Politics | Benko

Der Anfang vom Ende

Experten-Schaulauf im Bozner Gemeinderat. Konnten die rechtlichen Zweifel geklärt werden? Zwei Stunden vor Mitternacht schließlich der Auftakt zur Debatte.

Als Luigi Spagnolli ins Mikrofon spricht, schwingt beinahe etwas Feierliches in seinen Worten mit: “Wir haben uns heute eingefunden, um die Programmatische Vereinbarung für die städtebauliche Umstrukturierung zu genehmigen.” Sogleich verbessert er sich: “In Wahrheit sitzen wir hier, um über den Beschluss zur Genehmigung der Programmatischen Vereinbarung  zu diskutieren.” Doch diskutiert wurde über die Essenz der Vereinbarung, das so genannte “Benko-Projekt” nur wenig. Und beschlossen erst recht nichts. Der letzte Akt in Sachen Kaufhaus und Städtische Umstrukturierung begann mit mehreren Fragestunden im Bozner Gemeinderat. Den Auftakt machten die beiden Anwälte Andrea Torricelli und Antonio Tita. Sie waren als Rechtsberater der Gemeinde Bozen anwesend, um die Gemeinderäte über eventuelle juristische Konsequenzen, die nach der Abstimmung auf sie zukommen könnten, aufzuklären. Beantragt hatte die Anhörung wie berichtet eine Gruppe von Gemeinderäten, die im Falle eines “Nein” zum Kaufhaus-Projekt Schadenersatzforderungen vonseiten des Projektanten, sprich der Signa Holding und Kaufhaus Bozen (KHB), fürchteten.


Art. 55/quinquies und Versteigerung

Aus Florenz war Rechtsanwalt Torricelli angereist. In einem viertelstündigen Diskurs erläuterte er die rechtlichen Neuheiten und Besonderheiten, die der berühmt-berüchtigte Artikel 55/quinquies im Südtiroler Raumordnungsgesetz mit sich gebracht hat. Zum ersten Mal wird dieser nämlich im Falle der anstehenden Abstimmung über die Programmatische Vereinbarung zur städtebaulichen Umstrukturierung zum Einsatz kommen. “Die darin enthaltenen Regelungen sehen Instrumente vor, die je nach Projekt angepasst werden können”, erklärte Torricelli. Das sei in voller Absicht von der Südtiroler Landesregierung so festgelegt worden und erlaube unter anderem, dass von Fall zu Fall, von Projekt zu Projekt zum Beispiel über das Bestehen oder Nicht-Bestehen eines öffentlichen Interesses befunden wird.

Die beiden Rechtsberater im Gemeinderatssaal: Andrea Torricelli aus Florenz und Antonio Tita aus Trient.

Torricellis Trentiner Kollege Tita erinnerte daran, dass die Programmatische Vereinbarung eine Veräußerung öffentlicher Güter vorsehe. Daher wird es, sollte der Beschluss angenommen werden, obligatorisch zu einer Ausschreibung kommen. Nicht per Wettbewerb, sondern mittels einer Versteigerung wird der endgültige Käufer der Immobilien ermittelt werden. “An der Versteigerung können alle Interessierten teilnehmen”, betonte Tita, “doch zur Teilnahme verpflichtet ist auf jeden Fall der Initiator selbst.” Kurz gesagt, genehmigt der Gemeinderat den Beschluss zur Ratifizierung der Programmatischen Erklärung, wird eine Versteigerung der in öffentlicher Hand befindlichen Immobilien und Liegenschaften durchgeführt. An dieser muss die KHB GmbH auf jeden Fall teilnehmen. Für den wohl eher unwahrscheinlichen Fall, dass ein anderer Interessent den Zuschlag für das Projekt (für das die KHB bereits ausgereifte Pläne ausgearbeitet und jede Menge Geld hingeblättert hat) erhalten sollte, kann er dies nicht unter dem in der Städtebaulichen Vereinbarung festgelegten Preis tun. “Ein etwaiger Neuinteressent kann höchstens noch etwas draufschlegen”, erklärte Tita.


