Chronicle | Ermittlung

Versuchter Stimmenkauf?

Ein hoher Bozner SVP-Gemeinderat hat ausgesagt, dass die Bauunternehmer Dalle Nogare Geld für die SVP-Stimmen im Gemeinderat geboten hätten. Die Hintergründe einer brisanten Ermittlung, die bis in die Chefetage des Assessorates von Christian Tommasini führen könnte.

Mehr als acht Stunden sind die Männer der Carabinierisondereinheit ROS und der Bozner Gerichtspolizei an diesem Mittwoch unterwegs. In einer koordinierten Aktion werden sie gleichzeitig beim Wohnbauinstitut, im Urbanistikassessorat des Landes, in der Gemeinde Bozen und am Sitz des Bauunternehmens Dalle Nogare vorstellig.
Bei der Beschlagnahmung in den Büros des Unternehmens Dalle Nogare ist auch der Vertrauensanwalt der Unternehmer Carlo Bertacchi anwesend. Dass der renommierte Strafverteidiger bis spät am Abend vor Ort ist, liegt an der Schwere der Anschuldigungen. Die Ermittlungen, die von Staatsanwalt Giancarlo Bramante geführt werden, sind auch politisch brisant. Die Ermittlungshypothese: Anstiftung zur Bestechung und Amtsmissbrauch. Das bestätigte am Donnerstag Oberstaatsanwalt Guido Rispoli.
Über die Personen, die ins Ermittlungsregister eingetragen wurde, herrscht absolutes Stillschweigen. Nach gesicherten Informationen von salto.bz wurden bisher formell Antonio und Angelo Dalle Nogare in das Ermittlungsregister eingetragen. Bertacchi Anwalt der beiden Unternehmer (Sohn und Vater) bestätigt das. Für beide gilt die Unschuldsvermutung.
Dass die Ermittlung aber auch den Strafbestand Amtsmissbrauch anführt, ist ein klarer Hinweis darauf, dass auch höhere Amtspersonen in das Fadenkreuz der Ermittler geraten sind.

Der Ausgangspunkt

Die gesamte Ermittlung dreht sich um einen Baugrund und einen Millionen-Deal in der Bozner Reschenstraße.
Im Sommer 2011 führt der Südtiroler PD, allen voran der zuständige Landesrat Christian Tommasini ein neues gesetzliches Modell der Wohnraumbeschaffung für das Wohnbauinstitut (Wobi) in Südtirol ein. Das Wobi soll sozusagen „zur Beschleunigung der Bauprogramme“ schlüsselfertige Wohnungen von Bauunternehmen ankaufen können. Dazu soll das Wobi einen Wettbewerb ausschreiben, bei dem private Unternehmer ihre Gründe anbieten können. Die Landesraumordnungskommission muss die Eignung der verschiedenen angebotenen Zonen überprüfen und dann den oder die Wettbewerbssieger ermitteln.
Im August 2011 wird über den Nachtragshaushalt das Wohnbauförderungsgesetz abgeändert und diese neue Ankaufsform samt Wettbewerb eingefügt. Kritiker fragten sich bereits damals, wer die eigentlichen Nutznießer dieser Gesetzesänderung sind: Das Wohnbauinstitut oder die Spekulanten- und Baulobby?
Während der Gesetzestext noch druckfrisch ist, wird diese Neuerung in Bozen schon in die Praxis umgesetzt. Das Wohnbauinstitut schreibt einen Wettbewerb zur Errichtung von 110 Wohnungen aus, an dem sich vier Interessenten beteiligen und Grundstücke anbieten. Darunter auch die beiden Grundbesitzer Thomas Mair und Alfred Defranceschi. Sie bieten ein 13.642 Quadratmeter großes Grundstück in der Bozner Reschenstraße an. Von Anfang an aber ist allen Beteiligten klar, dass jemand anderer hinter dem Deal steckt. Denn der Bauunternehmer Antonio Dalle Nogare hat seit 2009 einen Vorvertrag für dieses Grundstück in der Tasche.

Nach einem Lokalaugenschein gibt die Landesraumordnungskommission am 15. Dezember 2011 aber überraschend ein negatives Gutachten für den Ankauf dieses und auch der anderen drei Gründe ab. Der zuständige Landesrat Christian Tommasini beschwert sich wenige Tage später auf der Sitzung der Landesregierung, dass die Kommission „politisch und nicht technisch“ entschieden hätte. Laut Tommasini habe die Kommission als Begründung für die Anlehnung auch den Umstand angeführt, dass das Wobi seit zehn Jahren ganz in der Nähe dieser Zone ein eigenes unbebautes Grundstück besitzt.

