Culture | Ausstellung

Die wundersame Vermehrung des Loretoschatzes

Josef Rainers Ausstellung im Stadtmuseum Klausen spielt mit Analogien und stellt Fragen nach den Zusammenhängen.

Um 1700 stiftet die spanische Königin Maria Anna auf Bitte ihres Beichtvaters Pater Gabriel Pontifeser ihre einzigartige Sammlung von Kunstwerken, Büchern und religiösen Gegenständen, die größtenteils aus Werkstätten spanischer und italienischer Kunsthandwerker und Künstler stammten, dem Kapuzinerkloster von Klausen. Den Schatz bewahren die Kapuziner in der Loretokapelle auf – daher auch sein Name. 1986, in der Nacht vom 26. zum 27. Mai wird ein beachtlicher Teil des Loretoschatzes gestohlen. Die Tat wird als „Raub des Jahrhunderts in Südtirol“ betitelt. Die Ermittlungen ziehen sich über Jahrzehnte. Spuren führen in das internationale Drogenmilieu. Erst tauchen in Verona einige Gemälde auf, etwas später wird dann in der Schweiz ein Großteil der Beute von den Carabinieri sichergestellt. Erst seit 2013 ist wieder nahezu der gesamte Teil des gestohlenen Loretoschatzes im Stadtmuseum in Klausen zu bestaunen.

Diesen Schatz und seine Geschichte nimmt der Künstler Josef Rainers nun als Ausgangspunkt für seine Ausstellung im Stadtmuseum Klausen und stellt seine Werke in einen Dialog mit den Gegenständen aus der Sammlung. Den Verlust einer durch den Diebstahl zu Bruch gegangenen Ming-Schüssel wiegt er mit 23 handgefertigten Keramiktassen auf.

Maria Anna Palatina blickt von einer Portraitzeichnung Rainers auf die wundersame Vermehrung ihres Schatzes. Daneben ihr Gatte Karl der II. von Spanien und Gabriel Pontifeser, den Rainer umrankt von kleinen Dämonen ins Bild setzt. Den Portraitzeichnungen ist eine Bücherreihe gegenübergestellt.

Jedes einzelne Buch ist mit dem persönlichen EX LIBRIS der Königin versehen und wird von zwei Buchstützen zusammengehalten. Die Stützen aus glasierter Keramik stellen einen Papagei, als Symbol des luxuriösen Lebensstils der Königshöfe, sowie einen Orang Utan auf einer Weltkugel, der mit einem Fernrohr in die Weite blickt, dar.  

Der entscheidende Anstoß für die Sammlungen der Kunstkammern der Renaissance und des Barocks waren die Entdeckungsfahrten und Raubzüge des 15. - 17. Jahrhunderts. Sie sollten einen universalen Zusammenhang zwischen verschiedensten Objekten, Artefakten und Naturalien herstellen und ein Weltbild vermitteln in dem Natur und Wissenschaft, Geschichte und Kunst zu einer Einheit verschmelzen. In diesen Kunst- und Wunderkammern wurden neben allerlei Kuriositäten, auch die neusten Automaten vorgeführt. Josef Rainer hat ebenfalls einen solchen Automaten gebaut: einen sprechenden Affen, der in einem Monolog Gedanken und Ideen der Kunstgeschichte, Philosophie, Erkenntnis- und Evolutionstheorie erörtert. Der Orang Utan reflektiert seinen Status zwischen Subjekt und Objekt, Schöpfer und Geschöpf, Kunstwerk und Sprachorgan des Künstlers. Als Nachahmung der Natur, war die Kunst lange Zeit als „Nachäfferkunst“ verpönt. Seit der Antike spielen Affen - als Grenzfigur zwischen Mensch und Tier - eine zentrale Rolle im Narrativ des zivilisatorischen Fortschritts. Sie waren und sind Instrument zur menschlichen Selbstdefinition und somit auch der menschliche „Natur“. In Franz Kafkas Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“ - einer beißenden Gesellschaftssatire und gnadenlosen Kritik am selbstgerechten Bürgertum - stellt sich die Menschwerdung als Dressurakt dar. Rainers sprechender Affe ist wohl ein direkter Nachkomme von Kafkas Rotpeter. Wie besessen eignet sich Kafkas Affe Wissen an, um seiner Gefangenschaft im Zoo zu entgehen. Sein Aufstieg gelingt; schließlich berichtet der Primat vor illustrem Publikum über seinen Werdegang:„Diese Fortschritte! Dieses Eindringen der Wissensstrahlen von allen Seiten ins erwachende Hirn! Ich leugne nicht: es beglückte mich. Ich gestehe aber auch ein: ich überschätzte es nicht, schon damals nicht, wie viel weniger heute. Durch eine Anstrengung, die sich bisher auf der Erde nicht wiederholt hat, habe ich die Durchschnittsbildung eines Europäers erreicht. Das wäre an sich vielleicht gar nichts, ist aber insofern doch etwas, als es mir aus dem Käfig half und mir diesen besonderen Ausweg, diesen Menschenausweg verschaffte. Es gibt eine ausgezeichnete deutsche Redensart: sich in die Büsche schlagen; das habe ich getan, ich habe mich in die Büsche geschlagen. Ich hatte keinen anderen Weg, immer vorausgesetzt, dass nicht die Freiheit zu wählen war.“

Rainers Affenautomat im Morgenmantel ist da optimistischer, zumindest was die Freiheit der Kunst angeht: „Als ich noch ein Primat war, war ich frei, lebte in Freiheit, jetzt da ich mich wie ein Mensch verhalte, denke, spreche, kann ich nur von Freiheit träumen, doch der Teil von mir, der Kunst ist, dem wohnt wohl die absolute Freiheit inne.“