Politics | Haushaltsstreit

“Lega-5 Stelle hält nicht ewig”

Die Eskalation mit Brüssel nehmen Di Maio und Salvini aus Kalkül in Kauf, sagt Manfred Schullian. Er meint: “Schauen wir, wie lange diese unglückliche Ehe noch besteht.”
Manfred Schullian
Foto: Salto.bz

Seit Mittwoch steht Italien endgültig auf der schwarzen Liste der EU-Kommission. Weil der Haushaltsplan, den die Regierung von 5 Sterne und Lega für 2019 vorgelegt hat, die Anforderungen der EU zum Schuldenabbau nicht erfüllt, hat sich die EU-Kommission dafür ausgesprochen, ein Strafverfahren gegen das hochverschuldete Mitgliedsland einzuleiten.
Keinen Schritt zurück wollen die Vizepremiers und Parteichefs der beiden Regierungsparteien, Matteo Salvini und Luigi Di Maio machen. Sie halten am geplanten Budget, das eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent für 2019 vorsieht, fest. Damit sollen unter anderem die Wahlversprechen des Bürgereinkommens, die Senkung des Renteneintrittsalters und Steuererleichterungen finanziert werden.

Noch am Mittwochabend haben die Fraktionssprecher der Abgeordnetenkammer beschlossen, Ministerpräsident Giuseppe Conte in den Montecitorio-Palast zu zitieren. Darunter Manfred Schullian als Vorsitzender des Gruppo Misto, dem die SVP in der Kammer angehört. Für Donnerstag, 17 Uhr, war der Termin mit Conte anberaumt, der sich am Samstag mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker trifft. Conte sendet zaghafte Signale des Dialogs Richtung Brüssel: Es gibt keine vermeintliche Rebellion gegen die EU”, beteuert der Premier.
Den Ton geben aber andere an – aus Kalkül, meint auch Manfred Schullian.

salto.bz: Herr Schullian, alles deutet darauf hin, dass die EU ein Strafverfahren gegen Italien einleiten wird. Wie stellt sich Ihnen die Situation dar?

Manfred Schullian: Es ist ein Vertragsverletzungsverfahren, das voraussichtlich eingeleitet wird. Auch weil anscheinend keinerlei Verhandlungsbereitschaft vonseiten der Regierung besteht. Vor allem Di Maio und Salvini zeigen sich nicht bereit, in irgendeiner Form einzulenken. Das Vertragsverletzungsverfahren ist eine Sache und meiner Meinung nach weniger beunruhigend als die Reaktionen, die aufseiten der Finanzmärkte zu befürchten sind.

Was wird Ihrer Meinung nach jetzt passieren?

Meines Erachtens wird es am Ende zu irgendeiner Art von kosmetischer Lösung kommen. Weil es sich Europa nicht leisten kann, Italien aus dem Spiel zu nehmen. Denn dann fällt Europa zusammen.

Jetzt ist zu schauen, wie lange diese unglückliche Ehe noch bestehen kann.

Francesco Palermo vermutet, ebenso wie viele Beobachter im In- und Ausland, dass es Di Maio und Salvini geradezu auf eine Eskalation mit Brüssel angelegt haben. Welche Strategie sehen Sie hinter der Unnachgiebigkeit der beiden Vize-Premiers und Chefs der Regierungsparteien?

Einerseits sind die beiden unter Zugzwang. Denn sie müssen etwas von ihren Wahlversprechen einlösen, von denen man ja schon von Anfang an wusste, dass sie nicht finanzierbar sind. Jetzt aber müssen sie ihrer Wählerschaft beweisen, dass sie dazu sehr wohl imstande sind. Das führt dann notwendigerweise dazu, dass der Konflikt mit Europa eskaliert – was im Hinblick auf die Europawahlen meines Erachtens sicherlich Teil ihrer Wahlstrategie ist.

Das Feindbild Europa wird zementiert – was am Ende vor allem Matteo Salvini zugute kommen könnte, der darauf spekuliert, dass sich die Kräfteverhältnisse im EU-Parlament verschieben, zugunsten seiner Verbündeten?

Der “sovranisti”, ja.

Ob und welche direkten Auswirkungen ein Vertragsverletzungsverfahren auf Südtirol haben könnte, lässt sich aktuell nicht abschätzen.

Mit einer neuen EU-Kommission, in der Nationalisten und Rechtspopulisten den Ton mit angeben, könnte Italien neu verhandeln, so das Kalkül in Rom. Doch wird diese Rechnung aufgehen? Schließlich befürworten mit der AfD in Deutschland und der österreichischen Regierung, in der die FPÖ sitzt, zwei von Salvinis Verbündeten ein Defizit-Verfahren gegen Italien.