Zweiter Anlauf

Die Besitzer des verschmähten Grundstückes in der Reschenstraße geben sich aber nicht geschlagen. Sie legen beim Verwaltungsgericht Rekurs gegen den Beschluss der Landesraumordnungskommission und die Ablehnung ein. Am 19. Juni 2012 weist das Verwaltungsgericht Bozen die Klage der privaten Grundbesitzer ab. Die Unternehmer ziehen vor den Staatsrat, der am 5. März 2013 erneut dem Land Recht gibt. Im Urteil des Staatsrates werden die Gründe für die Ablehnung der Zone noch einmal explizit als absolut stichhaltig angeführt.
Damit müsste der Deal eigentlich begraben sein. Doch weit gefehlt. Ein halbes Jahr später beginnt der zweite Anlauf. Am 21. Oktober 2013 schreibt das Wobi erneut einen Wettbewerb zur Errichtung von 100 Wohnungen in Bozen aus. Kostenpunkt der Operation: 26 Millionen Euro. Am 31. Oktober 2013 hinterlegen die beiden Grundbesitzer erneut das Angebot für das Grundstück in der Reschenstraße.
Laut Landesgesetz müssen die Landesraumordnungskommission und die Gemeinde Bozen aber die Eignung des Grundstückes bestätigen. Der Bozner Gemeinderat tut das in seiner turbulenten Sitzung am 12. Dezember 2013. Genau eine Woche später gibt dann am 19. Dezember 2013 gibt auch die Landesraumordnungskommission grünes Licht. Es ist eine 180-Grad-Kehrtwende. Denn die Kommission hatte genau denselben Grund zwei Jahre zuvor noch abgelehnt und insgesamt drei stichhaltige Gründe dafür angeführt, die allesamt auch heute noch so bestehen.
Am 18. März 2014 endete der Wobi-Wettbewerb. Weil der Dalle-Nogare-Grund in der Reschenstraße aber der Einzige war, der an der Ausschreibung teilgenommen hat und zudem alle notwendigen Gutachten positiv ausgefallen sind, ist der Deal eigentlich unter Dach und Fach. Der Zuschlag an den Bauunternehmer ist nur mehr eine Formalität.

Die Komplikationen

Während des Wettbewerbs und der Entscheidungsfindung kommt es aber zu einigen Vorfällen, die jetzt auch im Zentrum der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft stehen.
Im Urbanistikassessorat des Landes taucht bereits im Spätherbst 2013 ein mehr als berechtigter Zweifel auf, ob der Dalle-Nogare-Grund überhaupt noch einmal am Wettbewerb teilnehmen kann. Dabei geht es um eine juridische Frage: Kann die Landesraumordnungskommission eine Entscheidung, die vom Staatsrat bestätigt wurde, plötzlich rückgängig machen? Ohne dass sich auch nur ein Beistrich geändert hat?  Die Anwältin der Amtes für Raumordnung kommt zum Schluss, dass dieser Teilnehmer vom Wettbewerb ausgeschlossen werden muss.
Doch dann tritt Katia Tenti, Ressortdirektorin von Wohnbau-Landesrat Christian Tommasini auf den Plan. Tenti hatte sich bereits zwei Jahre zuvor, beim ersten vergeblichen Anlauf auffällig offensiv für die Ausweisung dieses Grundes in der Reschenstraße eingesetzt. Sie war sogar völlig überraschend für alle Beteiligten beim Lokalaugenschein der Landesraumordnungskommission aufgetaucht und mitgegangen.
Als im Dezember 2013 der neue Wobi-Wettbewerb in die Entscheidungsphase geht, wird Katia Tenti erneut aktiv. Die studierte Soziologin und Autorin eines eben erschienenen Kriminalromans interveniert in ihrer Eigenschaft als höchste Beamtin im Wohnbau-Assessorat bei mehreren Stellen in der Gemeinde Bozen um sich für den Deal einzusetzen. Doch damit nicht genug.
Weil die juridische Streitfrage im Weg steht, kommt es am 12. Dezember 2013, dem Tag der Beschlussfassung im Gemeinderat, plötzlich zu hektischen Aktivitäten. Zuerst wird Katia Tenti auf Vermittlung von Stadträtin Chiara Pasquali bei der Anwältin der Gemeinde, Bianca Giudiceandrea vorstellig. Die Ressortdirektorin will, dass die Anwältin ein Rechtsgutachen erstellt, das die Operation rechtlich absichert. Giudiceandrea erklärt, dass sie das nicht könne. Die Anwältin bestätigt später vor den Carabinieri den Vorfall.
Umgehend wechselt Katia Tenti Adressat. Die Ressortdirektorin bestellt mündlich ein Rechtsgutachten bei Fabrizio Cavallar vom Rechtsamtes des Landes. Laut Informationen von salto.bz wird das Gutachten innerhalb weniger Stunden verfasst. Es geht am selben Vormittag an den Abteilungsleiter im Wohnbau Wilhelm Pallfrader, den Chef der Raumordnung Anton Aschbacher und an Katia Tenti. Wer das Gutachten allerdings bestellt hat, geht aus der Anrede des Schreibens klar hervor. Fabrizio Cavallar schreibt: „Gentile collega“.
Katia Tenti ist es dann auch die das Gutachten offiziell noch am selben Tag und wenige Stunden vor der entscheidenden Abstimmung in einem Treffen an dem vier Personen teilnehmen, an den Generalsekretär der Gemeinde übergibt.

