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Resignieren die Südtiroler?

Die „Great Resignation“ ist in Südtirol angekommen. Hierzulande lässt sich das neue Phänomen noch schwer einschätzen. Ein Blick nach außen liefert erste Antworten.
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Foto: (c) pixabay
Im Rahmen des kürzlich vorgestellten Arbeitsmarktberichtes (November 2021 bis April 2022) wies Stefan Luther, Direktor der Landesabteilung Arbeit, auf ein Phänomen hin, das seit Kurzem auch in Südtirol beobachtet werden kann und sich offenbar im Schatten der Pandemie entwickelt hat. Erstmals wurde der urplötzliche und unerwartete Anstieg von freiwilligen Kündigungen im Jahr 2021 in Texas, in den USA, beschrieben. „Diese neue Situation, die wir erst seit wenigen Monaten beobachten, ist derzeit nur sehr schwer einzuschätzen“, betonte Luther. Laut Datenerhebung hat der Anteil der freiwilligen Kündigungen in Südtirol im Vergleich zum Vorjahr um 27 Prozent zugenommen. Interessant dabei ist, dass Personen, die im vollen Berufsleben stehen, plötzlich kündigen.
 
 
 
„Diese Kündigungen führen zu einem Problem auf dem Arbeitsmarkt, auf dem ohnehin die Fachkräfte fehlen“, betonte der Direktor, der erklärte, dass das Phänomen quer durch alle Branchen hindurch zu beobachten sei und beide Geschlechter gleichermaßen betreffe. In einigen Berufssektoren häufen sich die Kündigungen jedoch überdurchschnittlich, und zwar im Bereich Gesundheit- und Soziales und in der öffentlichen Verwaltung. Rund 53 Prozent der Personen, welche kündigen, stehen dabei voll im Berufsleben bzw. befinden sich im besten Arbeitsalter zwischen 45 und 55 Jahren. Jüngere Arbeitnehmer sind davon weniger betroffen. „Wir sprechen hier immerhin von einigen Tausend Personen, die auf dem Arbeitsmarkt fehlen“, so Luther, der ankündigte, das Phänomen weiterhin beobachten zu wollen.
 
Wir sprechen hier immerhin von einigen Tausend Personen, die auf dem Arbeitsmarkt fehlen.
 
Auf Nachfrage von Salto.bz erklärte der Direktor der Landesabteilung Arbeit, dass über die Beweggründe der Personen keine Informationen vorliegen. Diesbezügliche Befragungen würden von der Landesabteilung Arbeit auch nicht durchgeführt. „Ausstiege, Umstiege und berufliche Neuorientierungen hat es immer schon gegeben. Tatsache ist jedoch, dass der Anstieg der freiwilligen Kündigungen kohärent mit dem Phänomen ist, das erstmals in Texas festgehalten und als Great Resignation bekannt wurde“, so Luther, der darauf hinweist, dass man frühestens in einem Jahr sagen könne, ob dieses Phänomen langfristige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben wird oder es sich nur um ein kurzfristiges Ereignis handelt, das wieder verpufft. Die weiteren Analysen werden zudem zeigen, wie nachhaltig die Verabschiedung aus dem Arbeitsmarkt ist oder ob es eine Neuorientierung geben wird. Erste Daten, wieviele „Aussteiger“ wieder in das Berufsleben und ihrem Sektor zurückgekehrt sind, werden frühestens in sechs Monaten vorliegen. Zum jetztigen Zeitpunkt wären irgendwelche Schlussfolgerungen jedoch reine Spekulation, so Luther.
 

Verschleißerscheinungen

 

Was kommt auf den Südtiroler Arbeitsmarkt nun zu? Antworten und mögliche Entwicklungsszenarien liefert ein vor Kurzem erschienener Report des weltweit operierenden McKinsey-Instituts. Laut Erhebung, die in Australien, Kanada, Singapur, Großbritannien und den USA durchgeführt wurde, haben allein in den Vereinigten Staaten seit April 2021 19 Millionen Angestellte von sich aus gekündigt. Viele Unternehmen gerieten dadurch in Schwierigkeiten, vor allem auch deshalb, weil man lange Zeit über die Gründe der plötzlichen Kündigungswelle rätselte. Anstatt den Ursachen auf den Grund zu gehen, hätte man sich ausschließlich auf „schnelle Maßnahmen“ wie Gehaltserhöhungen beschränkt, so das Autorenteam, das darauf hinweist, dass die tatsächlichen Bedürfnisse der Arbeitnehmer damit außer Acht gelassen würden.
 
Wenn uns die vergangenen Monate eines gezeigt haben, dann das der ‚menschliche Aspekt‘ der Arbeit an Bedeutung gewonnen hat.
 
„Wenn uns die vergangenen Monate eines gezeigt haben, dann das der ‚menschliche Aspekt‘ der Arbeit an Bedeutung gewonnen hat“, ist im Report nachzulesen. Die Angestellten seien müde und teilweise auch frustriert. Sie wünschen sich eine neue Ausrichtung, die den Sinn ihrer Tätigkeit stärker in den Fokus rückt sowie mehr Wert auf die sozialen und zwischenmenschlichen Kontakte mit den Kollegen und Vorgesetzten legt. Kurz und gut: Die Angestellten wünschen sich mehr Gemeinschaftsgefühl. Natürlich würden auch das Gehalt, Benefits und andere Vorteile eine Rolle spielen, aber in erster Linie erwarten sie sich von ihrem Betrieb und ihrem Arbeitgeber Wertschätzung und eine gemeinsame Identifikation oder anders ausgedrückt: Interaktion statt Transaktion. Deutlich festgehalten ist im Report auch die Gefahr für die Betriebe, sollten sie nicht in der Lage sein, rechtzeitig und angemessen auf die neue Situation zu reagieren. Weit größer sei jedoch die Gefahr, dass sich die Arbeitnehmer vollständig vom Arbeitsmarkt zurückziehen und dem traditionellen System der Vollzeitarbeit den Rücken kehren, der ihre Wünsche nach mehr Flexibilität und Autonomie nicht entgegenkommt.
 
 

Hält der Trend an?

 

Der Report bestätigt einige Trends, die auch in Südtirol beobachtet werden konnten: Von den freiwilligen Kündigungen sind sämtliche Berufssparten betroffen, insbesondere Angestellte im Gesundheits- und Erziehungswesen erklärten, dass sie sich mit dem Gedanken an eine Kündigung tragen. Wobei – im Unterschied zu Südtirol – Unternehmen in der Freizeit- und Hotelleriebranche sowie der Handel, Transport und Versorgungsunternehmen mit dem höchsten Risiko konfrontiert waren. Laut Studie handelt es sich bei diesem Phänomen nicht um eine Eintagsfliege, sondern der Trend der freiwilligen Kündigungen könnte noch länger anhalten. So gab 53 Prozent der Befragten an, dass sie zunehmend mit dem Gedanken tragen, freiwillig zu kündigen. 64 Prozent erklärten, dass sie davon ausgehen, dass das Problem weiterhin bestehen bzw. sich in Zukunft sogar noch verschlimmern wird.