Unsere stillen Widerständler
24. März, Jahrtag des Nazi-Massakers in den Fosse Ardeatine bei Rom, der symbolhafteste Gedächtnistag der italienischen Widerstandsbewegung. Es war der 24. März 1944, auf Geheiß des Führers Adolf Hitler persönlich wurden 335 willkürlich unter Partisanen, Juden und Häftlingen ausgemusterte Menschen erschossen. Als Rache für das Partisanen-Attentat in der Via Rasella, dem am Tag vorher 33 Soldaten des Polizeiregiments Bozen, in Mehrheit Südtiroler, zum Opfer gefallen waren. Für jeden getöteten deutschen Soldaten zehn Italiener, das war der Schlüssel des Henkerregimes. Erschießen ließ Gestapo-Kommandant Herbert Kappler dann anstatt der befohlenen 330 Geiseln fünf mehr, nämlich 335 – nach dem menschenverachtenden Prinzip „gut Maß“. Für diese fünf überzähligen Erschießungen wurde Kappler später zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Sie gingen sozusagen auf seine persönliche Rechnung. Die 330 waren „Befehl“, somit kriegsrechtlich gedeckt.
Selbstredend, dass die Südtiroler Sektion der italienischen Partisanenbewegung ANPI unter ihrem mehr als rührigen Präsidenten Guido Margheri den Gedenktag mit Kranzniederlegung und Ansprache begeht. Ich bin selber Anpi-Mitglied, und bei Versammlungen habe ich wiederholt angemahnt, man möge mit Gedenkfeiern etwas zurückhaltender sein. Auch Zeremonien unterlägen einer Inflation und würden sich also entwerten. Margheri weiß dann immer gute Gründe, warum es im Zweifelsfall noch mehr und nicht weniger Begängnisse erfordere.
Das Massaker von den Fosse Ardeatine wird in der Südtiroler Erinnerungskultur immer noch gern verharmlost als verständlicher Racheakt der Nazi für das blutige Attentat in der Via Rasella, dem 33 Südtiroler zum Opfer gefallen sind.
So ist Margheri, und manchmal gehe ich hin. Vergangene Woche, „Tag der Gerechten“, zum Geburtstag von Franz Thaler, vor einem Monat Todestag von Joseph Mayr-Nusser, heute Fosse Ardeatine. Und wir sind dann immer sehr unter uns. Abzuzählen an den Fingern der Hände eines Tischlers. Aber immer ist es würdig. Sekretär Primo Schönsberg baut die Partisanen-Standarte auf, der Präsident legt Blumen hin, hält eine passende Rede, wir stellen uns fürs Foto hin, fertig.
Ich ertappe mich zum Anlass immer, wie ich schlechte Gedanken verscheuchen muss. Warum, ist mein ständiger Gedanke, warum sind so gut wie nie auch Deutschsüdtiroler da? Mein nächster Gedanke: Eigentlich komme ich genau deshalb, dass mindestens ein deutscher Teilnehmer da ist. Ich halte es für ein Ärgernis, dass antifaschistische Kundgebungen in Bozen (und geschweige in ganz Südtirol) durchwegs rein italienische Veranstaltungen sind. Selbst beim Mayr-Nusser-Todesgedächtnis am Nusserhof am Bozner Boden war einzig Vizebürgermeister Luis Walcher da. Weil Bürgermeister Caramaschi da war. Den lässt sein Vize nie allein. Sonst, kein deutschsprachiger Gemeinde-, kein Landesvertreter. Ja, der Regierungskommissar war da. Es ist, als seien Widerstand und Antifaschismus für Deutschsüdtirol nicht gedenkenswert. Ich ergreife dann manchmal das Wort. Kurz nur, und sage, es wäre politisch schäbig, wenn bei derlei Gedenkfeiern nicht auch ein Ton Deutsch gesprochen würde.
Warum, ist mein ständiger Gedanke, warum sind so gut wie nie auch Deutschsüdtiroler da?
Heute fiel mir das besonders auf. Das Massaker von den Fosse Ardeatine wird in der Südtiroler Erinnerungskultur schon als Verbrechen geführt, aber doch immer noch gern verharmlost als verständlicher Racheakt der Nazi für das blutige Attentat in der Via Rasella, dem 33 Südtiroler zum Opfer gefallen sind. Dabei hätten wir Südtiroler genau zu diesem Anlass guten Grund stolz zu sein auf unsere eigenen Widerständler. Es ist das große Verdienst des erst letzte Woche verstorbenen Journalisten Umberto Gandini, der vor 40 Jahren ein zwar nicht heroisches, aber ehrenhaftes Stück Südtiroler Widerstands ans Licht gefördert hat. Gandini suchte 1979 die paar damals noch überlebenden Südtiroler auf, die beim Polizeiregiment Bozen dienten und das Attentat in der Via Rasella überlebt hatten. Einfache Leute, Bauernknechte zum Teil. Und diese erzählten dem Journalisten, wie es damals zugegangen war. Die Südtiroler waren keine Helden, aber sie benahmen sich heldenhaft. Als es zur Exekution der 335 kam, wurden die überlebenden Südtiroler des Polizeiregiments, nein, nicht gerade aufgefordert, aber „eingeladen“, selber an der Erschießung der „Mörder ihrer Kameraden“ teilzunehmen. Die Südtiroler sollen sich daraufhin beraten haben und seien zum Entschluss gekommen, nein zu sagen. Sie weigerten sich, Blutrache zu nehmen.
