Politics | Mobilität

„Es ist ein Machtkampf“

Bologna hat sich getraut: In der 400.000-Einwohner-Stadt gilt nun auf den meisten Straßen ein Tempolimit von 30 Stundenkilometern. Bozen ist da sehr viel vorsichtiger.
Bologna
Foto: Petr Slováček/Unsplash
  • In Bologna gilt seit kurzem, mit der Ausnahme von Schnellstraßen, ein Tempolimit von 30 Stundenkilometern. Die Maßnahme wurde bereits im Juli 2023 eingeführt. Seit dem 16. Jänner werden nun aber auch Geldbußen für jene fällig, die sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten. Ein allgemeines Tempo-30-Limit gilt in Italien sonst nur im Mitte-Rechts-regierten Olbia in Sardinien

  • Matteo Lepore: „Für mich ist es auch wert, für zwanzig Leben im Jahr die Wahl zu verlieren.“ Foto: Facebook

    Die Geschwindigkeitsbegrenzung betrifft rund 70 Prozent der innerstädtischen Straßen in der Haupstadt von Emilia-Romagna. Bürgermeister Matteo Lepore (PD) will damit die Verkehrstoten in der Stadt auf Null reduzieren, die Gesundheit der Bevölkerung schützen und die Verkehrsüberlastung verringern. „Erreichbare Ziele, wie die vielen europäischen Städte von ähnlicher Größe wie die unsere zeigen, die sich bereits dafür entschieden und damit experimentiert haben“, teilt Lepore in einem offenen Brief an die Stadtbevölkerung mit. Von 2010 bis 2019 starben in der Stadt 194 Menschen bei Verkehrsunfällen, mehr als 26.000 wurden verletzt, mit durchschnittlich 20 Toten und 2.600 Verletzten pro Jahr.

  • Verkehrsminister Matteo Salvini (Lega) ist hingegen alles andere als begeistert und macht sich auf der Internetplattform Instagram über die Maßnahme lustig. Er ist nicht der Einzige, der das neue Tempolimit auf Bolognas Straßen kritisiert. Rund 500 Menschen nahmen vergangenen Freitag an einer Kundgebung rechter Parteien in Bologna teil, mit Fahnen von Lega, Fratelli d’Italia und Forza Italia. Salvini kündigte zudem an, über eine Verordnung die Einrichtung von Tempo-30-Zonen in Gemeinden streng zu regulieren und in diesen feste Radarfallen zu verbieten. 

    „Niemand, der in einer Machtposition ist, gibt gerne Macht ab.“

    Für Patrick Kofler von der Bozner Kommunikations- und Beratungsfirma Helios kommt der Gegenwind nicht überraschend. Kofler arbeitet mit der öffentlichen Hand zusammen, um nachhaltige Mobilität zu fördern. Zurzeit begleitet die Firma einen Partizipationsprozess in der Stadt Trient. Dort soll in zwei Stadtvierteln das Tempolimit von 30 Stundenkilometern getestet werden. In welchen Straßen das neue Tempolimit gelten soll, wird gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern diskutiert. 

    „Wenn Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung ergriffen werden, gibt es am Anfang immer größere oder kleinere Widerstände in der Bevölkerung. Dann aber steigen Menschen um, nehmen den Bus oder das Fahrrad und ein Teil des motorisierten Autoverkehrs verschwindet“, so Kofler. 

    Das bestätigt auch eine im Jahr 2023 publizierte europaweite Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik. „Je attraktiver Fuß- und Radwege sind, desto häufiger nutzen Menschen sie. Und obgleich die Messungen durchaus Verlagerungseffekte in angrenzende Straßen zeigen, so sind diese meist moderat, der befürchtete Verkehrskollaps bleibt in fast allen Fällen aus“, resümiert der zusammenfassende Bericht der Studie. 

