Schauplatz Obstmarkt
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Einem Bozner Herzstück, dem Obstmarkt, wurde von Andrea Dalfino (Regie, Edditing, Aufnahme und Montage) und Arus Motta (Produktion, Skript), wenn man Vor- und Abspann nicht mitzählt, eine rund 35-minütige Dokumentation gewidmet. Am Donnerstag den 30. November soll „Storia di Piazza delle Erbe - Il cuore pulsante della città di Bolzano“ - so der volle Titel des Streifens mit der Erzählstimme Andrea Polatos - um 17.30 Uhr im Bozner Centro Trevi vorgestellt werden und in Folge in den Leihbestand des Audiovisuellen Zentrums aufgenommen werden.
Man beginnt mit einem Vorspann, der ein größeres Budget vorgaukelt als es die, dem Abspann nach wohl schmale Produktion wahrscheinlich hatte. Sie kennen das, wenn sie schon einmal eine Geschichtsdoku im Fernsehen gesehen haben, bei der einleitend die Anordnungen von Archivmaterial auf verschiedenen Ebenen, durch Wischblenden und Effekte freigelegt ein tieferes Eindringen in die Materie suggerieren soll.
Neben den drei bereits genannten Männern dankt der Film noch seinen Interviewpartnern, fünf an der Zahl: Giovanni Messori und Dr. Helmut Rizzolli liefern historische Expertisen, der im Mai diesen Jahres verstorbene Nico Mercuri, der 35 Jahre lang gemeinsam mit seiner Frau Ilse „Bank 4“ leitete, blickt auf die jüngere Geschichte, Daniele Turrina und Sonia Ebner, respektive Bar- und Würstlbudenbetreiber, schildern ihre Sicht auf Gegenwart und Zukunft.
Den debattierbaren Status als „pulsierendes Herz der Stadt Bozen“ - je nachdem wofür das eigene Herz schlägt - hatte der Obstmarkt nicht immer und musste ihn sich, vor 1487 noch als „oberer Platz“ gegen den bischöflich kontrollierten Kornplatz verteidigen. In seiner Anfangszeit war der ab dem späten 12. Jahrhundert belegte Platz denn auch ein Politikum, wo nun, tirolerisch-landesgräflich für Meinhard II. oder kirchlich trientnerisch das Herz zu schlagen hatte. Wir alternieren dabei von Interviews am Platz - in einem Café oder unter „Gabelwirt“ Neptun - zu Voiceover über Archivmaterial.
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Gäste, welche mehr oder weniger viel Platz in ihren Herzen hatten für die kleine Stadt mit dem Viktualienmarkt beim Gasthof zur Sonne (alternativ Sonnenwirt) oder dem Torgglhaus, finden auch Platz im Film, der unter diesen die wohl drei bekanntesten hervorhebt: Casanova, Mozart, Goethe. Johann Gottfried Herder und Josef II. braucht man gar nicht, um sich im mondänen Licht zu baden. Herauf durch die Geschichte wird auch die alternative, verlorengegangene Handelskultur des Platzes zum Thema gemacht auf dem Bauern aus den umliegenden Gebieten „0 Kilometerware“ aus eigener Produktion in Körben an den Wochenenden feilbieten durften, ohne dafür Konzessionsgebühren entrichten zu müssen. Ein sehr demokratischer Zugang zur Nutzung von Handelsfläche, der in Zeiten der Nachhaltigkeits-Debatten eine Rückbesinnung wert ist.
