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Es kommt auf die Lehrkräfte an

Letzte Woche wurden erste Daten der Lernstanderhebungen 2022 vorgestellt. Antonella Brighi von der Uni Bozen ordnet die Ergebnisse aus bildungspsychologischer Sicht ein.
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Foto: Uni Bozen
Die Evaluationsstelle für das deutsche Bildungssystem hat vergangene Woche erste Daten aus dem Landesbericht zu den Lernstandserhebungen 2022 vorgelegt. Bei diesen Erhebungen wurden im Frühjahr 2022 alle Schüler:innen bestimmter Jahrgänge in den Grund-, Mittel- und Oberschulen in den Fächern Italienisch als Zweitsprache, Englisch, Deutsch und Mathematik getestet.
Wenn die Lehrkräfte über eine gute Ausbildung verfügen und sich fortlaufend weiterbilden, sind Schüler:innen motivierter, etwas zu lernen und gehen auch lieber in die Schule.
„Die Ergebnisse der Südtiroler Schüler:innen in Englisch waren auch in diesem Jahr überdurchschnittlich, in Mathematik liegen sie in der Unterstufe im Bereich der nationalen Mittelwerte, steigern sich in der Oberstufe aber beträchtlich“, erklärt der Leiter der Evaluationsstelle, Martin Holzner. Ausbaufähig sind die Ergebnisse sowohl in der Unterrichtssprache Deutsch als auch in der zweiten Landessprache Italienisch; In Deutsch sind die Ergebnisse sogar leicht rückläufig.
 

Einordnung

 
Aus bildungswissenschaftlicher Sicht ergebe sich für unsere Provinz folgendes Bild: „Das Bildungssystem in Südtirol hat mit der Zwei- und Mehrsprachigkeit ein großes Potential. Außerdem sind die Lehrkräfte offen für innovative Unterrichtsmethoden“, so Antonella Brighi, Professorin für Entwicklungs- und Bildungspsychologie von der Freien Universität Bozen.
 
 
Gleichzeitig bestehe aber die Gefahr, die Schüler:innen unter dem Leistungsdruck zu überlasten: „Die Anforderungen, die an Schüler:innen in verschiedenen Bereichen gestellt werden, kann auch herausfordernd sein“, so Brighi. „Laut OECD-Studie 2015 sind die italienischen Schüler:innen im Vergleich zu den Statistiken anderer Länder unter den am meisten gestressten. Sie haben Schwierigkeiten den hohen Lernaufwand zu bewältigen und fürchten sich vor Prüfungen, das betrifft vor allem die Mittel- und Oberschulen. In der Grundschule wird der Leistungsdruck noch nicht so stark wahrgenommen.“
Zudem herrscht noch immer das Vorurteil, dass Mädchen für dieses Fach weniger geeignet sind als Buben.
Die hohen statistischen Werte der OECD-Studie würden mit vielerlei Faktoren zusammenhängen. „Italien ist sehr unterschiedlich geprägt, nicht nur in Bezug auf Nord und Süd. Auch innerhalb einer Stadt gibt es Schulen, die sich in sehr unterschiedlichen sozialen Kontexten befinden“, erklärt Brighi. „Wenn die Lehrkräfte über eine gute Ausbildung verfügen und sich fortlaufend weiterbilden, sind Schüler:innen motivierter, etwas zu lernen und gehen auch lieber in die Schule.“
Zudem spielen auf der Makroebene Schulreformen, das Alter und der Entwicklungsstand der Schüler:innen eine Rolle. „Im Vergleich zur Primarstufe werden Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte in Mittelschulen wenig bis gar nicht auf psychopädagogischer Ebene vorbereitet. Auch das könnte ein Grund für den hohen Stresspegel bei Mittel- und Oberschüler:innen in Italien sein. Jedenfalls geben mir diese Daten als Entwicklungspsychologin und Forscherin zu denken“, erklärt Brighi.
 

Unterschiede je nach Fach

 
Im Fachbereich Englisch wurden an den Abschlussklassen der Mittelschule und der Oberstufe das Lese- und das Hörverständnis getestet. Südtirols Schüler:innen erzielten sowohl in den dritten Mittelschulklassen als auch in den fünften Oberschulklassen Spitzenwerte, die wesentlich über dem gesamtstaatlichen Schnitt liegen. Anders sind die Ergebnisse im Fach Mathematik, wo die Ergebnisse dem nationalen Durchschnitt entsprechen. In den Grund- und Mittelschulen erzielten die Buben ein um rund zehn Punkte höheres Ergebnis als die Mädchen, in der ladinischen Oberschule waren sie sogar um 20 Punkte besser.
 
