Society | Start Europe Up

Was passiert mit meinen Perioden-Daten?

Viele Frauen benutzen Apps zur Verfolgung ihres Zyklus und geben dafür sensible Daten frei. Ein Berliner Programmiererinnen-Kollektiv bietet eine sichere Alternative.
Menstruationszyklus
Foto: Josefin on Unsplash

Katharina weiß, warum sie heute so große Lust auf Sex hat. Dafür braucht sie nur ihre App zu öffnen, und auf ihrem Zyklus-Kalender nachzuschauen. Dort steht es rosa auf weiß: Ein kleiner Kreis um das aktuelle Datum herum deutet darauf hin, dass sie womöglich heute ihren Eisprung hat. Er erklärt nicht nur Katharinas erhöhte Lust, sondern sagt ihr auch, dass sie gerade fruchtbar ist. Will sie nicht schwanger werden, ist also Vorsicht im Bett angesagt. Was Katharina nicht ahnt: die Informationen über ihre Periode und ihr Sexleben, die sie in die App tippt, stehen nicht nur auf ihrem Handy, sondern auch auf den Servern der Firma, die diese App anbietet. Gut möglich, dass ihre persönlichsten Daten auch an Dritte weitergeleitet werden, die damit personalisierte Werbung schalten. Dazu kommt: die Vorhersage über Katharinas Fruchtbarkeit basiert kaum auf wissenschaftlichen Erkenntnissen – einer ungestümen Liebesnacht könnte daher eine Überraschung folgen.

 

 

Immer mehr Frauen vertrauen ihre Regel-Daten einer App an. Verfolgten sie früher ihren Monatszyklus mit Stift und Papier, tippen sie heute in ihr Smartphone, wann ihre Periode beginnt, damit die App die erwartete nächste Monatsblutung und die fruchtbaren Tage ausrechnen kann. Zusätzlich können Details zur Art der Blutung, zu Beschwerden oder zum Sexualverhalten eingegeben werden, um die Voraussage zu präzisieren oder zusätzliche Aussagen zur sexuellen Gesundheit der Frau zu ermöglichen. Die Gesundheitsanwendungen werden meist gratis angeboten, doch tragen sie einen versteckten Preis: die intimsten Daten über die Gesundheit und Sexualität von Frauen.

Um dieses Problem zu beheben haben sich sechs Programmiererinnen in Berlin zu einem gemeinnützigen Kollektiv zusammengeschlossen ­– „The Bloody Health Collective“ – und eine transparentere und sichere Zyklus App entwickelt. „Drip“, so heißt die App, macht drei Dinge grundlegend anders, erklärt Marie Kochsiek, eine der Entwicklerinnen des Kollektivs:

„Wir sind eine offline App, das heißt die Daten werden niemals irgendwo anders hingeleitet als auf das Handy.“ Herkömmliche Anwendungen können meist nur über Interet genutzt werden – ein Hinweis darauf, dass die Daten beim Eingeben auf einen anderen Server gespeichert werden.

 

„Zwar hat die EU verhältnismäßig gute Datenschutzgesetze“, sagt Marie. „Aber das heißt nicht, dass es in der Praxis automatisch so abläuft.“ Die Organisation „Privacy International“ nahm im Jahr 2019 Menstruations-Apps unter die Lupe um herauszufinden, wie sie mit den Daten der Nutzerinnen umgehen. Dabei wurde herausgefunden, dass einige der Firmen private Daten an Facebook weiterleiten. "Das ist nach meiner Erfahrung immer eine Art Katz und Mausspiel", beschreibt Marie. "Eine App kommt auf den Markt, dann finden Organisationen heraus, dass ihr Datenschutz nicht ok ist, dann muss das über Medien skandalisiert werden, und erst dann passt das Unternehmen seine Richtlinen an." Mit Drip soll dieses Problem gar nicht erst entstehen, sondern von Anfang an das Recht der Nutzerinnen eingehalten werden, ihre intimen Daten im Privaten sicher zu wissen.

Ein zweiter Mangel vieler Zyklus-Apps: sie nutzen keine wissenschaftlich geprüften Methoden, sondern einen standardisierten Datensatz, um auf die Fruchtbarkeit der Frau zu schließen. Eine akkurate Bestimmung des Eisprungs liefert das simple Zählen der Zyklus-Tage nicht, denn trotz der Standardzahl von 28-35 Tagen ist jeder Zyklus individuell, und unvorhersehbare Faktoren wie eine Reise, Temperaturumstellung oder Stress können die Länge des menstrualen Zyklus beeinflussen, und somit den Zeitpunkt der Fruchtbarkeit verschieben.