Haftungsfrage geklärt. Oder nicht?

Nach den Interventionen der zwei Rechtsexperten hatten die Gemeinderäte Gelegenheit, sich mit ihren Fragen, Zweifeln und Sorgen an sie zu wenden. Als juristischer Laie hatte man Schwierigkeiten, den komplexen Ausführungen von Torricelli und Tita zu folgen. Auch auf den Gesichtern so manch eines Gemeinderates zeichnete sich Ratlosigkeit ab. Einige Fragen, etwa jene nach einer eventuellen persönlichen und institutionellen Haftbarkeit bei einem “Nein”, tauchten immer wieder auf. Schließlich war es Rudi Benedikter – seines Zeichens selbst Rechtsanwalt –, der das von den beiden Beratern Gesagte auf den Punkt zu bringen versuchte:

Nachdem wir nun ausführlich über Befangenheit, Gebundenheit und die eventuelle Haftung sowohl der Gemeinde als Körperschaft als auch der einzelnen Gemeinderatsmitglieder informiert worden sind, möchte ich klarstellen: Eine Schadenersatzklage für die Institution Gemeinde oder den Einzelnen im Falle einer negativen Entscheidung über Benko ist nicht möglich. Es gibt kein juristisches Fundament dafür. Wer die Theorie in den Raum gesetzt hat, weiß, was er gemacht hat, dass dadurch Ängste geweckt worden sind. Es gibt aber keinen Anhaltspunkt für solche Forderungen, weil die Behörden und die Gemeinde den vom Artikel 55 quinquies vorgesehenen Iter nach bestem Wissensstand durchgeführt haben. Es wurden vom ersten bis zum letzten Moment keine Rechte oder rechtliche Interessen irgendwelcher Art verletzt. Und die beiden Experten haben bestätigt: Wenn wir die Verwaltung korrekt durchgeführt haben, dann gibt es keinen Anlass für zukünftige Regressforderungen.

Etwas anders sieht es der Bürgermeister. Auf die Frage, ob denn nun definitiv keine Schadenersatzforderungen eintrudeln werden, antwortet Luigi Spagnolli in einem Videointerview mit dem Onlineportal stol.it: “Benko kann alles machen, was er will. Ob ihm dann ein Richter Recht gibt, ist fraglich. Ganz klar, wir wissen nie, wie ein Richter entscheiden würde. Und normalerweise ist es so, dass jemand  mit guten Rechtsanwälten mehr Chancen hat, einen Schadenersatz zu bekommen als jemand mit schlechten Rechtsanwälten. Und ich gehe davon aus, dass der Benko gute Rechtsanwälte hat.”


Vor den Politikern die Techniker

Überraschend und unangekündigt folgten auf die Ausführungen der juristischen Experten jene der technischen Fachleute der Dienststellenkonferenz. So hatte unter anderem Flavio Paglia die Gelegenheit, den Gemeinderäten seine Expertise und seine Schlussfolgerungen zu präsentieren. Paglia war vom Landesschätzamt zur Unterstützung herangezogen worden, als es darum ging, die Immobilienbewertung im Rahmen des vom Gesetz vorgesehenen Verfahrens zur städtebaulichen Umgestaltung vorzunehmen. Im Großen und Ganzen bestätigte Paglia das, was die Fachleute des Landesschätzamtes bereits am 19. Juni in einer Stellungnahme zum Ausdruck brachten. Zweifel an der Richtigkeit der Schätzwerte hatten die Gemeinderäte des Movimento 5Stelle angemeldet. Im Laufe der Fragerunde mit Paglia betonten sie erneut, dass sich die Gemeinde viel Geld habe durch die Finger gehen lassen.