 
„Die Ergebnisse zeigen uns, dass etwas in den Unterrichtsmethoden geändert werden muss, um Mädchen mehr für Mathematik zu begeistern. Zudem herrscht noch immer das Vorurteil, dass Mädchen für dieses Fach weniger geeignet sind als Buben“, so die Professorin der Uni Bozen.
Es wäre wichtig, die Auswirkungen der Mehrsprachigkeit anhand spezifischer Tests bewerten zu können, die alle Fähigkeiten erfassen, die sich durch die Interaktion zwischen den Sprachen entwickeln.
Die Leistungsunterschiede zeigen sich vor allem ab der Mittelschule, deshalb regt Brighi an, ab dieser Schulstufe neue Unterrichtsmethoden in Mathematik auszuprobieren. Die Geschlechterunterschiede bei schulischen Leistungen im Fach Mathematik zeigen sich auch auf gesamtstaatlicher Ebene. „Deshalb wurde im Wiederaufbaufonds PNRR ein Schwerpunkt auf die Förderung der Mädchen in Mathematik, Technik, Naturwissenschaften und Informatik gelegt“, so Brighi.
 

Sprachentwicklung

 
Im Fachbereich Deutsch fanden 2022 zwei Lernstandserhebungen in den ersten und in den dritten Klassen der Mittelschule statt. Die Ergebnisse zeigen eine mittlere Lösungshäufigkeit von 50 bis 55 Prozent. Wobei Kinder aus deutschsprachigen Familien die höchste Lösungshäufigkeit (55,23 %) erreichten, dicht gefolgt von Kindern aus deutsch- und italienischsprachigen Familien (48,71 %); es folgen Lernende aus italienischsprachigen Familien (39 %) sowie aus anderssprachigen Familien (35 %). Mit 62,73 Prozent steigt die Lösungshäufigkeit für die Schüler:innen in den Mittelschul-Abschlussklassen. Allerdings bleiben 29 Prozent unter Kompetenzstufe 2 und erreichen die Mindestanforderungen in diesem Fach nicht. Gegenüber dem Vergleichsjahr 2020/21 zeigt sich ein Rückgang um rund 4 Prozentpunkte.
Um die Kompetenz in Italienisch zu testen, wurden 2022 zwei Lernstandserhebungen in der 4. Klasse Grundschule und der 2. Oberschulklasse durchgeführt. Sowohl in der Grundschule als auch an der Oberstufe erreichten rund 65 Prozent der Schüler:innen das in der jeweiligen Jahrgangsstufe angestrebte Kompetenzniveau laut Gemeinsamem Europäischem Referenzrahmen für Sprachen (GERS). Die Mädchen erzielten in beiden Klassenstufen statistisch signifikant bessere Ergebnisse als die Jungen.
 
 
„Eine weitere Gemeinsamkeit in den Testergebnissen beider Klassenstufen ist, dass Schüler:innen mit einem individuellen Bildungsplan (IBP) statistisch signifikant niedrigere Ergebnisse erzielen als jene ohne IBP“, so Evaluationsstellenleiter Holzner. „Da Lernende in der Testsituation alle im individuellen Bildungsplan vorgesehenen Kompensationsmaßnahmen nutzen können, stellen diese Daten die Wirksamkeit von Kompensationsmaßnahmen in Frage.“
Relevant erweist sich in beiden Schulstufen die zu Hause gesprochene Sprache: Schüler:innen aus deutschsprachigen Familien erzielen niedrigere Testergebnisse als jene, die zu Hause Italienisch, Deutsch und Italienisch oder Italienisch und eine andere Sprache sprechen. Mehr als die Hälfte der Schulen bleiben unter dem Landesmittelwert von rund 65 Prozent. „Der familiäre Hintergrund spielt beim Spracherwerb also mit Sicherheit eine große Rolle“, sagt Bildungswissenschaftlerin Brighi im Hinblick auf die Ergebnisse.
„Dieser Aspekt ist relevant, da die Begegnung mit mehreren Sprachen die Kompetenzentwicklung bei den Schüler:innen in einem frühem Stadium verlangsamen kann. Gleichzeitig ist Mehrsprachigkeit in jedem Fall ein Vorteil, der noch mehr ausgeschöpft werden sollte. Es wäre wichtig, die Auswirkungen der Mehrsprachigkeit anhand spezifischer Tests bewerten zu können, die alle Fähigkeiten zu erfassen, die sich durch die Interaktion zwischen den Sprachen entwickeln“, so Brighi.
 
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Dietmar Nußbaumer Thu, 12/22/2022 - 19:26

Der Blick von außen ist nicht der Blick von innen. Nur wenn man die Realität kennt, kann man diese brauchbar beurteilen. Daher wäre es wünschenswert, wenn auch Lehrende an Unis über eine mehrjährige Unterrichtserfahrung an einer der unterschiedlichen Schulstufen verfügten. Prof. Bisi (vielleicht schon i.R.) war meine Italienischlehrerin in der Mittelschule (eine der wenigen Lehrerinnen, die ich sehr geschätzt habe) und hat später an der Uni Brixen gelehrt.

Thu, 12/22/2022 - 19:26 Permalink