Society | Südtirolerinnen in italienischen Großstädten

Weihnachten – ein vertrautes, fremdes Fest

Wie die Schwalben flogen sie aus, Südtirolerinnen in den 20er,30er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Als Haus-, Dienst- und Kindermädchen unterstützten sie mit dem verdienten Gehalt ihre Südtiroler Familien. Weihnachten feierten sie viele 100 Kilometer von ihrer Heimat entfernt. In Genua, Rom, Mailand oder Venedig.

Zu Weihnachten brach für viele der jungen Frauen aus Südtirol die Sehnsucht nach Daheim durch. Die Fremdheit einer Kultur mit ihren Bräuchen trat zu diesem Anlass augenscheinlich zu Tage. Marianna Parth war von 1937 bis 1939 von zu Hause weg. Sie hätte das Weihnachtsfest gern im Kreise ihrer Familie gefeiert. Ihre Arbeitgeberin aus Mailand hatte andere Pläne. „Weihnachten sind wir immer nach Genua gefahren, dort waren die Eltern der Frau. Ich wollte heimfahren, aber die Frau hat nein gesagt.“

Johanna Tschurtschenthaler, 1931 in Sexten geboren, fuhr mit ihrem Arbeitgeber aus der Nähe von Bologna wenige Tage vor Weihnachten an ihre neue Arbeitsstelle. Dass sie Weihnachten nicht mehr zu Hause erleben durfte, schmerzte sehr. Doch ihr Arbeitgeber zeigte Anteilnahme und ersann einen Plan, um das Heimweh seiner künftigen Haushälterin zu lindern: „Am 20. Dezember sind wir runtergefahren, genau in der Weihnachtszeit. Ich hab geweint, weil es in Marciola keine Mette gegeben hat. Der Herr hat dann zu mir gesagt: ‚Giovanna, ti porto io in un bel posto.‘ Und das hat gestimmt. In der Nacht ist er dann mit mir allein nach San Vincenzo a Torri. Das war ein schönes Stück zu fahren, aber dann ist für mich Weihnachten gewesen. Alle Leute sind mit einer Laterne gekommen, wie ich vom Auto ausgestiegen bin, sind von überall her Lichter gekommen. Mir ist grad so vorgekommen, als ob es Betlehem wäre. Das war einfach schön – und ich war zufrieden.“

Der Arbeitgeber von Regina Walcher (1928 bis etwa 1938 in Mailand im Dienst) versuchte dem Personal ebenfalls den Weihnachtsabend schmackhaft zu machen: „Am Hl. Abend konnte sich jeder wünschen, was er essen wollte. Um einmal etwas Besonderes zu haben, sagten die Köchin und ich, wir würden gerne Schnecken mit Polenta essen. Wir wussten gar nicht, ob es zu Weihnachten überhaupt Schnecken gab. In Mailand gab es ein Delikatessengeschäft, wo man für viel Geld alles haben konnte, aber dass es gerade im Winter die Schnecken gibt, wussten wir nicht. Wir waren wirklich sehr gespannt, ob wir tatsächlich die Schnecken bekommen würden. Aber die Frau kam mit einem Paket in die Küche, sagte, das sei nur mehr aufzuwärmen und wünschte uns guten Appetit. Als wir die schön präparierten Schnecken sahen, kamen wir aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Die waren so schön und gut präpariert, als ob es Muscheln seien. Ein zweites Mal haben wir uns aber dann doch wieder für Fisch entschieden, aber dieses Schneckenessen wurde freilich oft erzählt.“

Um einmal etwas Besonderes zu haben, sagten die Köchin und ich, wir würden gerne Schnecken mit Polenta essen. Wir wussten gar nicht, ob es zu Weihnachten überhaupt Schnecken gab. In Mailand gab es ein Delikatessengeschäft, wo man für viel Geld alles haben konnte, aber dass es gerade im Winter die Schnecken gibt, wussten wir nicht.

