Die Gegenwart is gschissen
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„Rickerl - Musik ist höchstens a Hobby“ zählt zu jener Art von Filmen, bei denen man schnell merkt, dass sie ihr Herz am rechten Fleck tragen. Eine überraschend witzige Familienkomödie mit Selbstironie im Umgang mit der eigenen ur-wienerischen Charakterriege, ist dem Filmfestival Bozen Darling Goiginger (Preis des Landes 2022 beim BFFB für „Märzengrund“) mit diesem Film geglückt.
Rickerl, ein in Lokalen auftretender AMS-Wiederholungstäter, ist wieder eine Fixanstellung losgeworden, diesmal war es ein Job am Friedhof gewesen, wo uns Voodoo Jürgens mit Gitarre und Gesang in den ersten Filmminuten willkommen heißt. In schönster Morbidität, die der Österreichischen Landeshauptstadt alle Ehre macht, fragt man sich im Bestattungsinstitut, wer einen einst bestatten wird, bis ein unaufgeräumter Schädel dem Lebenskünstler vor die Füße rollt: „Wo kimmt derar her?“ Harter Schnitt zum AMS, wo Frau König uns mit der wirtschaftlichen Situation von Herrn Bohacek vertraut macht. In jungen Jahren hat Jürgens, bürgerlich David Öllerer, übrigens wirklich am Friedhof gejobbt, als seine Musik noch nicht genug zum Leben abwarf. Während im Film immer wieder Motive aus Öllerers Leben aufblitzen, so ist der Spielfilm doch eindeutig (auto)fiktional zu betrachten, nicht biographisch.
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Es beginnt eine Odyssee zwischen Arbeitsplätzen, da Charlie, ein Spezl unseres Protagonisten und sein Manager, ein weiteres komplexes "Wiener Original" auch kein Geld für einen Vorschuss lockermachen kann. Zwischen Sexshop und Würstlbude lernen wir auch Rickerls Exfrau Viki (Agnes Hausmann), sowie seinen sechsjährigen Sohn Dominik (Ben Winkler) kennen. Auch wenn man sich bei letzteren Worten instinktiv sorgen möchte - ein bisschen wie man es bei Filmfrischling Voodoo Jürgens vielleicht instinktiv tun würde - so ist diese Sorge unbegründet. Schauspielerfahrung konnte der Wiener Liedermacher bislang nur in Musikvideos, 2018 beim Wientatort („Her mit der Marie!“) und bei Stefanie Sargnagels Theaterdebüt „Beisl, Bier und Bachmannpreis“ von 2017 sammeln.
Beisln und Bier gibt es in „Rickerl“ mehr als genug, für den Bachmannpreis würde es dem „besten Hawara“ und sympatischen Wienerlied-Raunzer im Film entschieden an Bekanntheit fehlen. Seine Musik ist zu „tief“, schwarz-ironisch, berührend und morbide für den Mainstream. Auf Hochzeiten wünscht man sich eher „Fürstenfeld“. Wenn Rickerl aber eine eigene Nummer vorträgt, dann ist das Publikum dafür augenscheinlich noch nicht bereit, was zu einer der besten Szenen im Film führt. Die „Wurschtigkeit“ des Vollblutmusikers wird in diesem an ein Musikvideo erinnernde Plansequenz anschaulich gemacht, mit einem Musiker, der sich durch nichts davon abbringen lässt, sein Liebeslied zu Ende zu spielen.
Der Wiener Weltschmerz und das dazugehörige sich selbst Leidtun, wie auch der oft nur aufgesetzte Menschenhass haben ja etwas Performatives und so spielt Voodoo Jürgens vielleicht schon länger, in gewissem Sinn. Sein Filmsohn Ben Winkler dagegen zeigt jedenfalls, dass Kinderschauspieler schon auch einen Film mittragen können, wenn das Umfeld passt. Hier setzt Regisseur Goiginer aus Überzeugung auf frühen Kontakt zu seinen jungen Darstellern und ein kollegiales Umfeld. Das Endergebnis auf Film kann sich sehen lassen.
Als Scheidungskind, das Fragen stellt, die in diesem Alter noch keine - in Wien ab und zu - Antwort von Erwachsenen erhalten hat Jungschauspieler Winkler keine einfache Aufgabe. Seine Rolle wurde nicht klein gehalten und es gibt Momente im Film, die ganz ihm gehören. Als Rickerls Sohn ist er ausgesprochen glaubhaft und herzerwärmend kindlich. Es gehört ihm die letzte Szene des Films ganz allein, wozu wir nicht zu viel verraten wollen, nur so viel: Es gab glasige Augen im Kinosaal.
Bei aller Lebenskunst des von Tag zu Tag lebenden Protagonisten mit Selbstzweifeln an sich und seiner Kunst ist „Rickerl“ aber auch ein Film geworden, in dem es darum geht, irgendwann Verantwortung zu übernehmen. Unser Antiheld erkennt seine eigenen Fehler zusehends an, arbeitet irgendwie auch an seinem Vaterkonflikt und geht vom „Raunzen“ zum „Hackln“ über, was ja nicht wechselseitig exklusiv ist, aber ein geeignetes Gleichgewicht finden sollte. Mit Schreibmaschine und Kassettenrekorder bringt Bohacek seine - Vooodoos - Lieder auf Papier und mal als Demo auf Band. Da ist Rickerl altmodisch und sowohl smartphone-, als auch fortschrittsresistent. „Die Gegenwart is gschissen, schick an SMS.“, antwortet er dem Manager, der ihm eine Whatsapp-Nachricht schicken möchte.
Am Ende kann auch ein sympathischer Unglücksrabe ein wenig Glück haben. Man wünscht es ihm, nachdem man eine Zeit lang in seinem Dunstkreis verbracht hat, in Beisln, wo das Inventar - also Stammgäste und Mobiliar - irgendwie Ende des letzten Jahrtausends stehen geblieben zu sein scheint.
„Rickerl - Musik ist höchstens a Hobby“ ist im Filmclub Bozen zu sehen und läuft am Freitag im Meraner Ariston Kino an.