Culture | Salto Weekend

„Wichtige Komponenten der Kultur“

Der erste Premio Piero Siena ist Geschichte, nachdem Nicolò Degiorgis, Silvia Hell und Claudia Corrent ihre Werke auch im MAXXI in Rom präsentiert haben. Ein Rückblick.
Mare Vostrum
Foto: Premio Piero Siena
Frau Hell und Corrent, Herr Degiorgis, welches Feedback oder Echo habt Ihr zur Ausstellung im MAXXI in Rom wahrgenommen?
 
Nicolò Degiorgis: Sagen wir mal, dass seitens der Presse bei der Ausstellung im Centro Trevi mehr darüber gesprochen wurde. Viele Menschen haben mich in den Monaten danach darauf angesprochen und tun es auch jetzt noch. Aber, zweifelsohne, die Lokal-Presse war aktiver, als es die Veranstaltung in Südtirol gab, als es die Presse bei jener in Rom war.
 
Silvia Hell: Das stimmt ohne weiteres, aus Südtiroler Sicht, ja. Für mich persönlich sind es hauptsächlich Bekanntschaften, die mir Kommentare zukommen haben lassen und auch in Rom gab es die Überraschung eines guten Künstlerfreunds, der vor Ort war und vorbei kam, um sich das anzusehen. Ich war nur kurz dort, einen Tag, deswegen ist es schwer zu sagen, da ich auch an anderen Eröffnungen teilgenommen habe. Ich habe nicht viel wahrgenommen, ehrlich gesagt.
 
Wie sieht die finanzielle Komponente des Preises aus? Es war der Ankauf von Werken vorgesehen; Von wem wird der Preis festgelegt?
 
Degiorgis: Das war verschieden für uns: Im Fall von Hell und Corrent war es ein Ankauf, in meinem Fall eine Spende. Die Institution hat die Arbeiten ausgewählt und zwar so, dass es sich um Langzeitprojekte handelt und, natürlich, so dass sie den Preis verdienen.
 
 
Wie lief der Kontakt mit der Institution Museion ab?
 
Hell: In meinem Fall ist der Preis zweigeteilt. Zum einen ein Geldpreis, seitens der Provinz, der nicht mit dem Ankauf zusammenhängt, auf der anderen Seite der Ankauf selbst, der über meinen Galeristen abgewickelt wurde.
 
Claudia Corrent: Idem, abgesehen vom Galeristen. Auf der einen Seite der Preis der Provinz, für den dritten Platz, und mit Museion gab es in meinem Fall einen direkten Dialog, um zu verstehen, wie viele Werke angekauft würden und um den Preis, der von den Werken und ihrem Budget abhing.
 
Das fasziniert mich an den Bildern: dass sie nicht in dem Moment stehen bleiben, in dem sie geschossen wurden, dass neue Geschichten, Dynamiken und Möglichkeiten entstehen können. (Corrent)
 
Welches ist nun der Teil des Preises, der für euch den größten Wert hat? Die Aufmerksamkeit, das Geld, oder ist es etwas anderes?
 
Hell: Die Wertigkeit ist zweierlei - es gibt einen Geldpreis und der ist immer wichtig - alles zusammen sind es 10.000 Euro in meinem Fall und das ist immer sehr, sehr willkommen. Dann, was sicherlich den größeren Wert hat, ist der Kontext. Ein Ankauf durch das Museion ist eine wichtige Sache, welche die künstlerische Arbeit aufwertet. Das ist sicher auch beim MAXXI so, wo es eine nationale, statt einer lokalen Resonanz gibt.
 
 
Frau Corrent, der Titel Ihrer Arbeiten „Neanche il futuro purtroppo è più quello di una volta“, welche mit Archivfotos angefertigt wurden, verweist auf ein Zitat Paul Valérys aus den 30er Jahren. Wann ist diese Zukunft?
 
Corrent: Ja, der Titel kommt von dem. Die Arbeit geht aus einer Diskussion hervor, was Zeit ist und dem Versuch auch aus einem philosophischem Blickpunkt eine Definition zu finden und ein philosophisches Konzept in ein visuelles Bild zu übertragen. Der Wunsch dieser Arbeit geht daraus hervor, etwas zu versuchen, das eigentlich unmöglich ist: Mit Fotografie möchte man im Grunde die Zeit festhalten, aber die Zeit bleibt nicht stehen. Mit dem Scanner und Bildern, die darin verschoben oder versetzt werden, kann man etwas zu deren Transformation beisteuern. Es ist also eine Zeit, die sich ändert, die zurückkehrt, zyklisch ist, auch ewig sein könnte. Interpretationen gibt es da viele. Mir gefiel die Idee, dass etwas, das feststeht, sich noch verändern, dass ein Archivbild noch etwas sagen kann. Das fasziniert mich an den Bildern: dass sie nicht in dem Moment stehen bleiben, in dem sie geschossen wurden, dass neue Geschichten, Dynamiken und Möglichkeiten entstehen können. Die Fotos wurden in den 40er und 50er-Jahren geschossen. Sie gehören nicht zu meiner Familie, sondern wurden mir geschenkt. Die Zukunft ist also eine Vergangenheit, die sich verwandelt hat und es auch weiterhin kann, wenn man will.
 