  • Verkehr am Verdiplatz: Der Bozner Verkehrrsstadtrat Stefano Fattor will prüfen, welche weiteren Straßen für ein 30er Tempolimit in Frage kommen. Foto: Seehauserfoto
  • Wie schwer umsetzbar Tempo-30-Zonen in Südtirol sind, weiß der Bozner Mobilitätsstadtrat Stefano Fattor (PD). „Das Tempolimit von 30 Stundenkilometern ist eine der Empfehlungen der Europäischen Union, die darauf abzielt, die Zahl der Verkehrsunfälle zu reduzieren oder besser noch auf Null zu reduzieren“, erklärt der Stadtrat. Bereits sein Vorgänger Klaus Ladinser (SVP) scheiterte an dem Versuch, die Geschwindigkeitsbegrenzung flächendeckend einzuführen. Stattdessen einigten sich Bürgermeister Luigi Spagnolli (PD) und Ladinser im Jahr 2009 auf 40 Stundenkilometer im bewohnten Stadtgebiet. 

    Derzeit prüft Fattor gemeinsam mit Technikern, in welchen Straßen eine Verkehrsberuhigung möglich ist. Vorschläge dafür wurden bereits im Jahr 2022 verabschiedeten nachhaltigen Mobilitätsplan (PUMS) der Stadt erarbeitet. „Tempo 30 ist hier eine Möglichkeit von vielen. Allerdings müssen Geschwindigkeitskontrollen in Italien, im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie Deutschland oder Frankreich, in Anwesenheit von zwei Polizeikräften durchgeführt werden. Das erschwert die Einführung und Kontrolle von Tempolimits in der Stadt erheblich“, so Fattor. 

  • Tempo 30, ja oder nein?

    Dass motorisierte Fahrzeuge in bewohntem Gebiet maximal mit 30 Stundenkilometern unterwegs sein sollten, untermauern gleich mehrere Argumente: „Mit Tempo 30 nehmen Unfallhäufigkeit und -schwere ab, alte Menschen und Kinder können sich wieder autonom auf der Straße bewegen, der Lärm und der Ausstoß von Emissionen sinken“, sagt Kofler. 

    Der öffentliche Raum ist in den meisten europäischen Städten ein knappes Gut, durch die geografische Lage treffe das auf Südtirol einmal mehr zu. „Wir müssen mit dem öffentlichen Raum gewissenhaft umgehen. Das Tempolimit ist kein Fahrverbot, sondern ermöglicht eine andere Nutzung des Raums“, erklärt der Verkehrsexperte. 

    Zum Beispiel gäbe es dann Platz für breitere Gehsteige, mehr öffentliches Grün und Sitzgelegenheiten. Menschen könnten dann auch auf der normalen Straße mit dem Rad fahren, weil sie so fast gleich schnell wie Autos sind und nicht um ihre Sicherheit fürchten müssen. Wer langsamer Auto fährt, hat ein breiteres Sichtfeld auf die Straße und einen kürzeren Bremsweg. 

  • Foto: privat

    Außerdem verlängere sich die Fahrzeit mit Tempo 30 um nur wenige Sekunden oder Minuten. „Die durchschnittlliche Geschwindigkeit in Ortschaften ist gering, wer dort schneller fährt, muss auch häufiger abbremsen“, sagt Kofler von Helios. Wieso aber ist die Durchsetzung solcher Maßnahmen so schwierig, dass es eigene Beratungsfirmen wie Helios braucht?

    Das erkläre die Psychologie, ist Kofler überzeugt. „Es ist ein Machtkampf. Wer im Pkw sitzt, ist durch eine physische Hülle geschützt, wird von außen schwer erkannt und braucht nur mit dem Fuß auf das Gaspedal drücken, um ein mehr als zwei Tonnen schweres Auto in Gang zu bringen“, so Kofler. Diese Faktoren würden das Gefühl verstärken, dass durch verkehrsberuhigende Maßnahmen die eigene Macht als Autofahrerin oder Autofahrer beschnitten wird. 

    Die Planung von Städten und Straßen wurde in den letzten Jahrzehnten auf das Auto ausgerichtet. „Niemand, der in einer Machtposition ist, gibt gerne Macht ab. Das erklärt diese irrationalen Reaktionen, da die Nachteile einer Tempo-30-Zone verschwindend klein sind“, so der Verkehrsexperte.