„Beim Lesen stärkt man Empathie“
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SALTO: „Ich – du – wir sind queer!“ Ist der Name der Literaturveranstaltung. Wollt ihr kurz beschreiben was geplant ist für den Abend und euch vielleicht kurz vorstellen?
Stefanie Leiter: Ich bin Stefanie Leiter von der Stadtpolitik Bruneck, wo ich mich sehr stark mit queerer Literatur befasse. Mir wurde vorgeschlagen für die Bücherwelten einige gute queere Bücher auszuwählen, die ich dem Publikum vorstellen werde, um den Leuten einen kleinen Überblick zu verschaffen und einige Lesevorschläge machen zu können.
Madu Alber: Ich bin Madu Alber, queere Aktivist:in und Vorstandsmitglied bei Alto Adige Pride Südtirol. Meine Aufgabe am Abend wird es sein, eine Verbindung zu schaffen zwischen den Themen der Bücher und den verschiedenen queeren Lebensrealitäten in Südtirol, um so ein wenig die Perspektive zu erweitern und in einigen Fällen in die Tiefe zu gehen.
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Der Begriff „queere Literatur“ ist eher ein neuer, die Sache aber nicht. Sappho von Lesbos dürfte den meisten Lesern und Leserinnen zumindest ein Begriff sein. Ist es aber so, dass diese Literatur im Wachstum ist? Werden mehr queere Sachbücher geschrieben, oder Belletristik?
Leiter: Absolut, es werden mehr queere Bücher geschrieben und zwar in allen Bereichen. Literatur, wo fiktive Geschichten erzählt werden, Sachbücher und auch viele biografische und autobiografische Bücher von queeren Personen kommen derzeit auf den Markt. Es steigt das Angebot, vor allem auch weil sich die Nachfrage erhöht hat. Mittlerweile gibt es eine tolle Auswahl und es kommen jeden Tag neue Titel hinzu. Wir sind immer wieder aufs Neue froh, Neuerscheinungen zu sehen.
Das Akronym für die LGBTQIA-Community umfasst sieben Buchstaben und oft noch ein Plus. Ist es so, dass bestimmte Buchstaben da schwerer mit Literatur zu besetzen sind als andere? Wenn ja, welche?
Leiter: Es gibt da ein paar Blindspots, also Blickpunkte, die noch nicht so stark vertreten sind. Es ist etwa das „A“ sehr schwierig zu finden, also asexuelle, aromantische oder agender Literatur, aber auch dazu gibt es immer mehr. Die sogenannte Ace Community hat sich sehr gut im Internet vernetzt und das Angebot wird erweitert. Die „klassischen“ Buchstaben, die als erste da waren, das LGBT, diese Realitäten sind bereits sehr gut vertreten. Ich bin aber auch da sehr froh, dass da jeden Tag Neues zum Angebot dazukommt. Vor allem mit dem Internet hat sich die Community gefunden und auch eine Möglichkeit, ihre Literatur zu verbreiten. Das hat viel ausgemacht.
Stichwort Online: Gerade auf den Plattformen von Meta, sowie auf X wird das in Zukunft wohl nicht leichter. Vielfach liest man online sinngemäß den Satz: „Aber bitte nicht vor den Kindern…“. Sollte queere Literatur gerade deswegen auch für Jugendliche zugänglich sein?
Alber: Gerade in der Jugend ist es zentral, für die Identitätsbildung und das Gefühl der Zugehörigkeit. Man fragt sich, ob man ähnlich ist wie die anderen oder verschieden und wo man sich in Bezug auf seine eigene Identität positioniert. Das ist genau das Thema von „Ich – du – wir“. Daher ist es wichtig, dass verschiedene Lebensrealitäten und Perspektiven, Arten zu leben und zu lieben, vertreten sind, damit gefördert werden kann, dass Jugendliche sich wohlfühlen in ihrer eigenen Haut und sehen, welche Möglichkeiten es für sie gibt. Sie sollten sich nicht ausgeschlossen oder falsch fühlen, bloß weil sie vielleicht anders sind als ihre Klassenkamerad:innen. Auch sonst kann es helfen, einmal andere Perspektiven einzunehmen, die vielleicht im eigenen Umfeld nicht vorhanden sind oder nicht angesprochen werden.
Ein weiteres Phänomen, unter dem viele Menschen zu leiden haben, ist die sogenannte „queere Einsamkeit“. Kann ein Buch dabei helfen, sich weniger einsam zu fühlen?