Ich glaube nicht, dass die so weiträumig denken, sondern dass es ihnen in erster Linie einmal um den Wahlerfolg in Italien geht. Das scheint das erste und mittlerweile fast einzige angepeilte Ziel zu sein. Dazu kommt ja noch, dass es zwischen Lega und Movimento 5 Stelle gewaltig kracht – nicht nur knistert, sondern kracht! Und jetzt ist zu schauen, wie lange diese unglückliche Ehe noch bestehen kann. Die DNA von Lega und 5 Stelle ist einfach zu verschieden als dass das auf ewig funktionieren könnte. Wobei, das Unmögliche ist ja das, was in Italien oft fast das Einzige ist, was funktioniert.

Sie sagen der aktuellen Regierung keine lange Lebenszeit mehr voraus?

Unter normalen Umständen und unter Anwendung der banalen Regeln der Logik dürfte das nicht halten. Aber Italien lebt von Paradoxa.

Ist absehbar, welche Folgen ein Defizit-Verfahren gegen Italien für das Land und gegebenenfalls für Südtirol haben könnte?

Ein Vertragsverletzungsverfahren an sich hat nicht direkt Auswirkungen. Dieses Verfahren ist irgendwo auch fast schon ein absurdes Institut, das im Zusammenhang auf Bilanzausgleich zum Greifen kommt. Denn die einzige Möglichkeit der Sanktionierung, die die EU hat, wenn Italien nicht die Forderungen, die jetzt kommen werden, erfüllt, ist die Verhängung einer Geldstrafe. Das heißt, man erlegt einem ohnehin verschuldeten Staat eine Geldstrafe auf – was ja fast kontraproduktiv ist. Aber das ist der einzige Strafmechanismus, der der EU zur Verfügung steht. Ob und welche direkten Auswirkungen das auf Südtirol haben könnte, lässt sich aktuell nicht abschätzen. Aber natürlich, wenn durch diese Maßnahmen im Haushaltsplan jetzt die Wirtschaft nicht angekurbelt wird, wie es von der Regierung prophezeit wird und wenn es zu einer neuerlichen stärkeren Wirtschafts- oder Finanzkrise kommt, dann müssen auch wir besorgt sein. Denn wir werden nicht für immer die Insel der Glückseligen bleiben.

Zwischen Lega und Movimento 5 Stelle kracht es gewaltig – es knistert nicht nur, sondern es kracht!

Ist damit zu rechnen, dass EU-Gelder eingefroren werden?

So schnell nicht. Passieren kann das, wenn sich Italien nicht an die Auflagen hält, die man dem Land im Zuge des Vertragsverletzungsverfahren machen wird.

Das Parlament hat den Haushaltsplan noch nicht genehmigt. Kommt es jetzt zu Verzögerungen?

Es verzögert sich um ein paar Tage, aber nicht wegen des Haushaltsstreits mit der EU. Sondern nur, weil die Regierung noch nicht in der Lage war, Gutachten zu all den Abänderungsanträgen abzugeben. Das ist aber kein Problem dieser Regierung, sondern in Italien gang und gäbe. Das Haushalts- bzw. Bilanzgesetz wird in Tag- und Nachtsitzungen behandelt – es sind, ja, fast unmenschliche Bedingungen, unter denen da gearbeitet wird. Vorgesehen war, dass der Haushalt kommenden Freitag in die Aula kommt, voraussichtlich wird der Termin um ein paar Tage verschoben. Der provisorische Plan lautet, bis 30. November die ganzen Abänderungsanträge durchzupauken und am 2. Dezember sollte der Haushaltsplan in die Aula kommen. Es kann aber sein, dass das Ganze noch einmal um zwei, drei Tage verschoben wird.

Salvini und Di Maio geht es in erster Linie um den Wahlerfolg bei den EU-Wahlen in Italien.

Aber man kann davon ausgehen, dass sowohl die Abgeordnetenkammer als auch der Senat den Haushaltsplan absegnen werden?

Die Mehrheit ist da. Die werden sie so kompakt haben, dass er genehmigt wird.

Wobei es zuletzt bei der Abstimmung über das Antikorruptionsgesetz in der Kammer Abweichler in der Mehrheit gegeben hat.

Das war ein Ausrutscher. Wobei es dort auch eine süffisante Unternote gibt. Weil sich 5 Stelle und Lega ja gegenseitig beschuldigen, dass der jeweils andere für den Antrag zur Abschwächung von Korruptionsvergehen im Amt gestimmt hat und die Mehrheit hat hochgehen lassen.

Kann die SVP die “casini” und insbesondere das Gebaren der Lega in Rom im Hinblick auf die Bildung der Landesregierung ignorieren?

Ich glaube, diese Frage müssen die beantworten, die morgen dann auch mit diesem Koalitionspartner zusammenarbeiten müssen. Mir steht das sicher nicht zu.