Chronicle | Verwaltungsgericht
Gordischer Knoten
Foto: Othmar Seehauser
Man muss es als merkwürdigen Zufall ansehen.
Seit drei Wochen ist es am Bozner Verwaltungsgericht nicht mehr möglich, vorab die Zusammensetzung eines Richtersenates einzusehen. Selbst die Anwälte, die über das elektronische Portal Zugang zu den Akten haben, bekommen nicht mehr vorab die Information welche vier Richterinnen und Richter sich ihres Falles annehmen werden.
Die Maßnahme – bisher einmalig in der italienischen Gerichtsbarkeit – wird vom zuständigen Generalsekretär des Verwaltungsgerichtes Michele Dagonstin mit dem Datenschutz begründet. Es ist eine zumindest fragwürdige Interpretation.
Denn laut Prozessordnung müssen die Parteien über die Zusammensetzung des Richtersenates informiert werden. Der Hintergrund: Die Parteien haben laut Zivilprozessordnung bis zu drei Tage vor der Verhandlung, Zeit, Richter wegen Befangenheit zurückzuweisen. Ab sofort müssen die Anwälte aber eine PEC-Mail ans Generalsekretariat senden, um die Namen der Richter in Erfahrung zu bringen.
Dass diese Datenschutzbestimmung in der italienischen Verwaltungsgerichtsbarkeit bisher ausschließlich am Verwaltungsgericht Bozen umgesetzt wird, hat einen bitteren Beigeschmack.
Denn man hat in der Bozner Gerstburg genau in diesem Bereich ernsthafte Probleme. Durch die besondere Zusammensetzung des Südtiroler Verwaltungsgerichts, den für Italien einmaligen Ernennungsmodus der Richterinnen und Richter, aber auch der damit zusammenhängenden Kleingliedrigkeit Südtirols, kommt es immer wieder vor, dass Richter oder Richterinnen aus Befangenheitsgründen Verhandlungen ablehnen müssen. Salto.bz hat in mehreren Artikel nicht nur konkrete Befangenheiten aufgezeigt, sondern auch darauf hingewiesen, dass das Südtiroler System der Verwaltungsgerichtsbarkeit hier in eine Sackgasse geraten ist aus der man kaum mehr herauskommt.
Wie akut dieser Missstand inzwischen ist, wird an einem aktuellen Fall mehr als deutlich.
Der Rekurs
Auf dem Verhandlungskalender des Bozner Verwaltungsgerichts steht für heute eigentlich die Entscheidung über einen Dringlichkeitsantrag.
Das Team Köllensperger hat einen Rekurs gegen den Verkauf der ABD Airport AG eingereicht. Der Rekurs „151/2019“ wurde von insgesamt 476 Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet. Darunter finden sich die Landtagsabgeordneten Paul Köllensperger, Maria Elisabeth Rieder, Franz Ploner, Alex Ploner, Brigitte Foppa, der Bürgermeister von Leifers Christian Bianchi, die Gemeinderäte Franz Simeoni und Paolo Castelli, der ehemalige SVP-Senator Oskar Peterlini, der ehemalige SEL-Kammerabgeordnete Florian Kronbichler, Georg Simeoni (Präsident AVS), die Vertreter des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz, Präsident Klaus Peter Dissinger und Geschäftsführer Andreas Riedl, sowie Stephan Lausch von der Initiative für mehr Demokratie.
Als Anwältinnen für die Rekursteller treten im Verfahren die Bozner Wirtschaftsberaterin und Anwältin Renate Holzeisen und die römischer Verwaltungsrechtlerin Michela Reggio d’Aci auf. Und es passiert jetzt genau das, was seit Monaten absehbar war.
Die Befangenheit
Erst auf schriftliche Anfrage wurden den Rekurstellern die Namen des vierköpfigen Richtersenates mitgeteilt, der über den Flughafenrekurs urteilen wird. Es sind Edith Engl, Alda Dellantonio, Sarre Pirrone und Michele Menestrina.
