„Wenn etwas passiert, ist es fatal“
Für Olaf Reinstadler ging am Sonntag Abend ein schwarzer Tag zu Ende. Zwei Mal rückte der Bergrettungsdienst Sulden gestern aus, zwei Mal waren drei Tote zu bergen. „Wenn man keine Chance mehr hat zu helfen, das ist das Schlimmste“, sagt der langjährige Bergrettungschef. Umso schlimmer war am Sonntag das Zusammentreffen von gleich zwei Unfällen an beinahe derselben Stelle unterhalb der 3851 Meter hohen Königsspitze. Bereits am Morgen war bei der sogenannten „Oberen Schulter“ auf einer Höhe von rund 3500 Metern eine Dreier-Seilschaft rund 500 Meter in die Tiefe gestürzt. Die drei Opfer stammen aus der Lombardei: der 22-jährige Matteo Miari, der 43-jährige Michele Callestranie aus Parma und um der 45-jährigen Daniele Andorno aus Novara. Sie waren Teil einer Bergsteigergruppe, die am frühen Morgen von der Pizzini-Schutzhütte aus zur Königsspitze aufgebrochen war.
Am frühen Nachmittag folgte dann der nächste Notruf, vom Hüttenwirt der Casatihütte. Von dort waren die beiden Brüder Matthias und Jan Holzmann aus Ridnaun – im Alter von 26 bzw. 29 Jahren – sowie der 31-jährige Margreider Wolfgang Genta in der Früh gestartet, um die Königsspitze auf der Normalroute zu besteigen. Als sie gegen 14 Uhr noch immer nicht von der Tour zurückgekehrt waren, rief der besorgte Wirt die Bergretter. Diese konnten die drei jungen Alpinisten schließlich in der Nähe der ersten Absturzstelle nur mehr tot bergen. Der Grund für die beiden Abstürze ist laut Olaf Reinstadler schwer zu eruieren, da es keine Augenzeugen gab. „Klar ist, dass es keine äußeren Auslöser wie Steinschlag oder Lawinen gab“, sagt er. Deshalb könne nur vermutet werden, dass je einer der Alpinisten ausgerutscht oder gestolpert ist und die anderen mitriss.
Gefährliche Seilschaften
Eine Wahrscheinlichkeit, die der Sterzinger Alpinist und Bergfrüher Hanspeter Eisendle angesichts der aktuellen Schneeverhältnisse ebenfalls für wahrscheinlich hält. „Die letzte Schneeschicht ist sehr nass und fast wässrig und rutscht deshalb sehr leicht“, sagt er. Für Eisendle gibt die Tragödie vom Sonntag aber auch Anlass, in manchen Fällen das Gehen in Seilschaften zu überdenken. Während die Technik am Gletscher tatsächlich erlaube, den Absturz eines Bergkameraden in eine Spalte zu verhindern, sei die Mitreißgefahr vor allem in steilen Flanken sehr groß. „Auch wenn es zu 90 Prozent so gemacht wird – dieses gleichzeitige Gehen am Seil ist sicherlich die gefährlichste aller alpinen Aktionen“, sagt er. Bergführer könnten ihre Kunden nur so sichern; Freunde wären jedoch in manchen Situationen besser beraten, wenn jeder für sich geht, so Eisendle.
Von Fehlern will der Sterzinger Alpinist aber in Zusammenhang mit den Tragödien an der Königsspitze keineswegs sprechen. Denn: „Wenn sie allein gegangen wären und einer abgestürzt wäre, hätten sich die anderen ein Leben lang Vorwürfe gemacht, dass sie nicht gemeinsam am Seil waren“, meint er. Letztendlich gäbe es am Berg keine festen Regeln, vielmehr seien Alpinisten gefordert, jede Minute neue Entscheidungen zu treffen. „Und das ist schwierig für uns Menschen, die gelernt haben, immer nach Regeln und Gesetzen vorzugehen.“
Ähnliches Unglück im Jahr 1997
Noch schwieriger ist es damit umzugehen, wenn Entscheidungen tödliche Folge haben – erst recht bei einer derart tragischen Opferbilanz wie am Sonntag. Laut Olaf Reinstadler ist es jedoch nicht das erste Mal, dass die Königsspitze so viele Tote auf einmal fordert. 1997 seien dort an einem Tag gleich sieben Personen ums Leben gekommen – eine Gruppe aus Reggio Emilia sowie ein Paar aus Deutschland mit ihrem Vinschger Bergführer. Ist der zweithöchste Berg des Landes also als besonders riskant einzustufen? Prinzipiell nicht, antwortet der Bergrettungschef. Doch wegen der pyramidenförmigen Gestalt und der steilen Flanken des Berges gäbe es dort im Fall eines Sturzes kaum Möglichkeiten des Haltes oder der Abfederung. „Das heißt, wenn etwas passiert, ist es meistens fatal“, sagt Reinstadler.
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