Die Debatte geht los

Um 22.12 Uhr, vier Stunden nach Beginn der Sitzung, ging man dann schließlich zu den politischen Tagesordnungspunkten über. Etwas zögerlich und erst nach mehrmaliger Aufforderung vonseiten des Gemeinderatspräsidenten Luis Walcher (“Freiwillige vor! Ich warte noch eine Minute, dann gehen wir zur Abstimmung über!”) meldete sich der erste Gemeinderat zu Wort. Luigi Gallo brach das Schweigen. Es folgte eine knapp halbstündige Stellungnahme, in der der Linke Stadtrat seine Abneigung gegen das Kaufhaus-Projekt zum Ausdruck brachte. “Ich bin mit der Programmatischen Vereinbarung nicht einverstanden”, so Gallo gleich zu Beginn. “Denn es handelt sich hier um ein Projekt, das die Stadt spaltet, anstatt sie zu einen.” Nicht nur der Gemeinderat, auch die Parteien seien sich intern nicht einig. Und eine wahre Beteiligung der Bevölkerung habe es nie gegeben (“Niemand weiß heute, was die Bürger wirklich denken.”) Darüber hinaus sei vonseiten der Kaufhaus-Initiatoren Druck auf die Politik ausgeübt worden. “Mit dem Gerücht von eventuellen Schadenersatzforderungen wurde unter den Gemeinderäten Angst erzeugt”, ist sich Gallo sicher. Grundsätzlich sei er offen für jeden, der in Bozen investieren will und sich auch bewusst, dass rund um den Bahnhofspark etwas passieren muss. Aber bevor ein neues Projekt ins Leben gerufen wird, fordert Gallo die Änderung des Landesgesetzes – des Artikel 55 quinquies –, “für das wir heute alle den Preis bezahlen.

Kurz vor halb 12 Uhr: Der Presseraum, anfangs noch überfüllt, ist mittlerweile fast leer. Auch aus dem Sitzungssaal sind bereits einige Räte verschwunden.

Als zweiter Redner war Rudi Rieder an der Reihe. Der Movimento 5Stelle-Rat teile die Auffassung von Gallo, nach der unter anderem der Virgl und der Verkauf der Kellerei Gries als Druckmittel für ein “Ja” verwendet werden. Vor allem die Bauern würden derzeit massiv Druck ausüben. “Fragen Sie die SVP, wie es intern gerade bei ihr zugeht”, so Rieder in Richtung Plenum. Auch er zählte einige kritische Punkte auf, bei einem “Ja” seien außerdem Rekurse, etwa vonseiten der Anwohner, garantiert, ist Rieder überzeugt. Nach der Devise “Außer Spesen nix gewesen” lehnte er das Kaufhaus-Projekt ab. Mittlerweile gegen die Pläne von Signa und KHB ist auch Rudi Benedikter. Er erklärte, warum: “Der langjährige Stillstand am Bahnhofsareal hat Benko überhaupt erst eine Chance gegeben. Wäre dort etwas weitergegangen, hätte Benko nicht diese Attraktivität und diesen Reiz für Bozen erhalten”, so Benedikter. Seine anfängliche Faszination sei jedenfalls verflogen. Er gab Luigi Gallo Recht: “Ein Projekt, das die Stadt so spaltet, ist schon allein deshalb nicht verträglich. Und ein Nein zu Benko bedeutet nicht Stillstand, wie es viele Befürworter behaupten, sondern ein Nein zu Benko bedeutet, dass ein unbelasteter Neustart möglich ist.” Die Gemeinde solle selbst die Planung des Busbahnhofareals und damit die Zügel wieder in die Hand nehmen. “Ich plädiere für dieses Nein”, schloss Benedikter.