Der Bumerang

Damit taucht aber eine brisante Frage auf: In wessen Interesse agiert Tommasinis Ressortdirektorin Katia Tenti?
Der 5-Stelle-Gemeinderat Alberto Filippi weist in einer Stellungnahme im Gemeinderat aber auch in mehreren Presseaussendungen bereits vor Monaten auf ein persönlich privates Nahverhältnis zwischen Katia Tenti und dem Bauunternehmer Antonio Dalle Nogare hin. Die Ressortdirektorin sieht das als Verleumdung und erstattet Strafanzeige gegen Filippi. Nach mehreren Anhörungen vor der Gerichtspolizei und nachdem der Bozner 5-Stelle-Gemeinderat alle Akten und Dokumente der Staatsanwaltschaft übermittelt hat, wird die Anzeige Tentis gegen Filippi archiviert. Die Ressortdirektorin hat dagegen Berufung eingelegt. Die Entscheidung dazu steht noch aus.
Tentis Anzeige könnte am Ende aber zu einem Bumerang werden. Denn die Akten zu dieser Anzeige und eine Eingabe Filippis sind der Ausgangspunkt für die jetzigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.

Unübliches Lobbying

Alberto Filippi klagt in seiner Eingabe vor der Staatsanwaltschaft nicht nur die besonderen Aktivitäten von Christian Tommasinis Ressortdirektorin in Sachen Zone in der Reschenstraße an, sondern eine noch gravierendere Episode. Die Abstimmung im Bozner Gemeinderat ging denkbar knapp aus. Für das positive Gutachten des Bozner Gemeinderats brauchte es unbedingt auch Stimmen der Opposition. Filippi behauptet, dass mehrere Gemeinderäte vor der Abstimmung deshalb direkt von den Bauunternehmern kontaktiert wurden.
Der Bozner Unitalia-Gemeinderat Gianfranco Piccolin bestätigt am 14. Jänner 2014 im Gemeinderat diese Tatsache. „Es hat eine unübliches Lobbying und kapillare Kontakte der Unternehmer zu den Gemeinderäten gegeben“, sagt Piccolin laut Videoaufzeichnung wörtlich.
Ähnliches spielte sich eine Woche später dann auch in der Landesraumordnungskommission ab. Als ein Mitglied vor der Abstimmung sich darüber aufregt, dass es von einem Berater des Bauunternehmers kontaktiert worden sei, kommt heraus, dass zu mehreren Mitgliedern der Kommission vor der Abstimmung ein ähnlicher Kontakt gesucht worden war.
Die ROS-Beamten und die Gerichtspolizei haben in den vergangenen Wochen mehrere Bozner Gemeinderäte dazu angehört. Sowohl oppositionelle Gemeinderäte, wie auch Räte der SVP haben dabei bestätigt, dass sie direkt vor der Abstimmung von Antonio oder Angelo Dalle Nogare kontaktiert wurden.

Das Geld sollte nicht dem SVP-Gemeinderat persönlich zufließen, sondern als Spende der SVP.

