu leben.

Voller Bitterkeit spricht unser Sohn öfter darüber, dass das Thema Homosexualität in den fünf Jahren seiner Oberschule in keinem Fach jemals ein Thema war. Geradeso, als ob es das nicht gäbe. Nach uns Eltern erzählt er seinem Taufpaten und der Taufpatin von seiner Veranlagung. Ein Stein ist ins Rollen gebracht. Die Offenheit, mit der diese Menschen das Outing annehmen, gibt uns und ihm Mut und Selbstvertrauen.

Stundenlang chattet er oft und stellt fest, dass es nicht nur in der weiten Welt des Internet sondern auch in der unmittelbaren Nähe im eigenen Dorf einige Menschen mit derselben Veranlagung gibt. Lauter junge Menschen, die meist zurückgezogen und unauffällig leben. Mit ihnen in persönlichen Kontakt zu treten traut er sich nicht.

An sein Auslandssemester in einer europäischen Großstadt hängt er ein Praktikum an und kommt erst nach einem drei Viertel Jahr wieder nach Hause.Unsere Sorgen und Ängste sind groß – das Leben in der Großstadt aber scheint für ihn einfacher zu sein als das Leben auf dem Lande.

Er ist und bleibt unser Sohn! Uns anvertraut mit seinen Hoffnungen und Lebensträumen.Was all unseren gleichgeschlechtlich liebenden Söhnen und Töchtern gemeinsam ist, das ist ihr Hunger und ihre Sehnsucht nach Toleranz. Nach jahrelangen Kämpfen mit sich und Zweifeln an sich wagen es manche, sich zu outen, andere tragen ihr Geheimnis oft zu lange allein, drohen daran zu zerbrechen und suchen im Suizid den letzten Ausweg.

Er ist und bleibt unser Sohn! Uns anvertraut mit seinen Hoffnungen und Lebensträumen.Was all unseren gleichgeschlechtlich liebenden Söhnen und Töchtern gemeinsam ist, das ist ihr Hunger und ihre Sehnsucht nach Toleranz.

Muss das so bleiben?

Oder sieht es in zehn Jahren -  im Jahr 2021 - vielleicht so aus? Ich träume:

Italien hat – unter einer neuen Regierung - längst mit den meisten anderen europäischen Staaten nachgezogen. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist legalisiert, die legale Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare steht vor dem Durchbruch. Unser Sohn lebt in einer festen Partnerschaft – wahrscheinlich wohl in einer Großstadt – hat seinen Weg ins Berufsleben gefunden – ist glücklich und freut sich des Lebens. Er besucht seine alten Eltern auf dem Land, staunt darüber, dass da alles noch beim Alten geblieben ist – kleinkariert und intolerant – und ist jedes Mal wieder froh, aus der Enge der Berge wieder auszubrechen.

Uns Eltern geht es gut damit. Sein Glück und seine Lebensfreude – das ist es, was für uns zählt.