Politics | 5-Sterne-Bewegung

Jede Woche eine neue Sau

Vom "Volkstribunal" über die Medien bis zur (gescheiterten) Anbiederung an die Euroliberalen: alle paar Tage treibt Grillo eine neue Sau durchs Dorf.
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Beppe Grillo
Foto: upi

Es gibt im Deutschen der Ausdruck „Jede Woche eine neue Sau durchs Dorf treiben“. Das trifft ganz gut auf das zu, was Grillo gegenwärtig tut. Nachdem er kurz vor Weihnachten – als Reaktion auf den islamistischen Anschlag in Berlin – in seinem Blog pauschal Flüchtlinge unter Terrorverdacht gestellt und deren „sofortigen Rückführung“ gefordert hatte, verkündete er zum Neujahrsbeginn den neuen „Verhaltenskodex der 5SB im Falle einer Verwicklung in Rechtsverfahren“.

Lockerung bei Verhaltenskodex

Anders als bisher soll die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens für grillinische Mandats- und Funktionsträger künftig nicht mehr automatisch zum Rücktritt führen. Grillo und ein dreiköpfiger „Ehrenausschuss“ entscheiden, wie im Einzelfall zu verfahren ist. Wenn man bedenkt, wie die Grillini sich selbst zu den einzig „Sauberen“ in der Politik hochstilisieren und wie sie auf analoge Fälle in anderen Parteien reagierten (sofortiger Rücktritt, am besten gleich ab in den Knast), fragt man sich, was die Gründe dieser „Lockerung“ sind. Die römischen Korruptionsfälle, die enge Vertraute der Bürgermeisterin Raggi betreffen und sie selbst in rechtliche Schwierigkeiten bringen könnten, sind zumindest eine Teilantwort. Grillo und Casaleggio möchten sich da die Hände freihalten, zu groß wären die politischen Auswirkungen von Raggis Scheitern.

„Volkstribunal“ soll über Medien richten

Ein paar Tage später treibt Grillo die nächste Sau durchs Dorf. In einem Post attackiert er das, was er und seine Leute die „Mainstream-Medien“ nennen (Presse und Fernsehen sowie alle, die nicht nur grillinische Informationsquellen nutzen). Sie würden Falschmeldungen verbreiten und gezielt Desinformation betreiben. Diese Attacken sind an sich nichts Neues, sie gehören zu Grillos Standardrepertoire. Neu ist aber das von ihm propagierte Gegengift: „Ich schlage vor, dass nicht regierungstreue Gerichte, sondern ein Volkstribunal über die Wahrhaftigkeit der in den Medien veröffentlichen Nachrichten urteilt“. Und wer soll dem „Volkstribunal“ angehören? Es sollen „zufällig per Los ausgewählte Bürger“ sein, denen Artikel und Nachrichtensendungen zur Bewertung vorgelegt werden. Wenn das „Volkstribunal“ Nachrichten als falsch einstuft, müssen die betroffenen Medien sich dafür öffentlich entschuldigen und die „korrekte Version“ veröffentlichen. Woher das „Volkstribunal“ erfährt, was richtig und was falsch ist, wird nicht ausgeführt (kann man sich schon denken). Der bizarre Vorschlag eines schrägen Clowns, über die man lachen kann? Kaum. Denn der Clown ist der „Garant“ und politische Führer einer Bewegung, die bei Umfragen ganz vorne liegt. Und wenn er – von der Mehrheit seiner Anhänger unwidersprochen – fordert, nicht Gerichte, sondern eine willkürlich zusammengewürfelte „Bürgerinquisition“ müsse über die Pressefreiheit richten, gibt es leider nichts zu lachen.

Dreifache Kapriole im EU-Parlament

Kurz danach, am 8.1., der nächste, noch kräftigere Trompetenstoß: Grillo teilt dem erstaunten Fußvolk mit, man (d. h. er und Casaleggio) sei zur Überzeugung gekommen, dass es besser ist, sich im EU-Parlament von Farages EFDD-Gruppe zu trennen. Mit dem Brexit-Erfolg hätte Farages UKIP ihr politisches Ziel erreicht und sei aus dem EU-Parlament schon halb raus, ein Verbleib in der EFDD würde Gestaltungschancen und Einfluss der 5SB schmälern. Und da ohne Zuordnung zu einer Gruppe erst recht Posten, Funktionen und finanzielle Zuwendungen verloren gingen, müsse man sich einer anderen Fraktion anschließen. Und zwar - Peng! - der liberalen ALDE-Gruppe, die im EU-Parlament an vorderster Front nicht nur einen proeuropäischen, sondern auch neoliberalen, marktwirtschaftlichen Kurs fährt.