Nach Guido Margheri, der ein weiteres Mal seine ablehnende Position zum Kaufhaus-Projekt in dieser Form kundtat (“Wer weiter darüber diskutieren will, muss mit Nein stimmen.”), war die erste Vertreterin der Partei des Bürgermeisters an der Reihe. Die PD-Rätin Monica Franch erklärte, sie sei gegen die Realisierung des von KHB eingereichten Vorhabens. “Es ist wichtig, mit Privaten zusammenzuarbeiten”, stellte sie klar, “doch ich bin gegen die Privatisierung der Stadt. Ein für Bozen so wichtiges Areal darf nicht an Private abgetreten werden.” Franch appellierte an ihre Ratskollegen, nicht voreilig abzustimmen.


Zwei “Ja” aus unterschiedlichen Richtungen

Nach den fünf konträren Wortmeldungen war schließlich Enrico Lillo dran. “Im Gegensatz zu dem, was Gallo behauptet, haben die Menschen sehr wohl eine Entscheidung getroffen”, ist der Forza-Italia-Exponent der Meinung. “Denn bei den Wahlen im Mai hatten alle Parteien Benko in ihrem Programm. Und dass sich viele Leute Positives von dem Projekt erwarten, ist nicht von der Hand zu weisen – es reicht, auf die Straße zu gehen und mit ihnen zu sprechen”, so Lillo. Für ihn bedeute ein “Nein” auf jeden Fall Stillstand. Gleichzeitig würde man damit auch künftige potentielle Investoren – auch für das Bahnhofsareal – aus der Stadt verscheuchen. “Wie wir von den Experten gehört haben, ist der gesamte Iter transparent und legal, also korrekt abgelaufen. Es ist Quatsch, wenn jemand das Gegenteil behauptet”, sagte Lillo. Daher sei es nun am Gemeinderat zu entscheiden, ob das Projekt wirklich notwendig sei.

Last but not least durfte Sandro Repetto das Wort ergreifen. Dieses richtete der PD-Rat an seine Kollegen des Movimento 5Stelle ihm gegenüber. “Ich bin beeinflusst worden, mit Ja zu stimmen. Man hat mir damit eine Entscheidung, die ich innerlich gefühlt habe, abgenommen”, so Repetto zu den Grillini. Diese hatten in letzter Zeit mehrmals kritisiert, dass Repetto im Fall des Kaufhaus-Projekts gar nicht abstimmen dürfe. Die Unvereinbarkeit ergebe sich daraus, dass Repettos Bruder Eigentümer eines Grundstücks auf dem Virgl – einem weiteren von der Signa ins Auge gefassten Investitionsareal – ist. “Ich habe nichts zu verstecken und habe das auch nie gemacht”, betonte Repetto. Doch er werde aus einem weiteren Grund für das Kaufhaus stimmen: “Ich sehe keinerlei Zukunft für diese Mehrheit (im Gemeinderat, Anm. d. Red.). Daher werde ich mich auch nicht enthalten, sonder bekunde hiermit meinen Willen, für diesen Beschluss zu stimmen. Ich werde ein Ja abgeben.”


Fortsetzung folgt...

Mit diesen Worten ging der erste Akt des Zweiteilers “Showdown um Benko” kurz vor Mitternacht zu Ende. Um 18 Uhr wird der Gemeinderat am heutigen Donnerstag Abend erneut zusammentreten. Die Sitzung ist mit Open End, also mit offenem Ende angesetzt. Wann die endgültige Entscheidung schließlich kommen wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Fest steht nur, dass die Gemeinderäte bis Freitag, 24. Juli um Mitternacht Zeit haben, abzustimmen. Wie die Mehrheitsverhältnisse nach der ersten Sitzung ausschauen, darüber kann nur gemutmaßt werden. Von der Sitzung der Mehrheit am Dienstag Abend ist kein Wort nach außen gedrungen. Als die Gemeinderäte nach Mitternacht den Saal verlassen, ist von zwanzig sicheren “Nein” die Rede. Die große Unbekannte bleibt nach wie vor, ob es zu einer geheimen Abstimmung kommt. Dann könnten sich insbesondere SVP und PD als Helfer der Befürworter erweisen.