Die EU am Boden
Wenn der Kuchen immer kleiner wird, ist der Kampf um die verbleibenden Stücke vorprogrammiert – insbesondere wenn es dabei um Begehrlichkeiten starker Lobbys geht, die nicht immer im Sinne der Allgemeinheit agieren. So wie beim Boden. In Südtirol sind nur 5,5 Prozent der Gesamtfläche bebaubar. 1,8 Prozent sind es bereits. Nur 3,7 Prozent der 7.400 Südtiroler Quadratkilometer sind noch nutzbar
2019 wurden laut staatlicher Umweltagentur ISPRA in Südtirol 7,3 Hektar neue versiegelte Zonen gezählt (0,001 Prozent der Landesfläche), vor allem innerhalb von Erweiterungs- und Auffüllzonen (3,8 Hektar in C-Zonen, 1,3 Hektar in B-Zonen) und innerhalb bestehender Gewerbezonen (1,8 Hektar)..
Das wertvolle Gut Boden steht auch im Mittelpunkt der EU-Biodiversitätsstrategie 2020. Die Europäische Kommission will dem unkontrollierten Bodenverbrauch einen Riegel vorschieben – und holt sich dazu Rat bei den Bürgern. “Gesunde Böden – eine neue Bodenstrategie der EU” heißt die Online-Befragung, die noch bis Dienstag, 27. April, läuft. “Vom Boden hängen viele Ökosystemleistungen ab: Der Boden stellt die Grundlage für die Lebensmittelerzeugung dar, liefert Rohstoffe, reinigt Wasser, fördert die biologische Vielfalt und speichert Kohlenstoff”, zitiert Maria Hochgruber Kuenzer aus der Konsultation. Die für Raumentwicklung und Landschaft zuständige Landesrätin ruft die Südtiroler auf, an der Konsultation teilzunehmen: “Der Boden ist für uns und unsere Nachkommen von großer Bedeutung. Die Erde ist der Lebensraum von Tausenden von Lebewesen. Aufgabe der Politik muss es sein – auf der Grundlage der Expertise der Techniker – ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Nutzungsinteressen herstellen. Um das Ziel des Nullbodenverbrauchs bis 2050 wie von der EU gefordert zu erreichen, bleibt noch viel zu tun.”
Giorgio Gottardi, Direktor des Landesamtes für Landschaftsplanung und Kartografie, weist in diesem Zusammenhang auf Matilde Casa, Bürgermeisterin von Lauriano in der Nähe von Turin, hin. Casa hatte in ihrer Gemeinde einen Baugrund in landwirtschaftliche Zone umgewidmet. Dafür war sie mit dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs strafrechtlich verfolgt worden – weil sie in einem Hügelgebiet mit hohem hydrogeologischem Risiko den Bau von 40 Wohnhäusern verhinderte. 2016 wurde sie dafür vom Turiner Gerichtshof vollständig freigesprochen. “Das Beispiel Matilde Casa stellt einen Wendepunkt dar. Hoffentlich trägt es zu einem Paradigmenwechsel in der Nutzung des Bodens bei, der eine nicht erneuerbare Ressource ist”, wünscht sich Gottardi.