Viele Zyklus Apps nutzen keine wissenschaftlich geprüften Methoden, sondern einen standardisierten Datensatz, um auf die Fruchtbarkeit der Frau zu schließen. Das ist keine akkurate Bestimmung.

Trotzdem verlassen sich viele Paare bei ihrer Verhütung allein auf die standardbasierten Vorhersagen einer App, was schon öfter zu ungewollten Schwangerschaften geführt hat, wie Marie, die Programmiererin ist, aber auch Soziologie studiert hat, weiß: Für ihre Masterarbeit untersuchte sie, wie die Verwendung einer Zyklus App sich auf das Erleben von Menstruation und Sexualität auswirkt. Einige Interviewpartnerinnen gaben an, aus diesem Grund schwanger geworden zu sein.

Eine sichere, wissenschaftsbasierte Verhütung ohne Hormone bietet stattdessen die Symptothermale Methode. Dabei werden nicht nur die Tage gezählt, sondern der Zervixschleim wird täglich kontrolliert und die eigene Körpertemperatur wird gleich nach dem Aufwachen gemessen, denn beide ändern sich je nach Phase der Fruchtbarkeit. Da setzt Drip an: „Unsere App macht nur Aussagen zur Fruchtbarkeit, wenn die Frau auch ihre Aufwachtemperatur gemessen und den Zervixschleim kontrolliert hat“, so Marie.

 

Projektvideo - drip, von Prototype Fund

 

Ein drittes Alleinstellungsmerkmal von Drip sind Design und Sprache, erklärt die feministische Programmiererin: „Wir versuchen die App genderneutral zu gestalten.“ Also kein obligatorisch klischeehaftes Pink als Hintergrund zum Beispiel.

Marie empfindet andere Zyklus Apps nicht grundlegend als schlecht, im Gegenteil. Die Auseinandersetzung mit einer App kann eine Stütze für das Verstädnis der eigenen Menstrutation, den hormonellen Schwankungen und der sexuellen Gesundheit sein. Ein App sollte aber nicht allein eine Verhütungsmethode ersetzen, oder die Anwenderin zwingen, sich einem Computer anzupassen.

Es ust nicht ok, Daten über mein Sexualleben an Dritte weiterzuleiten, damit die mir Lippenstift Werbung schalten können.

Von Männern schlug Marie für ihre Arbeit oft Unverständnis entgegen: Es sei doch leichtsinnig, sensible Daten preiszugeben, wenn man die Tage doch einfach selbst auf Papier aufzeichnen könne. "Das zeugt von einer unfassbaren Unterschätzung zum Thema Zyklusgesundheit", schließt Marie. Nicht nur um der medizinischen Komplexität gerecht zu werden, sondern auch, um bestimmte kulturelle Lasten abzuschütteln, könne eine App helfen: "Früher war das Thema sehr schambehaftet. So eine App hingegen bietet der Frau ein Instrument, ihren Zyklus besser in der Hand zu haben und selbstbewusster damit umzugehen", sagt Marie. Gleichzeitig kritisiert sie die neokapitalistische Vermarktung einer elektronischen Anwendung als Lösung aller Probleme.

Am Ende müsse jede selbst abwägen, ob ihr der Preis für die Nutzung einer bestimmten App wert ist. Um diese Entscheidung überlegt treffen zu können, brauche es aber eine Sensibilisierung für das Thema: „Ich wünsche mir, dass es ein kollektives Bewusstsein dafür gibt, dass es nicht ok ist, Daten über mein Sexualleben an Dritte weiterzuleiten, damit die mir Lippenstift Werbung schalten können,“ schließt Marie. Was außerdem nötig sei: alternative Angebote. So wie Drip.

Im Moment ist die App nur für Android-Server verfügbar, doch bald geben die Programmiererinnen die IOS-Version frei, also Drips für Apple-Geräte. Auch plant das Kollektiv die Internationalisierung ihrer App, die im Moment nur auf Englisch existiert. Die App ist Open Source, das heißt der Code, also die Bauanleitung der Anwendung, ist öffentlich zugänglich. Jede und jeder, der sich damit auseinandersetzen will, kann den Code kopieren und nachvollziehen, die App selbst nachbauen oder gar optimieren.