Gernot Gruber: "Was fehlte, war die Emotion"
Die letzten Tage eines Wahlkampfes gelten als entscheidend. Was entscheidet sich denn in Südtirol gerade?
Gernot Gruber: Das ist ein gewisses Problem bei dieser Wahl. Denn bislang ist immer noch keine klare Stimmung greifbar, also aus meiner Sicht hat keiner der Wahlkämpfe so richtig Fahrt aufgenommen. Somit fehlt auch das so genannte Momentum, also jener Zeitpunkt, wo dann einzelne Kampagnen greifen und die Stimmung zugunsten der einen oder anderen Partei umschlägt. Ich habe zwar kein empirisches Datenmaterial dafür, aber ich merke derzeit nicht, dass bei irgendeiner Partei groß etwas greift. Und auch die großen thematischen Ereignisse sind zumindest bis zum heutigen Mittwoch ausgeblieben.
Nun, die Landesregierung hat am Montag zumindest versucht, mit Wahlzuckerln im Umfang von rund 100 Millionen Euro ein wenig für Stimmung zu sorgen. Kann man auf die Art noch Wähler gewinnen?
Die Zeiten sind vorbei, in denen solche kurzfristigen Einzelübungen noch große Bewegungen bewirken. Das wird vom Wähler ganz klar als Wahlkampfmanöver enttarnt. Also, es gab Zeiten, wo so etwas noch funktioniert hat, dann folgten jene, in denen man sich darüber aufgeregte, und mittlerweile lässt es einfach kalt.
Und die klaren Worte, die SVP-Spitzenkandidat Arno Kompatscher Ende vergangener Woche erstmals in Sachen Zukunft der Energiepolitik hören ließ?
Das Energiethema ist derart komplex und ambivalent zu beurteilen, das man damit zumindest inhaltlich kaum punktet, glaube ich. Es ist eher zum Symbol für die Korruption geworden, die jetzt auch in Südtirol angekommen ist. Aber wie die Zukunft des Energiesektors konkret gestaltet wird, löst sicher keine massiven Wählerverschiebungen aus. Ebenso wenig der Vorschlag einer Fusion zwischen Etschwerken und SEL. Das wird von der Politik falsch eingeschätzt, denn eine Fusion bedeutet, wir machen jetzt einen noch größeren Koloss. Und da sind die Bürger sehr, sehr skeptisch. Das heißt, hier gibt es eine eher distanzierte, abwartende und skeptische Haltung, und die motiviert auch nicht gerade, zur Urne zu gehen und das Kreuzerl zu machen.
Also insgesamt keine guten Noten für den SVP-Wahlkampf?
Insgesamt ist es sicher ein Standardwahlkampf geworden. Große Neuerungen waren weder in den Inhalten noch in der Kampagne erkennbar. Ein Slogan wie „Gemeinsam für Südtirol“ ist fast so alt wie die Partei selber, dasselbe gilt für „Neues wagen“. Ich habe mal im Archiv nachgeschaut, schon Thomas Widmann hatte in seinem ersten Wahlkampf auf „Neuen Schwung“ gesetzt, Seppl Lamprecht hatte „Neues wagen, Werte bewahren“. Also, obwohl der Spitzenkandidat als großer Erneuerer auftrat – wenn man sein Foto auf den Wahlplakaten mit jenem von Luis Durnwalder austauschen würde, gäbe es keine große Bild-Botschaft-Schere.
Arno Kompatscher hat sein Dilemma, von dem Sie in einem Interview Anfang September sprachen, also nicht lösen können?
Nein, das hat er nicht aufgelöst, was nicht heißt, dass er kein gutes Ergebnis einfahren wird. Es wird so ein Durchrutschen, weil die Opposition im Endeffekt in derselben Situation ist. Ich glaube bei den Wählern ist jetzt so die Haltung zu verspüren: Also, das war’s nun, und was tun wir jetzt? Die große Frage ist, ob sie letzten Endes das Kreuz dort machen, wo sie es immer gemacht haben oder nicht zur Wahl gehen. Aber große Änderungen wird es nicht geben.
Abschließend kann man also sagen, dass der Wahlkampf so inhaltsleer geblieben ist, wie sich schon im Sommer abzeichnete?
Also für Experten, die nahe dran waren, hat es sehr wohl Inhalte gegeben und auch bei einzelnen Kandidaten gab es recht auffällige Detailforderungen. Was fehlte, waren die emotionalen Inhalte, die emotionale Debatte.
Was wäre das zum Beispiel?
Zum Beispiel ein Thema wie die Maut für Ausländer in Bayern-Wahlkampf. Wenn ich jetzt dagegen sagen müsste, was waren in Südtirol die großen Themen in diesem Wahlkampf, steht da eher ein großes Fragezeichen.
Wohl am ehesten noch, die Diskussion um das Selbstbestimmungs-Referendum der Südtiroler Freiheit und die Reaktionen der SVP darauf?
Ja, das war im Grund das Einzige, wobei sich in den Umfragen gezeigt hat, dass die Südtiroler Freiheit damit auch keine großen Sprünge gemacht hat. Aber es war das einzige Thema, wo eine gewisse Emotionalität drinnen war.
Gibt es also in Ihren Augen keine Gewinner oder Verlierer in Sachen Themenführerschaft?
Es gibt einzelne Kandidaten, die relativ genau dran waren an ihrer Zielgruppe und dabei auch konkret Themen gesetzt haben. Also zum Beispiel bei Sozialthemen, wobei die SVP-Arbeitnehmer insgesamt eine sehr schwache Kampagne gemacht haben. Dieser Slogan „Nur mit uns“ war nicht wirklich die richtige Linie, die funktioniert hat – auch wenn dann einzelne Kandidaten ihre Zielgruppe gut abgedeckt haben.
