Culture | Salto Afternoon
Spatenstich
Foto: Luca Guadagnini
Man glaubt es kaum, aber es sind nicht weniger als 60 Tonnen Material, welche den Boden des 2. Stockwerks des Museion bedecken und - in wechselnder Zusammensetzung - bis zum 3. September bleiben. Aber was ist das, was gestern nach Kakaobohnen roch und heute vielleicht wieder anders? Es hört auf den Namen „Neosoil“, ist also eine neue, künstliche Form von Erde, die sich aus allerhand verschiedenen Inhalts- und Abfallstoffen zusammensetzt: Schluff, Lehm, Sand, Marmorstaub, Asche, menschlichem Haar, Kaffeesatz, Sägemehl, Hackschnitzel, geschreddertem Büropapier aus dem Hause Museion, sowie saisonale Zusätze, wie Weintrester und mehr. Alle Bestandteile hatten eine kurze Reise, am weitesten war jene des Lehms aus Treviso. Von einem neunköpfigen Team an Kultivator:innen werden die Zutaten vermengt, nicht etwa hinter den Kulissen, sondern vor Ort. Sie sind Teil des Konzepts der Ausstellung. Dabei werden Parameter wie der PH-Wert geprüft und der künstliche Boden mit Sprühnebel vor dem Austrocknen geschützt.
Was soll das? Das „Neosoil“, vom amerikanischen Künstler Asad Raza mit Koryphäen auf dem Gebiet der Bodenwissenschaften (Jess Chadwick, Stefan Zerbe und Isabella von Dellemann) erdacht und weiterentwickelt, bereitet den Boden für eine prozessorientierte Ausstellung, die heute Abend, im Rahmen von „Ocupy Museion - Strategies of Glitches“, eröffnet wird. Die Arbeit ist dabei nie abgeschlossen, auch weil ein gewisser Schwund Teil des Konzepts ist: Jeder und jede ist aufgerufen, etwas von dem künstlichen Boden mit nach Hause zu nehmen, für welches Projekt auch immer. Was im Museion aus dem „Neosoil“ entstehen soll, ist dagegen bereits etwas eher vorbestimmt.
Verdichtung und Formgebung
Trägt das erste Kapitel der fünfteiligen Ausstellung noch, nach Asad Razas zu Grunde liegender Arbeit „Absorption“, den selben Namen, so gibt der zweite Teil der Ausstellung „20 x 10 x 5“ ab dem 26. Mai genaue Formen vor. Die Arbeit auf das zweite Kapitel hin hat bereits begonnen, der im zweiten Stock sonst als Bibliothek dienende Nebenraum wurde zur Experimentierstube für den Architekten und Ziegelmacher Filippo Arenosto, welcher derzeit die richtige Mischung aus „Neosoil“, Lehm und Wasser erprobt und mit Prototypen von Ziegeln die leer geräumten Bücherregale füllen wird. Auch das steckt hinter Plot: Wissen, das in den Boden und dessen Pflege einsickert, soll sichtbar und begreifbar werden.
Die auf diese Weise gewonnenen Ziegelsteine sollen dann, in „20 x 10 x 5“, durch die aus Neapel stammenden Architekten BB (Fabrizio Ballabio und Alessandro Bava) und die algerisch-stämmige Künstlerin Lydia Ourahmane, Form erhalten. Nach alter, bis heute gebräuchlicher Bautechnik aus Ägypten, wird eine Art Zufluchtsort im Inneren der Ausstellung geschaffen, welche auf Biwaks, Sacelli und Schutzräume in der Wüste Bezug nehmen soll.
Der Boden unter den Füßen
Das dritte Kapitel „Out of an Into: Plot“ wird am 27. und 28. Juli in Zusammenarbeit mit Tanz Bozen umgesetzt. Gleichzeitig wird es das Debüt der New Yorker Choreographin und Künstlerin Moriah Evans auf italienischem Boden sein. Zwei Tänzerinnen, Sarah Beth Percival und Kris Lee, werden eine neue Zusammensetzung aus einer ihrer jüngsten Arbeiten „Remains Persist“ (letztes Jahr aufgeführt im Performance Space New York) und einem Frühwerk, „Out of and Into (8/8): Stuff“ (von 2012) zur Aufführung bringen. Passend zum Konzept der Ausstellung sprach die Kuratorin Leonie Radine in diesem Zusammenhang bei der Presse-Preview von einer Art künstlerischem „Recycling“ und auch als ein zeitliches und räumliches Bindeglied kann diese Intervention verstanden werden. Sinnlich soll sich die Performance unter anderem mit dem Gefühl der Hysterie befassen.
Zum Ende
Mit „Reabsorption“ soll die eigene Arbeit am „Neosoil“ ab 22. August wieder zu Grunde gemacht werden: Die Ziegel der in „20 x 10 x 5“ geschaffenen Struktur werden aufgelöst und wieder dem „Neosoil“ untergemengt. Die Kultivator:innen werden wieder aktiv, um den künstlichen Boden zurück in ein chemisches Gleichgewicht zu bringen, in welchem er den Besuchern wieder nützlich sein und mit nach Hause genommen werden kann. Nachdem die Ausstellung am 3. September offiziell endet, soll das verbliebene „Neosoil“ im Zuge der langen Nacht der Museen, am 8. September, verschenkt werden.
