Politics | Regierungsprogramm

Ein unfinanzierbarer Spagat

Auf 65 bis 125 Milliarden werden die Kosten der Umsetzung des „Regierungsvertrags“ von M5S und Lega geschätzt, während die Gegenfinanzierung ziemlich vage bleibt.
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Brieftasche
Foto: upi

Carlo Cottarelli, ex-Kommissar der spending review, kommt auf mindestens 108,7 Mrd. Mehrkosten, der Corriere della Sera schätzt sie auf mindestens 65 Milliarden. Am stärksten schlägt die Einführung der flat tax zu Buch, die vor allem die oberen Kategorien der IRPEF-Steuerpflichtigen entlasten wird (26 Mrd.). Die „Bürgereinkommen“ genannte Mindestsicherung für Arbeitslose und Armutsbetroffene erfordert mindestens 17 Mrd. Der Verzicht auf eine weitere IVA-Erhöhung, von der Berlusconi-Regierung schon 2011 beschlossen, kommt mit 12,5 Mrd. zu stehen. Die Gegenreform der Fornero-Pensionsreform wird den Staat mindestens 8 Mrd. kosten, der Verzicht auf die Akzise auf Erdölprodukte 6 Milliarden.

Zur Gegenfinanzierung dieser 65-108 Mrd. an Mehrkosten für den Staat bleibt der Vertrag vage. Wenn die geplanten Maßnahmen ein höheres Wirtschaftswachstum bewirken, könnte sie 40 Mrd. an Zusatzeinnahmen bei den Steuern generieren, hofft man. Doch das ist eher eine Hoffnung als seriöse Schätzung. Lega und M5S wollen Verschwendungen bei den Staatsausgaben, z.B. bei den Politikkosten, abbauen. Doch damit lassen sich keinesfalls 65 Mrd. aus dem Hut zaubern. Es läuft somit auf eine höhere Neuverschuldung hinaus, obwohl Lega und M5S zugesichert haben, dass sie die durch die Währungsunion gesetzte 3%-Grenze für die Neuverschuldung einhalten wollen.

Das Staatsdefizit in einer Phase des Aufschwungs zu erhöhen, ist leichtsinnig. Damit erhöht sich der Gesamtschuldenquote über die heutigen 130% des BIP weiter. Da Italien bei diesem Kurs wegen erhöhtem Risiko unweigerlich höhere Zinsen auf die Staatspapiere bieten muss, werden auch die Ausgaben für den Zinsendienst (2017: über 60 Mrd.) steigen. Wenn die quantitative Lockerung der EZB mit 2018 endet, wird es ohnehin finanziell enger für Italien. Mit höheren Schulden hat es Italien in Zukunft schwerer, bei echtem Bedarf in einer Rezession die Staatsausgaben hochzufahren. „Keynesiamismo straccione“ nennt man diese Linie in Italien. Mindestsicherung und Mindestrente müssten durch Steuern, wie z.B. aufs Finanzvermögen, gegenfinanziert, nicht durch unsinnige Steuererleichterungen unterminiert werden.

Natürlich ist dieses Programm eine Kampfansage an die EU und eine quasi-Verabschiedung vom Euro-Stabilitätspakt. Italien hat sich verpflichtet, seine Gesamtverschuldung zurückzufahren und nicht weiter zu erhöhen. So verlangt die EU, die Pensionskosten (heute 15% des BIP Italiens) weiter zu senken, nicht zu erhöhen. Die Rechnung für die höhere Staatsverschuldung bezahlen letztendlich auch die sozial Schwächeren: mehr Zinslasten bedeuten auch weniger Mittel für Gesundheitswesen, Bildungssysteme, Forschung, neue Regionenkompetenzen, Sozialdienste, wichtige Infrastrukturen. Eine Mindestsicherung für Armutsbetroffene muss ein europäischer Sozialstaat bieten, kein Zweifel. Auch eine Mindestrente, die es sogar in reicheren Euroländern nicht gibt, ist wichtig. Doch wird die flat tax genau jene Mittel aufbrauchen, die dafür benötigt werden. Dieses Regierungsprogramm ist widersprüchlich, zu teuer, zu riskant. Widersprüchlich, weil es die „moglie ubriaca e la botte piena“ will. Da werden die positiven Ansätze zwangsläufig auf der Strecke bleiben, weil sie zwischen Finanzmarktdruck und bestehenden Ausgabenverpflichtungen unfinanzierbar sind. Eigentlich seltsam, dass M5S und Lega diese einfachen Zusammenhänge übersehen.