Culture | Videospiele

Gewaltiges Unwissen

Videospiele und Gewalt gehören zusammen wie Südtirol und Speck: Man assoziiert eins mit dem anderen und übersieht Interessanteres. Wie sah Francesco Toniolo das Thema? Und wie präsentiert ein Gamer es einem gemischten Publikum?
Game Ground, Francesco Toniolo, 2024, Videogiochi e violenza
Foto: SALTO
  • Man kann einen Talk auch in ein strenges Raster stecken, damit möglichst viele Terminpunkte in einem Festival Platz haben. Zum relativen Abebben der Programmsaison hin in Richtung eines langsamer getakteten Kulturherbsts sollte es am vergangenen Wochenende in vielfacher Weise um das Medium Videospiel gehen. Vielleicht konnte auch deshalb nicht ausschöpfend über das Thema des Vortrags gesprochen werden. Aus dem heuer noch ausgiebiger als in den Vorjahren ausfallenden Game Ground-Programm haben wir uns vom Vortrag Francesco Toniolos ansprechen lassen: „La violenza nei videogiochi tra stampa e censura“.

    Von den möglichen Auslegungen wählte Toniolo – Dozent für „Forme e Generi del Cinema e dell’Audiovisivo“ an der Università Cattolica del Sacro Cuore di Milano – in der Umsetzung dabei eine für die Zuhörerschaft im Merkantil-Museum maßgeschneiderte Interpretation. Für einen perfekten Publikumsbeitrag fehlte lediglich das Anschauungsmaterial in Video, Bild und Ton. Aber man wollte wohl niemanden verschrecken, denn eines ist jedenfalls klar: Videospiele können ziemlich brutal ausfallen. Können.

    Übers „nicht müssen“ wurde bei Toniolos Talk nicht gesprochen. Statt dessen ging es um ein „sich verteidigen müssen“. In ironischer Manier trug der Vortragende ein Pokémon-Sakko, das die niedlichen „Starter“-Pokémon der ersten Generation (inklusive Pikachu) zeigt, um zu verdeutlichen, dass man so oder so von außen auf einiges an Unwissen stoßen wird. Das Beispiel habe Toniolo gewählt, weil die „Satanic Panic“, Ende der 90er am Abebben war und man diese so „fast unbeschadet“ überstanden habe.

    Aus heutiger Sicht mag es für Außenstehende und jüngere Kenner:innen der Multi-Media-Reihe Pokémon seltsam wirken, mit welchen Skandalen und Anschuldigungen sich die Macher und Fans  schon herumzuschlagen hatten: von Tele-Predigern zu einem Tele-Löffelverbieger aus Tel(e) Aviv… Die Liste ist absurd und absurd lange, was wohl auch mit einer gewissen Sichtbarkeit einhergeht, die Kritik am immerhin größten Media-Franchise der Gegenwart in Aussicht stellt. 

    Sichtbarkeit schenkte man am Freitagabend vor allem den Methoden der Berichterstattung zu Videospielen, vor allem von Journalist:innen, die sich, wenn überhaupt, nur oberflächlich selbst mit der Materie befassen. Man zitierte etwa einen Artikel von 1993 aus der Repubblica, in dem sich der Autor um die von Nintendo in den Westen exportierten „Werte“ sorgt, nachdem er eingangs die Omnipräsenz japanischer Geräte im Alltag moniert. Zu den Werten des Kulturbotschafters „Mario“ zitieren wir die Repubblica: „Mario insegna ai bambini che devono uccidere per non essere uccisi.“ Wenngleich man bei Mario die meisten Gegner auch einfach hinter sich lassen und links aus dem Bild watscheln lassen kann, so stimmt es wohl, dass viele, wenn nicht die meisten Videospiele auf Konflikt aufbauen, ob nun mit einem elektronischen Gegner oder gegen Mitspieler.

  • Foto: upi
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    „Mario insegna ai bambini che devono uccidere per non essere uccisi.“ 

     

    Sicher handelt es sich dabei nicht um die einzige Form, eine Geschichte zu erzählen, aber vielleicht um eine der ältesten und nach wie vor gängigsten. Auch für einen Film oder ein Buch ist der zentrale Konflikt oft unabdinglich. Sowohl Film als auch Literatur standen dereinst im Ruf, die Jugend zu verderben, sie verrohen oder abstumpfen zu lassen. Schade sind bei diesem Blick besonders die Scheuklappen. Wenn man schon nicht wirklich über Gewalt in Videospielen sprechen will, sondern lieber einen Blick von außen auf das Hobby wiedergeben möchte, dann ist es schade, dass man über gewalt- und oder konfliktfreie Videospiele nicht spricht.