Helena Blaas kam 1933 zu einer deutschen Familie nach Rom. Ihre Erinnerungen an den Heiligen Abend klingen friedlich und harmonisch: „Am besten gefallen hat mir, als die Frau um Weihnachten gesagt  hat, ich solle mich anziehen, die Anima war ja gleich daneben. Ich bin in die Kirche hinein, die Christbaumkerzen brannten, ‚Stille Nacht‘ wurde gesungen und ‚Es ist ein Ros entsprungen‘. Es kam mir vor, als ob ich in Graun wäre. Das hat mir sehr wohl getan. Ich habe so viele Geschenke zu Weihnachten bekommen, vom Briefpapier aufwärts bis zur Kleidung.“ 

„Am besten gefallen hat mir, als die Frau um Weihnachten gesagt  hat, ich solle mich anziehen, die Anima war ja gleich daneben. Ich bin in die Kirche hinein, die Christbaumkerzen brannten, ‚Stille Nacht‘ wurde gesungen und ‚Es ist ein Ros entsprungen‘. Es kam mir vor, als ob ich in Graun wäre. Das hat mir sehr wohl getan.

Geschenke zu bekommen bedeutete Anerkennung der geleisteten Arbeit und war für die Mädchen wichtig. So konnte man der Familie zu Hause wenigstens davon berichten, welche besonderen Geschenke man bekommen hatte. Für die meisten Mädchen lagen um Weihnachten Päckchen bereit. Sofia Höchenberger, 1933 als Köchin bei einer Fabrikantenfamilie in Bergamo beschäftigt, dann in Mailand tätig, erhielt zu Weihnachten und zum Geburtstag immer einen Stoff geschenkt“. Auch Antonia Auer (1932 fuhr sie mit 17 Jahren nach Mailand) wurde regelmäßig um Weihnachten beschenkt: „Immer habe ich etwas bekommen, und ich durfte auch mit der Familie mitfeiern.“ Maria Erlacher, war Ende der 30er Jahre eine von elf Bediensteten im Haushalt der deutschen Botschaft von Rom. Schön war das Fest, neben seiner Feierlichkeit aus einem sehr handfesten Grund: „Weihnachten in Rom war immer ganz schön. Der Botschafter und die Botschafterin, die sind gekommen und haben mit uns gefeiert, wir haben ‚Stille Nacht‘ gesungen. Das war ihnen sehr wichtig. Um Weihnachten haben wir immer das doppelte Gehalt gekriegt.“ Antonia Saurer erhielt zu Weihnachten mehr Trinkgeld. Auch Maria Blaas schildert ihre Weihnachtserfahrungen in Mailand in den 30er Jahren positiv: „Um Weihnachten bin ich bei der Familie geblieben. Ich bin immer beschenkt worden. Wir haben einen Christbaum aufgestellt und sind am Abend zusammen in die Kirche gegangen. Ich habe manchmal Schuhe bekommen oder ein Kleid.“

Viele Dienstmädchen erfuhren jedoch schmerzlich, dass Geschenke und spezielle Gerichte keine Gefühle wettmachen konnten. Ernüchternd endete für manche das Fest der Liebe, welches das Dienstmädchen oft nur bis zu einem gewissen Punkt mit auskosten durfte. Aufrechterhalten wurde einmal mehr das distanzierte Verhältnis zu den Angestellten und die klare Hierarchie – hier die Arbeitgeber, dort die Angestellten. Der Familienausschluss bei diesem Anlass war eine Erfahrung, die das negative Bild, das manche Frauen rückblickend von ihren Dienstjahren formulierten, wohl am nachhaltigsten prägte. Helena Blaas erzählt, wie es nach der Bescherung weiterging: „Aber dann habe ich in die Küche gehen müssen und dort allein sitzen, und da hab ich immer geweint. Ich habe immer gedacht, schöne Geschenke, aber ich bin allein. Weihnachten habe ich nicht mit ihnen feiern können. Ich habe immer allein in der Küche gegessen, aber gut.“