Ein hoher SVP-Gemeinderat wird bei seiner Zeugenaussage aber weit deutlicher. Der Amtsträger sagte aus, dass ihm der Bauunternehmer für seine Stimme im Gemeinderat Geld geboten hätte. Das Geld sollte nicht ihm persönlich zufließen, sondern als Spende der SVP.
„Es stimmt, dass meine Klienten den Kontakt zu den Gemeinderäten gesucht haben“, bestätigt dann auch Carlo Bertacchi. Der Anwalt von Antonio und Angelo Dalle Nogare sagt aber, dass das normale Informationsgespräche waren. Von Geld sei dabei aber nie die Rede gewesen.

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pérvasion Fri, 04/25/2014 - 11:18

Unglaublich, was sich da (womöglich) abgespielt hat. Was ich nicht ganz verstehe: Warum soll die Anrede "gentile collega" ein Hinweis darauf sein, dass das Gutachten von Frau Tenti in Auftrag gegeben wurde? Für mich auf den ersten Blick nicht ganz nachvollziehbar.

Fri, 04/25/2014 - 11:18 Permalink
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Martin B. Fri, 04/25/2014 - 23:01

Ich musste eine Weile nachdenken, bis ich mich erinnerte, wo mir der Name Katia Tenti bereits unangenehm aufgefallen war: im lokalen Fiasko der Kandidatur Venezia Nordest, wo das Resort Tommasini unglaubliche Summen u.a. für ein Luxus-Empfang-Essen ausgegeben hat, war sie es, die dieses Vorgehen als Zuständige (Comitato Promotore) vehement verteidigt hat (http://www.venezianordest2019.eu/it/comitato-promotore/2-non-categorizz…). Leider hat man von diesem Vorfall nach der großen Empörung nicht mehr viel gehört und Tommasini wurde durch den neuen LH scheinbar voll rehabilitiert (als neuer/alter LR). Wie es scheint, ein riskanter Zug.

Fri, 04/25/2014 - 23:01 Permalink
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Willy Pöder Sat, 04/26/2014 - 09:02

Absolut unklar ist mir, was der Autor des Beitrages, der Claus-Gatterer-Preisträger Christoph Franceschini, unter einem "hohen Gemeinderat" versteht. Vielleicht ein Mitglied der Stadtregierung? Diese genießen eigentlich eine genauso besondere wie sonderbare Betitelung: Es sind "Stadträte" für die Deutschen, es sind "Assessori" für die Italiener und in leichter sprachlicher Abwandlung ebenfalls für die Ladiner.
Also kann der Autor diese Gattung mit "hoher Gemeinderat" nicht gemeint haben. Wen dann? den Präsidenten bzw. dessen Stellvertreter? Aufklärung täte gut, um zu vermeiden, dass Umbetroffene in Verdacht geraten und damit von der Gerüchteküche verkocht werden.
Im Übrigen hat der ex Tageszeitungs-Journalist mit diesem Artikel einmal mehr einen wichtigen Blick hinter die partei- und machtpolitischen Gardinen gewährt.
Persönlich sehe ich in dieser Geschichte einen ursächlichen Zusammenhang, weshalb die Landesregierung dem Wobi die Zuständigkeit für die Ausschreibungen entzogen hat.

Sat, 04/26/2014 - 09:02 Permalink
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Willy Pöder Sat, 04/26/2014 - 09:08

Absolut unklar ist mir, was der Autor des Beitrages, der Claus-Gatterer-Preisträger Christoph Franceschini, unter einem "hohen Gemeinderat" versteht. Vielleicht ein Mitglied der Stadtregierung? Diese genießen eigentlich eine genauso besondere wie sonderbare Betitelung: Es sind "Stadträte" für die Deutschen, es sind "Assessori" für die Italiener und in leichter sprachlicher Abwandlung ebenfalls für die Ladiner.
Also kann der Autor diese Gattung mit "hoher Gemeinderat" nicht gemeint haben. Wen dann? den Präsidenten bzw. dessen Stellvertreter? Aufklärung täte gut, um zu vermeiden, dass Umbetroffene in Verdacht geraten und damit von der Gerüchteküche verkocht werden.
Im Übrigen hat der ex Tageszeitungs-Journalist mit diesem Artikel einmal mehr einen wichtigen Blick hinter die partei- und machtpolitischen Gardinen gewährt.
Persönlich sehe ich in dieser Geschichte einen ursächlichen Zusammenhang, weshalb die Landesregierung dem Wobi die Zuständigkeit für die Ausschreibungen entzogen hat.

Sat, 04/26/2014 - 09:08 Permalink