Männer in Südtirols Klassenzimmern
Ein Blick in Südtirols Grundschulen verrät: der Platz hinter dem Pult ist hauptsächlich weiblich besetzt. Gerade einmal 12 Prozent beträgt der Anteil der männlichen Lehrpersonen in Südtirol. Im Vergleich zu Europa mit etwa 20 Prozent liegt Südtirol damit im unteren Durchschnitt. Dabei würden die weiblichen Kolleginnen mehr Männer in der Grundschule bevorzugen. „Dadurch würden sie sich ein aufgelockerteres Arbeitsklima und unterschiedliche Sichtweisen auf Probleme erhoffen“, erklärt Stefan Faustini, Absolvent der Freien Universität Bozen. Für seine Diplomarbeit hat er sich mit dem allgemeinen Bild des männlichen Grundschullehrers in Südtirol sowie mit unterschiedlichen Handlungsmustern zwischen Männern und Frauen in diesem Berufsfeld beschäftigt. Dafür wurden insgesamt 200 weibliche Südtiroler Lehrpersonen und alle 58 männlichen Studenten des Masterstudiengangs Bildungswissenschaften befragt.
Das Geschlecht der Lehrperson spielt in der Erziehung eine bedeutende Rolle. „Während Frauen gefühlt eher die emotionale Ebene der Kinder ansprechen, werden Männer eher mit sportlichen Bereichen des Schulalltags und Ehrgeiz in Verbindung gebracht“, sagt Faustini. Nach Erkenntnissen in der Entwicklungspsychologie sind vor allem die Jungen früh auf der Suche nach Rollenvorbildern. Wenn Kinder ohne eine männliche Bezugsperson aufwachsen, stellt das ein Entwicklungsrisiko dar. Bereits im Kindergarten versuchen sich Jungen von Mädchen zu distanzieren. Oft geschehe das durch rebellisches oder unangebrachtes Verhalten. Dieses 'männliche' Verhaltensmuster fällt den meist weiblichen Erzieherinnen negativ auf. Dadurch werden Kinder bereits oft früh zu unrecht kategorisiert.
Männliche Bezugspersonen könnten dieser Entwicklung entgegenwirken. Zudem zeigen verschiedenste Studien, dass der Unterricht von weiblichen Lehrpersonen mehr auf die Bedürfnisse der Mädchen ausgerichtet ist. Zum Beispiel können Jungen oft mit offenen Stationenarbeiten weniger gut umgehen als Mädchen. Jungen brauchen ein klares Ziel und den Leistungsvergleich, um in der Schule erfolgreich zu sein.
Grund für die wenigen Männer in Südtirols Klassen sei das öffentliche Ansehen des Lehrerberufs. Die befragten Studenten haben die Wahrnehmung des Berufsbildes als „negativ“ und teilweise als „geringschätzend“ beschrieben – vor allem durch andere Männer. Der Beruf des Grundschullehrers wird oft als Kinderbetreuung gesehen. Eine Studie aus dem Jahre 2012 bestätigt: 90 Prozent der Südtiroler Männer sehen Kindererziehung immer noch als Aufgabe der Frau an. „Lieder singen, basteln und Kinder trösten wird von einigen Männern mit mütterlicher Zuneigung in Verbindung gebracht“, erklärt Faustini. Diese Rollenstereotype spiegeln sich in der Wahrnehmung des Berufs „Grundschullehrer“ wieder.
Auch aufgrund unterschiedlicher Gehaltsstufen ziehe es den größeren Teil der Männer in höhere Schulstufen. „Man könnte mehr Männer für den Beruf des Grundschullehrers begeistern, indem man früh Möglichkeiten anbietet, die Arbeit in der Praxis kennenzulernen“, sagt Faustini. So haben auch die in der Studie befragten Studenten angegeben, durch Praktika, Nachhilfe oder Supplenzstellen zu ihrem Studium sowie Berufswunsch gekommen zu sein.