Die grillinische Basis forderte er auf, noch am gleichen Tag und bis zum Mittag des nächsten Tages darüber abzustimmen. Wie immer im Online-Verfahren ohne vorherigen Meinungsaustausch, geschweige denn Diskussion. Nicht einmal die betroffenen EU-Abgeordneten wurden vorab unterrichtet bzw. nach ihrer Meinung gefragt. An der Abstimmung nahmen ca. 40.000 zertifizierte Mitglieder teil (von insgesamt 135.000, d.h. weniger als ein Drittel), 78,5% von ihnen segneten Grillos Vorschlag ab.

ALDE-Fraktionschef Verhofstadt, der sich von der „Fusion“ ebenfalls mehr Einfluss (ALDE wäre die drittstärkste Fraktion geworden) und Stimmen für seine Kandidatur zum Parlamentspräsidenten versprach, hatte bereits zugestimmt. Die Operation schien also zunächst zu gelingen, trotz des Murrens einiger grillinischer EU-Abgeordneter. Wer nicht mitspielte, waren die Abgeordneten der ALDE-Gruppe. Sie verweigerten Verhofstadt die Gefolgschaft und lehnten die Aufnahme der 5SB strikt ab, da es mit ihnen „keine gemeinsame politische Basis“ gäbe.

ALDE gibt Grillo einen Korb

Ein Debakel, das Grillo in seinem Blog hilflos als Zeichen von Stärke zu verkaufen versuchte: „Das Establishment (zu dem er sich zu gesellen beabsichtigte, MH) hat uns gestoppt. Wir haben das System zittern lassen!“. Nachdem also Grillo und Casaleggio dem Establishment dergestalt das Fürchten gelehrt hatten, blieb ihnen nur der Gang nach Canossa: Sie mussten Farage bitten, sie wieder in seine Arme zu schließen. Der tat es, diktierte aber Bedingungen, u.a. die Absetzung des M5S-Abgeordneten Davide Borrelli - der als enger Vertrauter Casaleggios die Verhandlung mit dem ALDE-Vorstand geführt hatte - von seinem Posten als Ko-Vorsitzender der EFDD-Gruppe.

Nach dieser „dreifachen Kapriole“ mit schließlicher Landung auf dem Allerwertesten hagelte es im Netz seitens der grillinischen Basis Kritik, einige Mandatsträger gingen öffentlich auf Distanz. Zwei EU-Abgeordnete verließen die Gruppe (einer schloss sich den Grünen an, der andere der ENF von Le Pen und Salvini). Zum ersten Mal richtete sich die Kritik auch direkt gegen Davide Casaleggio, dem eigentlichen Initiator der „ALDE-Operation“. Er ist bei strategischen Beratungen mit Abgeordneten und Funktionsträgern omnipräsent und in Brüssel, wenn es um wichtige politische Verhandlungen geht, Grillos ständiger Begleiter. Und weit davon entfernt, eine nur „technische“ Funktion zu erfüllen. Dass er mit Grillo das Führungsduo der Bewegung bildet, ist evident. Wenn man die Frage aufwirft, was oder wer ihn dazu legitimiert, reagieren viele Grillini allerdings äußerst empfindlich. Dass Casaleggio Einfluss auf politische Entscheidungen habe, seien Hirngespinste, heißt es, er würde sich ja „nur“ um Fragen der Online-Kommunikation kümmern (die bei der 5SB übrigens auch ein Teil der politischen Strategie ist). Nun sind es vermehrt Mitglieder und Anhänger der 5SB, die Casaleggios Rolle und seine Legitimation in Frage stellen.

Was veranlasst die Führung der 5SB, in enger zeitlicher Reihenfolge solche „Knaller“ loszulassen, davon einige mit Bumerang-Effekt? Ist es wirklich nur ein taktisches Manöver, um von dem Desaster abzulenken, das Virginia Raggi derzeit in Rom veranstaltet? Vielleicht ist es ein Teilgrund. Aber auch andere Faktoren könnten eine Rolle spielen: Die internen Kämpfe zwischen den verschiedenen „Fraktionen“ haben sich zugespitzt, die Wahlen rücken näher. Da muss die Führung versuchen – auch durch Hyperaktivismus - die Initiative zu behalten und dafür zu sorgen, dass man sich in der politischen Auseinandersetzung auf den „äußeren Feind“ konzentriert. Um gleichzeitig, wie mit dem (vorerst gescheiterten) Annäherungsversuch an „etablierte“ Kräfte im EU-Parlament, Signale der „Regierungsfähigkeit“ zu senden.

Letzte Meldung: „Die internationale Politik braucht starke Staatsmänner wie sie (Putin und Trump, MH). Ich sehe sie als eine Wohltat für die Menschheit an“ (Grillo im „Journal du dimanche“, 22.1.17)