    Aber wenn selbst die süßen, kleinen Pokémon mit Satan in Verbindung gebracht werden, wie soll das gehen? Lieber noch eine Story Made in Italy, die zeigt, dass auch Horrorspiele in der Klasse 18+ nicht sicher vor einem medialen Aufschrei und Desinformation sind: Panorama „schenkte“ 2006, ohne den Titel des Spieles zu nennen, dem für die PlayStation 2 erschienenen „Rule of Rose“ seine Titelgeschichte: „Vince chi seppellisce viva la bambina.“ Blöd nur, wenn das so nicht stimmt, aber dennoch ein internationales Medienecho nach sich zieht. Und auch sonst, was der damalige Chefredakteur des Blattes über das „für das jüngste Publikum schädliche“ Spiel ohne Jugendfreigabe gibt, ist bestenfalls ungenau. Man beruhigt jedenfalls sein Publikum im Merkantil-Museum damit, dass die Szene des Surrvival Horrorspiels, auf welche die Schlagzeile des Boulevardblatts abzielt, nicht das „Ziel“ oder „Ende“ des Spiels sei.

    Da kann der Gamer und Dozent gut lachen, wenn er den Scan eines Artikels oder einer Titelseite vorführt und gefährliches Halbwissen berichtigt. Dabei baut man sich eine Insidergruppe auf und die Unwissenden, die außen stehen, werden abgegrenzt. Die Frage, die am Ende bleibt, ist, wie kann es gelingen, Themen wie Gewalt in Videospielen offen und ehrlich, aber auch für einen differenzierten Außenblick offen auszudiskutieren? Vorurteile gibt es ja genug, da könnte man genauso daran arbeiten, sie ein Stück weit zu entkräften. Oder, wenn man mutig ist, wieder mal zu schauen, wo und wie Gewalt als Stilmittel, Motiv oder Teil des Spielprinzips verwendet wird und wie sie auch ausgespart werden kann.

  • Blue Scuti: Der Erfolg des 13 jährigen Tetris-Spielers aus Amerika zog großes Medienecho nach sich – und auch viel Häme. Foto: SALTO
  • Ganz gewaltfrei, aber auch ein Beispiel des Abends, sollte Tetris sein. Es ging aber um einen Weltrekord und auch damit wieder um Wettkampf. Anfang des Jahres machte die Nachricht die Runde, dass es einem 13-jährigen, professionellen Tetris-Spieler aus Oklahoma gelungen war, als erster einen neuen Weltrekord für die Nintendo Entertainment System (NES)-Version aufzustellen. Wie so häufig folgten andere Spieler, die dadurch angetrieben wurden und den Rekord bald einstellten, „Blue Scuti“ kämpfte sich zurück und liefert sich derzeit ein Rennen um den aktuellen Weltrekord. Die Nachricht ging dennoch auch deshalb so rasch um die Welt, weil sich die Geschichte von einem, der ein endloses Spiel „schlägt“, gut anhört. Die Wahrheit ist eher, dass eine Grenze überquert wurde: Am Ende ist der Junge auf eine theoretische Wand gestoßen, einen Fehler im Code, von dem man durch in- und auswendig Lernen des NES-Codes von 1988 wusste, dass er da sein würde und zu einem Absturz des Programmes führen sollte. Als erstes gelang es dem jungen Spieler am 21. Dezember des Vorjahres ohne Hilfsmittel (und zusätzlichen Sauerstoff) ans Ziel zu gelangen, den sogenannten „Killscreen“ (Stichwort: Gewalt!) auf Level 155. Zu erklären, wie beeindruckend das ist, würde den Rahmen des Artikels sprengen. (Detaillierter Blogeintrag auf Englisch für Nerds

    Dem Jungen, den die plötzliche Medienaufmerksamkeit vermehrt vor die Kamera holte, riet eine Fernsehreporterin bei Sky News, er möge doch „Gras berühren gehen“. Der Ratschlag aus dem Onlinejargon („go touch grass“) meint, dass man den Bezug zur Realität wiederherstellen und mal „Luft schnappen“ gehen sollte. Ob man einem jungen Schachspieler dieselbe Abfuhr erteilt hätte? Wohl eher nicht, aber im Schach, einem einzigen Brettspiel haben sich die Regeln auch seit rund 500 Jahren nicht geändert. Am Ende ist es schwierig, Außenstehende mit Spaß an und Wissen um die kreativen Möglichkeiten des Mediums Videospiel zu infizieren. Vielleicht geht das auch nicht mit Gewalt und andere Vorträge eigneten sich da besser.