Letztens im Museion
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Am Montag vergangener Woche statteten Mitglieder der neuen Landesregierung dem Museion (Museum für moderne und zeitgenössische Kunst) in Bozen einen Besuch ab. Auch Vizelandeshauptmann Marco Galateo war kurz dabei gewesen. Aufgefallen ist der in Kulturfragen noch etwas „grün hinter den Ohren“ agierende Galateo weniger durch sein Anwesenheit, sondern mit einem Affront gegen das Kunsthaus kurz darauf. Er und Vermögenslandesrat Christian Bianchi stellten plötzlich die Wirtschaftlichkeit in Frage und forderten eine Überprüfung sämtlicher Zahlen. Apropos Zahlen: Gerade Marco Galateo, der mit seinen nicht einmal 3000 Wählerstimmen (von einer maroden Volkspartei nach oben gespült) zum Vizelandeshauptmann wurde, wolle bessere Museion-Zahlen sehen? Es wäre von seiner (und auch von Bianchis) Seite wohl angebrachter und wünschenswerter, sich bei Unwissen in Zurückhaltung zu üben. Auch das Einarbeiten in die Materie soll nicht schaden. Eine Absage erteilte den populistischen "Vorpreschern" jedenfalls Koalitionskollege Philipp Achammer. Immerhin.
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Auf den Museion-Stühlen, wo die geladenen Politiker und Politikerinnen Platz genommen hatten, saßen nur wenige Tage später Interessierte einer Veranstaltung, die mitunter in die prähistorischen Anfänge des Museion führte, als nämlich die kulturlose Bozner Stadtpolitik unter Bürgermeister Giancarlo Bolognini Ende der 1970er Jahre die Bagger schickte, um ein altes Gebäude (das zu einem Kulturzentrum umfunktioniert hätte werden können) dem Erdboden gleichzumachen.
Hauptkommunikationsmittel für uns waren die Plakate...
Im Rahmen der aktuellen Ausstellung Poetry in the box, die dem Kulturzentrum Mercato del Sale und dem Künstler Ugo Carrega gewidmet ist, präsentierte das Museion die Diskussionsrunde Im Kontext und untersuchte alternative Minderheiten- und Subkulturen unter dem Titel Visioni diffuse: dalle riviste di Ugo Carrega alla storia della fanzine in Italia. Nach einer kurzen Einleitung tauchte Moderatorin Brita Köhler gemeinsam mit Sara Serighelli, Dominikus Andergassen und Mirijam Obwexer in die Thematik ein. -
Serighelli sprach zunächst über die in Zusammenarbeit mit Dafne Boggeri herausgegebene Publikation OUT OF THE GRID: Italian Zine 1978-2006. Die vorgestellten Fanzines gaben Einblicke in subkulturelle Bewegungen und die unabhängige Verlagswelt der 1970er und 1980er Jahre.
Zu Beginn waren es vor allem die Städte Bolgona und Pordenone gewesen, die als wichtige Zentren, alternative Kultur aus dem Underground an die Öffentlichkeit brachten. Junge heranwachsende Menschen hatten nämlich auf den Muff von Eltern und Großeltern keine Lust mehr, sie wollten Neues und die Welt anderes denken und gestalten. Nachdem es damals keine Facebook- oder WhatsApp-Gruppen gab, schrieben die Aktivistinnen und Aktivisten für sogenannte Fanzines – gestalteten, vervielfältigten und verteilten sie. Damit förderten sie den wichtigen Austausch zu Kino, Literatur, Theater, Politik, Kulinarik und natürlich zu Kunst und Musik. Über diese frische Fanzine-Kultur und die sich ausbreitende Leserinnen*schaft entstanden immer mehr freie Inseln und unabhängige Zentren.
Ob Mailand oder Bozen: Arbeiter*innen und Studierende kämpften gemeinsam gegen das Establishment. Es wurde besetzt, protestiert und über (fast) alles diskutiert. In der alternativen Szene wurden mitunter auch feministische Themen behandelt, Gleichberechtigung wurde gelebt (oder zumindest versucht zu leben) und klarerweise hatten homosexuelle und transsexuelle Bewegungen einen festen Platz.Auch in Bozen gab es Ende der 1970er Jahre mit dem sogenannten Bollettino eine Art Mitteilungsblatt, das von der Landeshauptstadt aus in die anderen Stadtgemeinden und die Südtiroler Täler gelangte. Verschickt wurde auch an die Politik und die Gewerkschaften. „Das Hauptkommunikationsmittel für uns waren aber die Plakate“, betonte Zeitzeuge Dominikus Andergassen, eine der federführenden Protagonisten 1979, der einerseits das Ex-Monopolio-Gebäude (mit-)besetzte und kulturpolitischen Aktivismus auf lokalem Niveau betrieb. Heute erinnern lediglich ein paar Fotos (und ein 2019 erschienenes Buch) an die "coolen" Wochen des kulturellen Aufbruchs, den die Politik jäh beendete.
Das einst am Ort des heutigen Museion stehende Jugendstil-Gebäude mit Glasüberdachung war im Herbst 1979 der große Hoffnungsträger für ein friedliches Miteinander von Kulturen und Sprachen im Stadtraum gewesen. Das besetzte Haus war binnen weniger Tage zum Bezugspunkt für junge und aufgeschlossene Menschen geworden, doch der Traum vom gemeinsamen Kulturzentrum wurde in den Morgenstunden des 5. November 1979 von Baggern plattgewalzt. „Bagger wurden vor nicht allzu langer Zeit auch in Schlanders geschickt...“, erinnerte ein junger Zuhörer an den Fall des Kasernenareals im Vinschgau. Als letzte Referentin berichtete Mirijam Obwexer über ihre Recherche zur Südtiroler Kulturzeitschrift Sturzflüge und einer dazu von ihr an der Freien Universität Bozen umgesetzten, aktuellen und handgefertigten Ausgabe. Unter anderem sprach sie auch über den Südtiroler Brain Drain, also den „Abfluss von Intelligenz und Verstand“.
Die in der gleichen Woche "eingefallenen" Anfeindungen von politischen Vertretern gegen Kunst und Kultur an der Talfer, lassen mitunter gut nachvollziehen, weshalb junge Südtiroler*innen das Weite suchen. Bei so viel politischer Ewiggestrigkeit.More articles on this topic
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