Leiter: Meiner Meinung nach absolut. Ich spreche da für mich selbst, denn Literatur war mein erster Kontakt zur LGBTQ-Community. Ich habe zu einer Zeit, als „schwul“ und „lesbisch“ noch Schimpfwörter waren, meinen Halt in der Literatur gefunden. Das gilt aber auch heutzutage, wo sich die queere Community mittlerweile vielfach online trifft. Sehr viele Social-Media-Plattformen sind aus Amerika, wo, wie Sie wohl wissen, die Lage für viele Menschen gefährlicher geworden ist. Deswegen weiß man nicht, wie willkommen diese Menschen auf den Plattformen noch sind. Die Literatur ist da, die bleibt auch. Ich mag es gerne, wenn einmal andere Leute die Möglichkeit haben, sich selbst zu repräsentieren, oder sich repräsentiert zu sehen und vielleicht auch eine Community zu finden. Für eine inklusive Gesellschaft ist wichtig, alle Facetten zumindest aufzuzeigen und ich hoffe, dass die Literatur vielleicht umso mehr ins Spiel kommt. Beim Lesen stärkt man Empathie und ich hoffe, dass wir uns in Richtung einer empathischen Gesellschaft entwickeln können, in der wirklich alle Leute willkommen sind.Wir haben bereits über die Bedeutung von queerer Literatur für queere Menschen gesprochen. Wie und wo kann queere Literatur ein interessanter Zugangspunkt sein für Leute, die sich nicht damit identifizieren, aber gerne mehr wissen würden, weil man in der Schule nichts oder wenig dazu lernt?
Alber: Ich glaube, dass der Wert ähnlich der Bedeutung ist, die diese Literatur für queere Personen hat, nur dass da zusätzlich die Möglichkeit besteht, eine eigene Community zu finden und Zugehörigkeit. Ein Stück weit in die Schuhe von Menschen zu schlüpfen, die sich in ihrem Körper vielleicht ganz anders fühlen, erlaubt auch Beziehungen anders zu leben und die Welt anders wahrzunehmen. Das ist allgemein bereichernd und macht es uns leichter, für andere Mitgefühl zu entwickeln. Wenn man die Hintergründe versteht, erlaubt uns das, Brücken zu bauen, die ansonsten schwieriger zu errichten sind.
Lernt man dabei im Kontrast auch die Mehrheitsgesellschaft besser kennen, indem man merkt, in welchen Boxen man selbst steckt, ohne es zu wissen?
Alber: Ich habe einige Freunde kennengelernt, die bestimmte Bücher verstecken mussten, weil sie so sehr an ihrer Identität gerüttelt haben, dass sie dafür noch nicht bereit waren. Für sie hat das zu einer neuen Weltanschauung geführt, die auch alles andere auf den Kopf gestellt hat. Das kann im ersten Moment vielleicht für Desorientierung sorgen, aber auf lange Sicht kann das Wissen darum, was und wie bunt man selbst sein kann, auch die Beziehung zu sich selbst stärken.Wir haben schon davon gesprochen, dass Online-Räume teils schwieriger zu finden sein werden. Wie ist es mit den analogen Räumen hier in Südtirol, auch in Hinblick auf die Road to Pride?
Alber: Ich würde sagen, das ist allgemein wichtig und wird jetzt einfach noch einmal dringender, vor allem auch in Regionen wie in Südtirol, wo es keine richtige Großstadt gibt. In Großstädten gibt es erstens vielleicht mehr Räumlichkeit und es ist zweitens dort leichter, anonym zu bleiben und trotzdem eine Community zu finden, einfach weil mehr Menschen dort leben. Dagegen leben die Menschen in Südtirol eher verstreut, wodurch queere Personen in den Tälern oder in kleineren Dörfern erst recht isoliert sind. Deswegen versuchen wir durch die Road to Pride, sowohl Räumlichkeiten zu schaffen, als auch Leute zusammenzubringen, damit sie auch etwas mehr an Platz einnehmen können. Das nicht nur am Tag der Pride, sondern überhaupt. Dazu muss man sich aber erst finden und auch die Sprache dafür finden, wie man sich selber in seiner Identität auszudrücken kann. Es ist also wichtig, Räumlichkeiten zu schaffen, in denen Community möglich ist, gerade auch dann und dort, wo queere Menschen immer mehr – oder wieder – unterdrückt werden.
TerminIch – du – wir sind queer! findet im Rahmen der Bozner Bücherwelten morgen Abend, mit Beginn um 18 Uhr im Waltherhaus (Oberes Foyer) statt.