Italia-Afghanistan
Foto: difesa.it
Society | Truppenabzug

Flucht aus dem Hindukusch

Italiens Truppen verlassen Afghanistan.

 

Selten werden Entscheidungen der italienischen Regierung so rasch umgesetzt. Nur wenige Wochen nach der Ankündigung von Aussenminister Luigi Di Maio hat Italien mit dem Abzug seiner Truppen aus Afghanistan begonnen. Im italienischen Stützpunkt Basis Camp Arena in Herat fand sich Italiens Verteidigungsminister Lorenzo Guerini jüngst medienwirksam zur Einholung der Trikolore ein. Es war eine Zeremonie mit Schönheitsfehlern. Denn die Weigerung der arabischen Emirate, die Maschine des Ministers wegen dem von Rom verfügten Verbot des Waffenexports aufzutanken, machte eine weitere Zwischenlandung in Saudi-Arabien erforderlich. Im halbleeren Hangar übte sich der Verteidigungsminister in national gefärbter Rhetorik und gedachte der 53 Opfer des italienischen Kontingents: "Non sono morti invano. L'Italia li ricorderà sempre." Obwohl das Scheitern der NATO-Truppen offensichtlich ist, rechtfertigt der Verteidigungsminister den Beschluss des Einmarsches im Herbst 2001 – als unmittelbare Folge der Al Qaida-Anschläge in den USA: "C'è da chiedersi cosa sarebbe stato di questo paese se non fossimo intervenuti. Grazie a noi la società afghana è progredita. Ce ne andiamo dopo aver ottenuto risultati importanti per la sicurezza internazionale e per la libertà del popolo afghano." Beschönigung in Reinkultur.

 

Auch Di Maio übte sich zu gegebenem Anlass in patriotisch gefärbter Rhetorik "Non abbandoneremo mai gli afghani. Offriremo progetti di sviluppo." Italien hat sich die 20-jährige Präsenz in Afghanistan acht Milliarden Euro kosten lassen. Im Vergleich dazu wirken die 15 Millionen an Entwicklungsgeldern geradezu lächerlich. Die rund 800 Mitarbeiter des italienischen Camp Arena, von denen 270 als Übersetzer arbeiten, ersuchten eindringlich darum, nach Italien ausgeflogen zu werden, um nicht Opfer von Racheakten der Taliban zu werden. Camp Arena soll noch im Juli geschlossen werden. Die verbleibenden Truppen sollen in Kabul stationiert werden. Bis zum 11. September sollen alle westlichen NATO-Kontingente aus Afghanistan abgezogen werden. 53 Tote beklagt Italien in diesem Krieg, der viele Ähnlichkeiten mit den Ereignissen in Vietnam aufweist. Zwei Jahrzehnte nach Beginn des NATO-Einsatzes und kurz vor dessen Ende sind die westlichen Verbündeten von ihren ursprünglichen Zielen weit entfernt. Weder wurden die Taliban besiegt noch eine politische Stabilisierung erreicht. Auf dem Papier erscheint es wie ein Nullnummernspiel. Die NATO marschierte 2001 in Afghanistan ein, um das Taliban-Regime zu stürzen. Es war ein Strafaktion für die Anschläge Osama Bin Ladens und von Al Qaida in den USA. Vor allem die Zivilbevölkerung zahlte einen enormen Blutzoll für die surreale Anmassung der westlichen Welt, ein Land mit mittelalterlichen Stammesstrukturen in ein Vorzeigeprojekt für den erfolgreichen Export westlicher Demokratien zu verwandeln.

Die Bilder der Soldaten, die jetzt ihre Transportmaschinen besteigen, erinnern fatal an jene von 1988, als die von einem Partisanenheer geschlagene Rote Armee nach fast 20-jährigem Krieg Afghanistan den Rücken kehrte.

Dabei wusste bereits Alexander der Grosse um die am Hindukusch lauernden Gefahren. Und John Lawrence, der britische Vizekönig von Indien schilderte die Situation schon 1862 sehr präzis: "Der Afghane erträgt Armut und Unwägbarkeiten des Lebens, aber er duldet keine Fremdherrschaft. Es war stets leichter, Afghanistan einzunehmen, als es zu halten." Von all dem hat Giorgio Mulè, Forza-Italia-Staatssekretär im Verteidigungsministerium, offenbar nie etwas gehört: "La cerimonia dell'ammainabandiera alla base di Herat rappresenta una ripartenza, non un rassegnarci."