Durch die Jahrhunderte herauf gelangen wir auch in die Zeit des Faschismus, wo ein Musikwechsel zu trauriger Klaviermusik vollzogen wird. Hier kam der Obstmarkt bzw. Obstplatz auch zu seinem zweiten, aus der Zeit des Faschismus übergebliebenen Namen „Piazza delle Erbe“. Die unablässig unter den Worten der eingefangenen Stimmen und über dem Hintergrundrauschen am Platz dahinplätschernde Lizenzmusik „Firefly in a Fairytail“ (beim YouTube Wissenskanal „Veritasium“ oft leiser im Hintergrund zu hören) wird durch „Sad to Inspiring“ ausgetauscht, bevor wir zum Dauertrak des Films zurückkehren. Fast scheint es bei der Musikwahl so, als würde man sich vor dem Herzschlag der Stadt - Alltagsgeräusche und Gespräche im Hintergrund - fürchten, der gesamte Film ist lückenlos mit einem von vier Tracks hinterlegt. Für Vor- und Abspann kommt dazu ein schmalziges „50’s Hollywood Romance“ und für die Besprechung des „Nightlifes“ am Platz „80’s Disco Retrospect“. Nun verstehen wir gut, dass die Verwendung von lizenzfreier und günstig lizensierbarer Musik eher eine Budgetentscheidung denn eine künstlerische ist, aber etwas Mut zur Lücke wäre hier angebracht gewesen. So entsteht vielleicht beim einen oder anderen das Gefühl, im Fahrstuhl der Geschichte festzustecken.
Zu „Sad to Inspiring“ nähern wir uns also dem Bozner Blutsonntag, der 40 Schwerverletzte und den Tod Franz Innenhofes forderte. Auch Rizzolli sieht, wie die Musikregie, hier einen großen Einschnitt in der Geschichte des immer schon mehrsprachig gelebten Orts an dem auch historisch, gerade Migranten eine Möglichkeit hatten, ins Handelsnetzwerk des Ortes einzusteigen. In der Nachkriegszeit wurde aus dem Markt zusehends einer nach Viktualienmodell. Nico Mercuri vermisst an dieser Stelle des Films den Kundenkontakt und genau der Verlust dieses - durch die Ankunft bequemerer und preiswerterer Großhandelsinitiativen war es, der schließlich zu einem Wandel am Platz führte, von 1950 bis 2004 gab es einen Rückgang von 54 Verkaufsständen zu 28. Neutral merkt man auch an, dass, da nun die Mehrheit der Stände von ausländischen Bürgern geführt wird, das Angebot am Platz ein anderes ist. Der Bozner Obstmarkt wird einerseits als traditionelles Kulturgut der Stadt, andererseits als dynamisch genutzte Zone auf Suche nach neuer Identität gezeigt.
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Es schildert abschließend, fast in der Gegenwart angekommen, Daniele Turrina von der Bar Downtown seine Sicht auf 13 Jahre Lokalbetrieb im schlagenden Herzen des Bozner Nachtlebens. Position bezieht der Film keinesfalls „portando con se ovviamente le tipiche problematiche per i residenti del centro storico in conflitto con gli interessi dei gestori dei locali“, zum Treffpunkt wird dann noch gesagt, die sich dort versammelnden Bürger seien „dieselben, die behaupten würden, diese Aktivität zu verlagern würde nur bedeuten, dieselben Probleme andernorts hinzubringen“. Schade, dass man hier die Möglichkeit auslässt, einem Brennpunkt mit mehr Ansätzen zur Diskussion zu begegnen. Man hätte auch Stimmen von Feiernden, eine Auswahl treffend, Raum geben können, mit ihnen sprechen statt über sie zu sprechen. Es bleibt die Sicht eines Barbetreibers der, naturgemäß, wenige Probleme sieht. Lösungen sieht man hier, für Nachtschwärmer und Anrainer gleichermaßen, keine und das „Herz“ Bozens bleibt damit alternativlos.
„Storia di Piazza delle Erbe“ berührt interessante Geschichtspunkte und fühlt sich dabei doch nach einer verpassten Chance an. Mit mehr Laufzeit, einem größeren Pool an Gesprächspartner:innen und wohl auch mehr Budget hätte man leicht einen abendfüllenden Film zum Bozner Obstmarkt drehen können, ohne dass es langweilig würde. „Storia di Piazza delle Erbe“ ist, wenn auch nicht durchgängig, so doch immer wieder interessant, aber eben kein Film den man gesehen haben muss.