Es sagt etwas über unser gestörtes Verhältnis zum antinazistischen und antifaschistischen Widerstand (was ein und dasselbe ist), dass dieses Südtiroler Detail in der eigenen Geschichtsschreibung so gar nicht vorkommt, geschweige gewürdigt wird. Es ist unsere kleine Widerstandsgeschichte innerhalb der natürlich viel größeren von den Fosse Ardeatine. Darauf sollten wir stolz sein. Aber dafür müssten wir weniger geschichtsvergessen sein.
Es könnte damit liegen, dass
Es könnte damit liegen, dass die Partisanen sich zwar gegen den Nazifaschismus aufgelehnt haben, den Südtirolern aber die Selbstbestimmung verweigert haben. Die Losung war immer "dalla Sicilia al Brennero". Und dass viele Südtiroler es nicht unbedingt feiern wollten, zwar von den Nazis befreit worden zu sein, aber bei Italien verbleiben zu müssen. Das war ein riesiger Schock, dass nach dem 2. WK Südtirol immer noch beim faschistischen Italien verblieben ist. Die Narben, die Italien den Südtirolern zugefügt hat, verheilen langsam (aber stetig), spätestens seit dem 2. Autonomiestatut 1992 kann sich das Volk der Südtiroler nicht mehr ausschließlich fremdbeherrscht fühlen.
Es bleibt umstritten, ob die
Es bleibt umstritten, ob die Angehörigen des Polizeiregimentes Bozen sich wirklich geweigert haben, an den Erschießungen teilzunehmen, oder ob sie, wie andere Zeitzeugen berichten, gar nicht gefragt wurden, weil ihr Kommandant erklärte, dass seine Leute so etwas nicht machen würden. Zu ergänzen ist auch, dass zwar 32 Südtiroler direkt am Ort des Attentates getötet wurden, weitere drei aber kurz darauf ihren Verletzungen erlegen sind. Die Geiselerschießungen wären also, sofern man diese furchtbare Form der Repressalie überhaupt rechtfertigen will, im Rahmen des (unmenschlichen) Befehls gewesen. Wenn man das Polizeiregiment Bozen erwähnt, dann sollte man auch das Polizeiregiment Brixen erwähnen, das dank der Überzeugungsarbeit von Hans Egarter geschlossen den Eid verweigert hat und als Strafe dafür an der Ostfront verheizt wurde. Wer gedenkt dieser Helden?
In reply to Es bleibt umstritten, ob die by Hartmuth Staffler
Dann hat Kappler nicht 5 zu
Dann hat Kappler keine 5 Menschen zu viel sondern 15 zu wenig töten lassen.
In reply to Dann hat Kappler nicht 5 zu by Maximi Richard
Jeder Unschuldige, der
Jeder Unschuldige, der getötet wird, ist einer zu viel.
In den letzten Jahrhunderten
In den letzten Jahrhunderten haben nationalistische Verirrungen unheimlich viel Leid in die Welt getragen. Gedenkfeiern sollten m.E. nicht nur auf die Vergangenheit bezogen bleiben, sondern vielmehr zur Notwendigkeit eines friedlichen Miteinander, über Staatsgrenzen, Religionen und Herkunft hinweg, einladen.
Wenn es auch mit nur halb so
Wenn es auch mit nur halb so viel Trikolore ginge, könnte man vielleicht auch die eine oder den anderen Deutschsprachigen mehr dazu motivieren, diesen Anlässen beizuwohnen. Ich jedenfalls halte diesen zur Schau gestellten Nationalismus (jaja ich weiß: Verfassungspatriotismus, aber trotzdem…) gerade in Südtirol etwas wenig ‘empathisch’.
Habe einen der überlebenden
Habe einen der überlebenden des Attentat der via Rasella kennengelernt.
Mit Stolz erzählte er mir die Weigerung an der Teilnahme der Erschiessung der Geiseln.
Die Menschlichkeit in Krieg zu bewahren ist wahrhaftig eine Heldentat.