Das Fehlen verschiedener Symbole, wie etwa der Christbaum oder die Krippe, die für die Mädchen so sehr zum weihnachtlichen Fest gehörten, ließ die Kulturunterschiede augenscheinlich zu Tage treten. Weihnachten in einem italienischen Haushalt war eben nicht das Weihnachten, das die Mädchen von zu Hause kannten. In Bologna wechselte Johanna Tschurtschenthaler die Stellung und erhielt bei der Familie Segafredo einen Posten zuerst als Köchin, dann als Kindermädchen. Weihnachten bedeutete in vielen Haushalten nicht nur Heimweh und ein Auf und Ab der Gefühle, sondern auch ein Mehr an Arbeit: „Wir hatten zwar viel Arbeit, aber wir hatten auch viel Kontakt zu der Familie. Ein Geschenk hat man schon immer gekriegt, aber man hat doch immer Zeitlang gehabt, weil bei uns die Bräuche einfach anders sind. Man war es einfach anders gewohnt. Einmal hat mir mein Mann, mein damaliger Verehrer, einen kleinen Christbaum geschickt, ganz eingepackt war der, und dazu hat er noch einen Zelten getan und ein Buch. Das war für mich das schönste Weihnachten. Das Bäumchen hab ich mir in meinem Zimmer aufgestellt, eine kleine Krippe dazu, das war dann einfach schön.“

Man war es einfach anders gewohnt. Einmal hat mir mein Mann, mein damaliger Verehrer, einen kleinen Christbaum geschickt, ganz eingepackt war der, und dazu hat er noch einen Zelten getan und ein Buch. Das war für mich das schönste Weihnachten. Das Bäumchen hab ich mir in meinem Zimmer aufgestellt, eine kleine Krippe dazu, das war dann einfach schön.“

Viele ehemalige Dienstmächen erzählen mit Bedauern davon, dass in vielen italienischen Haushalten kein Christbaum aufgestellt wurde. Nicht nur die Mädchen auf ihren Posten vermissten ihre Familien zu Weihnachtenin besonderer Weise, auch den Familien in Südtirol ging die Abwesenheit eines Familienmitglieds bei diesem Anlass mehr zu Herzen. Briefe der Kobler-Geschwister an ihre Schwester Rosa in Florenz bringen dies zum Ausdruck.

Liebe Rosa!

(…) Wünschen Dir ebenfalls recht frohe gesunde Weihnachtsfeiertage wünschten schon auch, daß du könntest hier sein. Mutter sagt immer, wenn die Rosa hier wäre. (…) Wir werden heuer einen Christbaum machen der Michali sehnt sich schon alleweil ganz danach, dann vielleicht kehrt das Christkindl auch lieber ein wann ein Bäumchen steht. Bei dir wird es auch anklopfen schauen ob es heuer wieder so gut ausfällt.“ (22. Dezember 1926)

Liebe Rosl!
Erst heute deinen traurigen Brief vom 28. Dezember erhalten so wollen wir dir schon gleich antworten, du tust uns alle leid, daß du nur so trübe Weihnachten wegen uns verlebt hast. (…), ist wohl vieles Schuld und so machen wir uns wohl selbst Vorwürfe, aber das musst du nun verzeihen, dafür versprechen wir dir nun fleißiger zu sein. – Warum denkst du den wirklich wir hätten etwas gegen dich, doch mein liebes Schwesterlein wie kannst du zu solche Gedanken kommen, du weißt doch, daß wir alle dich so herzlich lieben. Wir haben Weihnachten recht froh und gesund zugebracht einen Christbaum zu oberst schwebte dein Engelein daß der Gustl nun sehr gut geflickt hat so war der Baum schon sehr schön geziert mit all die geschenkten Sachen von Povo. Nur eines ging uns ab und das warst du liebe Rosl. Alle waren in diesen Gedanken nur du solltest doch wenigsten beim
schönen Weihnachtfest in unserer Mitte sein. (8. Jänner 1927)

Auszug aus dem Buch: Wie die Schwalben fliegen sie aus. Südtirolerinnen als Dienstmädchen in italienischen Städten 1920-196. Ursula Lüfter | Martha Verdorfer | Adelina Wallnöfer. Raetia Verlag, 2006.