Über die Dauer der Ausstellung hinweg „entwickelt“ sich auch eine zweite, ebenfalls von Asad Raza stammende Arbeit. „Ge“, ein Titel der auf die Griechische Erdgöttin Gaia Bezug nimmt, steht für eine Meditation in Videoform, an deren derzeit zwei Kapitel sich weitere angliedern werden. Wir sehen derzeit zum einen die als Kochrezept aufbereitete Anleitung zur Erzeugung unseres eigenen „Neosoils“. Zum anderen sehen wir einen Einblick in die Küstenlandschaft um das Landhaus von James Lovelock. Lovelock war, gemeinsam mit Lynn Margulis, Autor der durch New Age- und Hippie Bewegung animistisch verklärten „Gaia-Hypothese“, welche den Planeten als eine Lebensform versteht, trug aber auch einen wesentlichen Teil zur Entdeckung des Ozonlochs bei.
Wo aber bezieht der Künstler selbst in dieser Kultur-Landschaft Position? Wir schürften einige Fragen an Asad Raza aus dem Boden.
Salto.bz: Herr Raza, als wir die Ausstellung besuchten waren die Kultivator:innen gerade damit beschäftigt den Boden zu wässern. Derzeit erlebt Südtirol eine große Trockenheit. Gibt es eine Schätzung zum Wasserverbrauch der Ausstellung?
Asad Raza: Eine Schätzung zur Gesamtmenge habe ich nicht, aber die Rucksäcke, welche wir verwenden erzeugen einen Nebel, so dass sich mit einer Füllung von zwei, drei Litern die ganze Fläche abdecken lässt. Es ist also eine ziemlich kleine Menge an Wasser, pro Tag. Ich sollte aber die Gesamtmenge für die Ausstellung berechnen.
Der Gedanke, dass der „Neosoil“ die Ausstellung verlässt hat etwas solidarisches. Haben Sie bei „Absorption“ etwas von der Ernte aus dem „Neosoil“ zurück erhalten?
Noch nicht. (lacht) Aber mir wurden Bilder von Pflanzen oder Blumen, welche die Menschen züchten gezeigt. Es hat mir noch niemand einen Teil seiner Ernte geschenkt. Ich hoffe das passiert hier, das wäre großartig.
Auch in der Ausstellung erleben wir eine kreisförmige Bewegung: Das System wird wieder in den Ausgangszustand zurückversetzt. Wie wichtig ist da Dokumentation, oder ist das Erlebnis entscheidender?
Es geht mir viel mehr um die Erfahrung des Besuchers. Diese ist, von meiner Warte ausgesehen, wo die „Show“ stattfindet. Wir werden die Ausstellung vielleicht dokumentieren, aber das ist nicht systematisch Teil von dem, was wir machen. Das Wichtigste, was wir tun, ist diesen Boden zu kultivieren und eine gesunde Erde aus den Materialien die wir haben zu schaffen. Dann, im zweiten und dritten Abschnitt, eine Struktur schaffen, welche wir wieder einer gesunden Erde zuführen. Darum geht es, mehr als zu dokumentieren und dann ein Dokument vorzuführen. Das große Ziel ist, diesen Boden in der Welt zu verteilen, dokumentiert oder nicht.
Dan und ich teilten eine Leidenschaft für Kunstwerke, welche den Betrachter miteinbeziehen.
Sie haben in Ihrer Begrüßung erwähnt, dass Dan Graham ein Freund von Ihnen war. War die Parallele zum „Sonic Youth Pavilion“, das Schaffen eines Raums im Raum, ein Zufall oder eine konzeptuelle Entscheidung?
Es war ein Zufall, aber er zieht ein Echo nach sich. Als wir begonnen haben zu arbeiten und wussten, dass Dans Werk ausgestellt sein würde, wurde aus diesem Zufall ein Teil unserer Überlegungen. Dan und ich teilten eine Leidenschaft für Kunstwerke, welche den Betrachter miteinbeziehen. Er verwendet dafür dieses halbverspiegelte Glas, sodass man sich selbst bei der Betrachtung sieht. Ich versuche, direkt mit dem Besucher zu interagieren.
Wie verändert das Schaffen eines Raumes im Raum nicht nur diesen Behälter, sondern auch den ihn umgebenden Raum?
In einem gewissen Raum zu sein verändert uns auf eine tiefgreifende, phänomenologische Art und Weise, ob dieser Raum in einem anderen, größeren Raum ist oder nicht. Im Fall der Ausstellung wird Kapitel 2, in welchem die Struktur aus den Ziegeln errichtet werden wird, ein ganz anderes Kapitel sein. Auch weil die Kultivator:innen dann nicht arbeiten. Ich denke, es wird eine zeitlosere, an Ruinen erinnernde Atmosphäre haben, statt ein aktiver Ort zu sein. Die einzelnen Kapitel der Ausstellung werden sich in ihrem Habitus stark von einander unterscheiden.
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