Die eigentlich für heute festgesetzte Verhandlung zur Dringlichkeitsverfügung wird damit kaum stattfinden. Denn Alda Dellantonio wird als amtierende Präsidentin des Verwaltungsgerichtes vorher eine andere Rechtsfrage klären müssen.
Die beiden Anwältinnen Renate Holzeisen und Michela Reggio d’Aci haben am vergangenen Freitag kurzfristig einen Antrag auf Zurückweisung und Ersetzung von zwei Richtern wegen Befangenheit gestellt. Es geht dabei um Edith Engl und Michele Menestrina.
Das Team Köllensperger spricht in einer Presseaussendung von einer „inakzeptablen Zusammensetzung des Richtersenats am Verwaltungsgerichtshof Bozen“. Und weiter: „Das Gesetz sieht eine klare Pflicht des Richters vor, sich aus eigenem Antrieb der Beteiligung an der Prozessführung zu enthalten. Dies ist in diesem Fall leider nicht geschehen“.
Verständlich wird diese Kritik wenn man die Vorgeschichte kennt. Es handelt sich um einen besonderen juridischen Streitfall, der vom Verwaltungsgericht ans Landesgericht gewandert ist und dort beim Richter für die Vorerhebungen noch behängt.
Der Fall Morgante
Ausgangspunkt des Falles ist ein Verfahren, das einigen Staub aufgewirbelt hat.
Es geht dabei um das Amt des leitenden Staatsanwalts am Bozner Rechnungshof. Im November 2016 ernannte das Präsidium des obersten Richterrates des Rechnungshofes die römische Juristin Daniela Morgante zur Nachfolgerin von Robert Schülmers.
Gegen die Ernennung rekurrierte Schülmers Stellvertreterin Alessia Di Gregorio vor dem Bozner Verwaltungsgericht. Der Grund: Morgante fehlte bei der Ernennung der vorgeschrieben Zweisprachigkeitsnachweis. Ihre Anwältinnen dabei: Michela Reggio d´Aci und Renate Holzeisen.
Das Bozner Verwaltungsgericht erklärt sich aber für nicht zuständig. Der Fall geht an das Verwaltungsgericht Latium. Dort aber wird das bestätigt, was die beiden Anwältinnen von Anfang behauptet haben: Das Verwaltungsgericht Bozen ist zuständig. Der Gerichtsfall muss in der Gerstburg neu aufgerollt werden.
Von Anfang werfen die beiden Anwältinnen dem Morgante Anwalt Gerhard Brandstätter vor, nur auf Zeit zu spielen. Und sie erheben auch den Vorwurf, dass das Bozner Verwaltungsgericht bei dem Spiel mitmacht. In ihrem Schriftsatz kritisieren sie dabei mehrere Entscheidungen und Maßnahmen des Gerichts hart. Sie sprechen offen von Verfahrensfehlern.
Der Gerichtsfall ist inzwischen abgeschlossen. Alessia Di Gregorio wurde die Klageberechtigung abgesprochen, Daniela Morgante hat den Zweisprachigkeitsnachweis nachgereicht und wurde von der Regierung vor einigen Monaten vorzeitig als italienische Vertreterin in ein Kontrollgremium der NATO nach Brüssel entsandt.
Für die Anwältin Renate Holzeisen aber hatte dieses Verfahren schwerwiegende Folgen.
Die Eingabe
Denn es passierte etwas, was für die Südtiroler Justizgeschichte bisher einmalig ist.
Im Februar 2018 machte die Richterin Edith Engl, in ihrer damaligen Funktion als Präsident des Bozner Verwaltungsgerichts, eine Eingabe gegen Renate Holzeisen bei der Staatsanwaltschaft Bozen und der Südtiroler Rechtsanwaltkammer.
Der Vorwurf: Die Anwältin habe mit einigen Ausführungen in ihren Schriftsätzen nicht nur die Berufsethik der Anwälte verletzt, sondern auch das Gericht und die Richter verleumdet. Deshalb verlangt die Richterin Anklage gegen Holzeisen zu erheben.