Was bleibt ist ein Raum, der es diesen Stimmen erlaubt zu existieren, auch wenn sie nicht mehr da sind. (Hell)
 
Frau Hell, „Voci di Corridoio“ ist ein konzeptuelles Werk: Wir blicken auf ein Musikinstrument, welches nicht nach praktischen oder akustischen Kriterien gebaut wurde. War die Vielschichtigkeit des Titels der Werkreihe, „Volumes“ in mehreren Sprachen gedacht, da sie sich gut übertragen lässt? Wieviel Bedeutung steckt in den beiden Titeln?
 
Hell: Danke dafür, daran hatte ich nicht gedacht. Mir gefällt, dass dieses Wort „Volumes“ diverse Interpretationen aufmacht, da auch das Werk aus einer Mündlichkeit hervorgeht, aus der Erzählung von diesen beiden Wissenschaftlern. Der Titel „Voci di Corridoio“ ist eine Notiz, die darauf verweist, wie aus einem physischem Ort, dem Gang auf welchem sie sich begegnen, eine Redensart wird. Dort sprachen sie von dem, was noch nicht offiziell war, von ihren kleinen Entdeckungen, von denen die Öffentlichkeit nichts weiß. Das hatte bei mir Eindruck hinterlassen, dass es in der Wissenschaft immer einen Anteil von Stimmen oder Geräuschen gibt, die abseits von dem sind, was veröffentlicht wird. Die Skulptur, die man ausgestellt sieht kann auf den ersten Blick weit weg von der Idee wirken, aber in gewisser Weise gibt sie diese für mich wieder, auch durch die Aufhängung. Was bleibt ist ein Raum, der es diesen Stimmen erlaubt zu existieren, auch wenn sie nicht mehr da sind. Und damit haben wir wieder mündliche Erzählungen.
 

Herr Degiorgis, sehen Sie Unterschiede in den Bildern, die in der Berichterstattung zu Flüchtlingen in regionalen und nationalen oder internationalen Medien verwendet werden, oder ist diese Bildsprache universal und monolithisch?

 

Degiorgis: Nein, monolithisch würde ich nicht sagen. Aber auch wenn über das Thema hier gesprochen wird, sind es zwar nicht die Bilder des Meeres, sondern Bilder von Menschen, die im Bahnhof Schlange stehen, oder von Flüchtlingslagern. Mir scheint es diese Bilder mittlerweile fast überall zu geben, auch in den sozialen Medien: Bilder, die besonders aussagestark sind, zirkulieren auch dort, zeitgleich. Ich glaube, dass es recht schwierig ist, auf der Ebene des Journalismus eine andere Bildsprache dafür zu schaffen. Es geht vielmehr um einen Diskurs, den wir um dieses Thema herum aufbauen müssen.
 
Auch wenn jemand herausfindet, dass ein Bild, welches er gesehen hat nicht real war, ein gewisses Trauma hat man dadurch. Gewisse Emotionen hatte man, auch wenn sie nicht wahr waren. (Degiorgis)
 
Wie könnte dieser Diskurs verändert werden, wie könnte man die Sicht derer, die Nachrichten schauen auf das Thema ändern?
 
Degiorgis: Das kommt darauf an, welchen Blickpunkt sie haben. Es ist nicht gesagt, dass man ihn ändern muss. Es ist auf jeden Fall schwierig, sich in all den Informationen, welche um uns sind, zurechtzufinden. Das ist sicher und es wird immer schwieriger. Auch wenn jemand herausfindet, dass ein Bild, welches er gesehen hat nicht real war, ein gewisses Trauma hat man dadurch. Gewisse Emotionen hatte man, auch wenn sie nicht wahr waren. Es ist nicht leicht, etwas an diesem Meer von Bildern zu verändern, besonders wenn man von Migration und sozialen Themen spricht.
 
Was wünscht Ihr euch für die nächsten Ausgaben des Premio Piero Siena?
 
Degiorgis: Da Piero Siena eine wichtige Person für die gesamte Provinz Bozen ist würde ich mir wünschen, dass auch die deutsche und ladinische Kultur hervorgehoben werden. Ganz einfach. Wir sind zweisprachig, für mich persönlich ist das schwierig…
 
Hell: …auf der einen oder anderen Seite stehen zu müssen, meinst du?
 
Degiorgis: Die Kunst hat keine Seite.
 
Hell: Das nicht. Aber auch ich würde mir wünschen, dass der Preis fortgesetzt wird und es eines Tages eine große Ausstellung mit allen Gewinnern gibt. Piero Siena und das Museion sind wichtige Komponenten der Kultur unserer Provinz.