Society | Gesundheitsversorgung

„Es fehlt der akademische Geist“

Das Vorhaben Medical School kehrt wieder aufs politische Tapet zurück. Warum sich der wissenschaftliche Leiter der Claudiana, Eduard Egarter-Vigl mehr Qualität von einer akademischen Medizinerausbildung erhofft.
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Foto: (c) Othmar Seehauser / Salto

Herr Egarter, in Zusammenhang mit der geplanten Medical School sprechen Befürworter von der Notwendigkeit auch in Südtirol eine akademische Medizin zu etablieren. Fehlt diese in Südtirols Gesundheitssystem?
Eduard Egarter-Vigl:  Was wir sicher brauchen ist eine Verbesserung der medizinischen Versorgung.  Und dazu kann eine akademisierte Medizin sicher wesentlich beitragen. Aus diesem Grund bin ich dem Konzept einer Medical School seit jeher positiv gegenüber gestanden. Aber nicht, weil ich glaube dass wir eine medizinische Fakultät brauchen, um unseren eigenen Bedarf an Ärzten abzudecken, das stimmt sicherlich nicht. Doch für mich ist klar, dass nicht nur Forschung und Lehre zusammengehören, sondern auch Forschung und die Qualität der medizinischen Versorgung.

Wie beispielsweise an einer Uniklinik Innsbruck?
Ja. In Tirol würde es auch nie zu einer Diskussion kommen, wie wir in den vergangenen Monaten in Zusammenhang mit der Onkologie  erlebt haben. Dort ist klar, dass die Uniklink das klare Kompetenzzentrum ist, auf das sich alles konzentriert. Die kleinen Krankenhäuser in Telfs, Kufstein oder Hall haben ebenfalls ihre Kompetenzen, aber es ist klar, dass sie sich nicht mit der Universitätsklink messen können. Ähnliches wollte man in Bozen auch haben, und der einfachste Weg, die Kompetenz zunehmend im Krankenhaus Bozen zu konzentrieren, schien eben die Angliederung an eine medizinische Fakultät.

Ganz so einfach ist der Weg nicht, wie die vielen kritischen Stimmen zur Medical School zeigen.
Ich denke, niemand kann etwas gegen das Konzept haben, die Qualität der medizinischen Versorgung zu heben. Die Frage ist, wie wir dorthin kommen. Es gibt zum Beispiel den Vorschlag des Südtiroler Freundeskreises der Universität Innsbruck, die gewünschte Akademisierung über die Ansiedlung von habilitierten Medizinern als Chefärzte von einzelnen Abteilungen zu erreichen. Mit entsprechender akademischer Rückendeckung durch eine Universität könnten die Qualitätsstandards in solchen Lehrabteilungen gewährleistet werden und garantiert werden, dass die Fachausbildung für junge Ärzte einem bestimmten Niveau entspricht.

Ist die Facharztausbildung in Südtirol schlechter als in Österreich oder Deutschland?
Das kann man generell nicht sagen, sondern muss von Fall zu Fall unterschieden werden.

Warum kommen dann viele Medizinstudenten nach ihrem Studium nicht mehr nach Südtirol zurück?
Ich denke, hier geht es nicht nur um die Qualität der Ausbildung, sondern auch um die Arbeitsbedingungen. Die Gehaltssituation für Ärzte hat sich in den letzten zehn bis 15 Jahren deutlich verschlechtert. Dadurch fallen auch viele österreichische oder bundesdeutsche Ärzte  weg, die früher nach Südtirol kamen. Dazu kommen die restriktive Auslegung der Arbeitszeiten und die gesamten italienischen Rahmenbedingungen. Heute wird alles in 40 Stunden hineingepresst, das Personal wird gekürzt und die Arbeitsbedingungen haben sich insgesamt verschlechtert. Und wahrscheinlich ist auch der Ruf zurück in die Heimat für junge Menschen nicht mehr so stark. Heute steht in viele Länder offen, wo sie möglicherweise bessere Arbeitsbedingungen finden.

Worunter leidet die Qualität dann?
Sehen wir uns zum Beispiel die Karriereverläufe in Südtirols Krankenhäusern an. Dort werden Primariate oder Chefarztstellen in der Regel durch interne Berufungen nachbesetzt. Und ohne einzelne Kollegen nahetreten zu wollen,  ist es einfach eine Gesetzmäßigkeit, dass sich die Qualität in Folge solcher Hausberufungen etwas verringert. Wir haben aber auch gesehen, dass beispielsweise die Ausschreibung der Chefarztstelle in der Chirurgie in Brixen zwei Mal vakant ausgegangen ist. Das heißt, es gibt weder von auswärts Interesse, und auch in Südtirol haben wir Probleme, Leute zu finden. Hier ist uns einfach der akademische Karrieregeist ein wenig verloren gegangen.

Und deshalb brauchen wir eine Medical School?
In der Theorie wäre es natürlich schön, wenn wir in Bozen eine medizinische Fakultät hätten. Aber ich bin auch Realist genug, um zu sehen, dass ein solches Projekt sehr schwer realisierbar ist und lange Vorlaufzeit braucht, und da sprechen wir noch nicht einmal von den Kosten. Deshalb ist jetzt zu schauen, in welche Richtung die einzelnen  Vorschläge gehen. Aber ich bleibe sicherlich bei meiner ursprünglichen Position, dass eine solche Initiative die Qualität im Gesundheitssystem verbessern und die Attraktivität steigern kann.

Sprechen Sie hier auch als wissenschaftlicher Leiter der Claudiana?
Ja, denn aus Sicht der Claudiana wäre eine medizinische Fakultät in Bozen sicherlich zu begrüßen. Da heute auch alle nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe akademisiert sind, in denen wir ausbilden, sind wir gezwungen, Konventionen mit italienischen Universitäten abzuschließen. Derzeit haben wir fünf solcher Konventionen laufen, und kommen zunehmend in Schwierigkeiten, sie aufrechtzuerhalten. Wenn wir uns hier an eine Fakultät in Bozen andocken könnten, wäre es sicher nicht nur den organisatorischen Abläufen, sondern wahrscheinlich auch der Qualität zuträglich.