Doch insgesamt würden Sie unter allen Listen niemanden besonders hervorheben?
Nein, weil es niemand wirklich geschafft hat, eine emotionale Motivation zu schaffen. Das hängt aber auch ein bissl mit der Wahlkampfkostenbeschränkung zusammen, die ein völlig anderes Agieren notwendig gemacht hat. Viele standen dieser neuen Situation relativ hilflos gegenüber. Zum Teil wurden neue Wege wie Facebook oder der direkte Straßen- oder Häuserwahlkampf gewählt, aber das waren eigentlich die einzigen Alternativen, bei einem Wahlkampfbudget von maximal 40.000 Euro. Denn wenn ich keinen großen Medienwahlkampf führen kann mit großen Anzeigen, muss ich eben auf altbewährte Mittel zurückgreifen.
Oder auf Call Center, wie die Volkspartei...
Ja, das sind dann typische US-Wahlkampfmethoden, dort ruft sogar Obama persönlich die Wähler an. Aber das ist auch eine andere Wahlkampfkultur, die bei uns sehr vorsichtig anzugehen ist. Und so wie es aussieht, ging dieser Versuch der SVP eher nach hinten los.
Welche Rolle haben die Medien in diesem Wahlkampf gespielt?
Hier hat das leidige Thema der Par Condicio mitgespielt. Ein für mich absolut anti-demokratisches Gesetz, das eigentlich nur geschaffen wurde, um damals den Interessenskonflikt von Berlusconi nicht anzugehen. Damit wird eine Schere im Kopf der Journalisten geschaffen. Denn jeder hat im Grund Angst, dass er Probleme damit bekommt oder sonst 17 Positionen bringen muss, wenn er mit einer beginnt. Deshalb wird der mediale Wahlkampf inhaltsleer. Dazu kommen dann noch die Wahlkampfkostenbeschränkung und das Verbot, in den letzten 14 Tagen Umfragen zu veröffentlichen. Drei Eigenheiten des Wahlkampfs, die von mir aus noch einmal diskutiert werden müssten, da sie einfach anti-demokratisch sind.
Warum anti-demokratisch?
Weil der Gesetzgeber mit allen drei Maßnahmen dieselbe Grundhaltung einnimmt: Der Wähler ist beeinflussbar und letzten Endes unmündig. Dabei tragen alle drei Elemente dazu bei, einen Wahlkampf spannender zu machen, weil sie die Diskussion fördern. Und die Diskussion ist nun einmal das Mittel zur demokratischen Entscheidungsfindung.
Sowohl Gruber & Partner als auch Hermann Atz mit apollis haben vor der Sperrfrist für Umfragen eine Wahlprognose vorgelegt. Bei welchem Ergebnis sind Sie selbst am gespanntesten, ob es nahe an der Realität liegt?
Eine der spannenden Fragen ist sicherlich, wie viel die SVP nun in diesen letzten Wochen noch geschafft hat, auf die 45 Prozent von Ende September draufzupacken. Denn ich würde sagen, nach einem Wahlkampf wie diesem geht es für eine Mehrheitspartei tendenziell nach oben, die Frage ist nur um wie viel. Die zweite spannende Frage ist, wer ist näher an den Grünen dran?
Hermann Atz hatten ihnen 13 Prozent vorhergesagt, bei Ihnen waren es etwas über 8 Prozent.
Ja, da haben wir uns stark unterschieden. Ich denke, die Wahrheit wird irgendwo zwischen meiner Umfrage und der von Hermann Atz liegen, also es kann durchaus ein wenig mehr werden als ich gemessen habe, vielleicht wird es knapp zweistellig.
Beim Partito Democratico lagen Sie dagegen mit fast 12 Prozent extrem hoch...
Ich lag sicher hoch. Ich habe den PD heuer schon sechs Mal gemessen, und da war er immer zwischen 9,2 und 10,2 Prozent. Also auch hier ist aus meiner Sicht ein knappes zweistelliges Ergebnis durchaus drin, vor allem weil der PD jetzt den Vorteil hat, dass sein Hauptkonkurrent Scelta Civica durch die nationalen Probleme mit Monti geschwächt wurde.
Spannend wird auch die Zahl der Nicht-Wähler werden...
Hier ergab meine Befragung, dass sie in jedem Fall geringer ausfallen wird, weil wir eben nicht diese emotionale Motivationssituation haben, vor allem bei nicht bei der italienischen Wählerschaft. Dort bleibt vor allem spannend, welches italienische Wählerpotential daheim bleibt. Wir wissen zum Beispiel, dass rund zehn Prozent der italienischen Wähler zur SVP tendieren. Das sind rund 10.000 bis 11.000 Stimmen. Bleibt diese Wählerschicht verstärkt zu Hause, fehlen der SVP gleich mal 5000 bis 6000 Stimmen.
Bleiben dagegen die enttäuschten Wähler von einer ausgeschlossenen Liste wie Fratelli d’Italia zu Hause, profitieren andere Kleinparteien?
Die kleinen Ein-Mann Parteien haben ein sehr kompaktes Fan-Potential, also sehr überzeugte und motivierte Grüppchen, die schon zu Wahl gehen, weil sie ihren Listenführer ja im Landtag haben wollen. Wenn dagegen andere zu Hause bleiben, die eher Großparteien wählen würden, bekommt natürlich jede Stimme, die Seppi & Co erhalten mehr Gewicht.