Culture | Salto Afternoon

Dogen und Drogen

Die Ausstellung "Surrealismo : Barocco : Venezia" erforscht Verknüpfungen zwischen barocken und surrealistischen Künstlern. Eine bewusstseinserweiternde Schau.
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Foto: Salto.bz

Der Künstler Hans Winkler hat international – aber auch immer wieder in Südtirol –, künstlerische Projekte angeschoben oder durchgeführt. Ob am Brenner mit einer Einsiedlerbibliothek (p.t.t.red) oder vor einigen Jahren mit einer Dada-Bibliothek an der Seilbahnstation Jenesien, so finden sich häufig auch Kunstprojekte, wo eine interdisziplinäre Recherche – in alle möglichen Richtungen – einen wesentlichen Bestandteil seiner Arbeit darstellt.


Nun ist Hans Winkler mit einem spannenden Projekt in Venedig gestrandet, jener Stadt, die er vor einigen Jahren mit einer Performance zu einer sinkenden Gondel (Un accidente in gondola 2006) bespielte und wo er nun mittlerweile zum dritten Mal ein Stipendium der Emily Harvey Foundation wahrnimmt. 2007 realisierte er während der Biennale von Venedig 2007, die Arbeit Gabbia di Ezra Pound im Oratorio di San Ludovico. Ein Jahr später gelang es ihm, im Rahmen des Projektes Flucht des Ötzi, dessen Fußstumpf, für ein Kunstprojekt im Museion Bozen nachbilden zu lassen.

 

Aktuell hat Hans Winkler in der Lagunenstadt eine Reihe von künstlerischen Arbeiten und Interventionen entwickelt, um verschiedene Zusammenhänge zwischen Barock und Surrealismus sichtbar zu machen. „Ähnlich wie die Surrealisten entwickeln avantgardistische Künstler und Literaten des 17. und 18. Jahrhunderts neue Ausdrucks- und Darstellungsformen, mit der Vorliebe für Illusionen und dem Ephemeren“ erzählt Winkler und bringt etwa die illusionären, raumbezogenen Arbeiten des Künstlers und Jesuiten Andrea Pozzo (1642-1709) ins Spiel, sowie den Maler und Dichter Salvator Rosa (1615-1673), der als Vertreter der kynischen Philosophie die Ethik als den einzigen Leitfaden und die Natur als sein wahres Vorbild sah: „Rosa propagierte die sexuelle Freiheit und Experimente mit Drogen, wie Pilze und Opium, wodurch das rationale und lineare Denken, um neue Formen der Wahrnehmung bereichert werden sollte.“


Erst im Barock reizen Autoren das imaginative Potential fiktiver Welten vollends aus. Wohl aus dem Grund, „da die Entdeckung neuer mikroskopischer und teleskopischer Welten, die Grenzen zwischen dem Faktischen und Fiktiven zunehmend in Frage stellen“ sollte. Als fiktive Schauplätze dienen in Folge Johannes Keplers 1634 verfasster utopischer Roman Somnium wo der Autor die Raumfahrer mit Opium einschläfert. Auch im 1668 erschienenen Schelmenroman Simplicissimus von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, einem der wichtigsten Prosawerke des Barocks, werden der gesellschaftliche Umbruch einer Zeit sowie der Einfluss von Opium sichtbar.

...die Kunst von allem zu säubern, das bisher ihr Inhalt war.

Während auf der einen Seite die absolute Vorherrschaft des kirchlichen Weltbildes in jener Epoche erhebliche Risse bekam, wuchs auf der anderen Seite der Handel auf den Weltmeeren, der die Märkte in Ostasien über Schiffsrouten mit Europa verband. „Der Gewürzhandel war“, laut dem Wissenschaftler Howard Haggard, „in Wirklichkeit Drogenhandel“ und er wurde von Venedig aus kontrolliert, das seit dem 13. Jahrhundert das Hauptzentrum des europäischen Handels war.


Im vergangenen Jahrhundert waren es vor allem die Surrealisten  „die mit den bewusstseinserweiternden oder - verändernden Drogen“ experimentierten, „um neben Rausch und Ekstase Grenzen der toxischen Effekte im Selbstversuch auszuloten“. Aber auch der Maler Giorgio de Chirico findet in Winklers Projekt Platz: „De Chirico greift in seinen Bildern Friedrich Nietzsches Gedanken einer radikalen Leere auf, mit dem künstlerischen Ziel, die Kunst von allem zu säubern, das bisher ihr Inhalt war“.

Hans Winklers Beispiele verdeutlichen, dass die Entwicklung neuer Denk- und Ausdrucksformen im Surrealismus, als auch in der Avantgarde der Barockzeit, den Experimenten mit bewusstseinsverändernden Drogen zu verdanken ist.
Die Ausstellung in der Emily Harvey Foundation (San Polo 387) in Venedig wird am 26. Oktober um 19 Uhr eröffnet. Zu sehen ist sie bis 9. November 2019.
Mit Surrealismo : Barocco : Venezia und dem dazu entwickelten Buch wurde Hans Winkler bereits vorab zu City lights nach San Francisco geladen, um dort mit weiteren Künstlern 100 Jahre Surrelismus zu feiern.