Dass es sich dabei um einen bewussten und persönlichen Angriff auf Renate Holzeisen handelt, wird durch ein Detail klar. Alle beanstandeten Schriftsätze und Aussagen wurden von Renate Holzeisen und Michela Reggio d´Aci gemeinsam verfasst und unterschrieben. Die Präsidentin geht aber nur gegen Holzeisen allein gerichtlich vor.
Die ermittelnde Staatsanwältin Francesca Iovene kommt aber zu einem anderen Schluss. Sie verlangt beim Richter für die Vorerhebungen im Mai 2018 die Archivierung der Anzeige, weil „keine Straftat vorliege“.
Gegen dieses Ansinnen wehren sich aber gleich vier Verwaltungsrichter.
Im September 2018 legen Edith Engl, Terenzio Del Gaudio, Michele Menestrina und Lorenza Pantozzi Lerefors Berufung gegen den Archivierungsantrag der Staatsanwaltschaft ein. Sie lassen sich dabei bezeichnenderweise von der Staatsadvokatur Trient vertreten.
Renate Holzeisen wird in diesem Fall von renommierten Bozner Strafverteidiger Beniamino Migliucci verteidigt. Am 5. Juli 2019 fand die Verhandlung vor Vorerhebungsrichter Walter Pelino statt. Das Urteil steht noch aus.
In der Sackgasse
Vor diesem Hintergrund kann man es durchaus als fahrlässig bezeichnen, Edith Engl und Michele Menestrina in den Richtersenat zu entsenden, der über den Flughafen-Rekurs befinden soll. Dass zwei der vier Richter gegen die Archivierung einer Strafanzeige gegen eine der rekurrierenden Anwältinnen berufen, ist der klassische Fall einer Befangenheit. Wie aus dem Lehrbuch.
Dass man in der Bozner Gerstburg dennoch so tut, als gäbe es diesen Interessenkonflikt nicht kann man wohl nur als Akt der Hilflosigkeit verstehen.
Tatsache ist: Wendet man die normalen Spielregeln der Justiz in diesem Fall an, wird man den Flughafen-Rekurs nicht verhandeln können.
Denn sechs der achte Südtiroler Verwaltungsrichter müssen in diesem Fall als befangen gelten. Neben den vier Rekursstellern Engl, Del Gaudio, Menestrina und Pantozzi Lerefors werden sich auch Margit Falk Ebner und Stefan Beikircher des Falles nicht annehmen können.
Falk Ebner ist die Ehefrau des zweitgrößten Athesia-Aktionärs Toni Ebner und selbst Teilhaberin des Medienkonzerns, der über sein Charterflug-Unternehmen „Aveo Tours“ direkte finanzielle Interessen am Bozner Flughafen hat. Stefan Beikricher hingegen war im vergangenen Jahr noch stellvertretender Direktor des Rechtsamtes des Landes und damit angestellter Anwalt einer der Prozessparteien.
Die einzige Lösung; Man beruft zusätzliche Verwaltungsrichter von außerhalb – allein für diesen Fall – nach Bozen. Dann aber verletzt man das Südtiroler Autonomiestatut. Denn nach den Bestimmungen muss jeder Senat aus zwei deutschen und zwei italienischen Richtern zusammengesetzt sein. Den zweiten deutschen Verwaltungsrichter wird man aber kaum finden.
Wendet man die normalen Spielregeln der Justiz in diesem Fall an, wird man den Flughafen-Rekurs in Bozen nicht verhandeln können
Deshalb könnte der Rekurs am Ende an ein anderes Verwaltungsgericht verwiesen werden. „Hier führt sich das Südtiroler System der Verwaltungsgerichtsbarkeit selbst ad absurdum“, sagt der Landtagsabgeordnete Paul Köllensperger, „ich bin gespannt, wie man darauskommen will“.
Die Sackgasse wird spätestens mit diesem Fall immer enger. Datenschutzbestimmungen hin oder her.
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Das sind notwendige,
Das sind notwendige, überfällige Schritte zur Aufklärung bzw. Entflechtung des "Systems Südtirol". Das weiss ja die Normalbürgerin alles nicht! Bravo Renate Holzeisen!
Die Geschichte ist kaum zu
Die Geschichte ist kaum zu glauben.