Environment | Verkehr

Überschreitung mit Folgen

Wie gesundheitsschädigend ist der Verkehr durch Südtirol? Zwei Studien des Landes kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen – und der Dachverband für Umweltschutz überlegt eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.
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Foto: salto

Als Beruhigungstablette wollte er es nicht verstanden wissen. Nichtsdestotrotz hatte Landesrat Richard Theiner am Dienstag gute Nachrichten für Anrainer von Südtirols Transitrouten. Entgegen der weit verbreiteten Meinung seien Menschen, die räumlich sehr nahe an einer viel befahrenen Straße wohnen, allein deswegen keinem höheren Gesundheitsrisiko ausgesetzt - so die Essenz einer Langzeitstudie der Abteilung Umweltmedizin des Sanitätsbetriebes, die der Landesrat der Presse präsentierte. Seit 2008 wurden dafür Messungen in 39 Südtiroler Gemeinden vorgenommen, 29 davon liegen längs einer der Hauptverkehrsadern auf der Brennerachse, der Schnellstraße MeBo, der Pustertaler und Vinschger Straße.

Im Vergleich mit Gemeinden jenseits dieser Verkehrswege habe sich gezeigt, dass das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, Tumor, Asthma oder Bluthochdruck in keinem klaren Zusammenhang mit der Nähe zu den Durchzugsstraßen stehe. Ein Anstieg der Krankenhauseinlieferungen sei nur in den Ballungszentren zu beobachten, wo es zu einer Häufung negativer Umwelteinflüsse komme. 

Aussagen, die der Dachverband für Natur- und Umweltschutz „mit Erstaunen“ zur Kenntnis nimmt, wie Vorsitzender Klauspeter Dissinger meint. Denn beim Vergleich zwischen urbaner Umweltbelastung und Verkehrsachsennähe werde einerseits nicht erwähnt, dass die Emissionen des Verkehrs einen signifikanten Anteil an der Umweltbelastung in Ballungsräumen habe. Dies zeige sich deutlich im Programm zur Reduzierung der Stickstoffdioxid-Belastung der Landesumweltagentur, aus dem klar hervorgehe, dass in Ballungsräume wie Bozen oder oder Brixen die Autobahn der Hauptverursacher der hohen Stickstoffbelastung sei.

Deutliche Überschreitung von EU-Grenzwerten

Andererseits belege die erst heuer vom Dachverband vorgestellte Studie des Amtes für Luft und Lärm, dass die Stickstoffdioxid-Belastung entlang der Brennerautobahn die von der EU vorgegebenen Grenzwerte von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter an manchen Stellen um fast das Doppelte überschreite. Insgesamt wurden nach einjähriger Messung an den vier Messtellen in Sterzing, Brixen, Bozen und Auer festgestellt, dass die EU-Grenzwerte auf einer Gesamtlänge von 116 Kilometern und einer Breite von 420 Metern entlang der Autobahn überschritten wurden. „Das heißt, dass in ganz Südtirol 40.000 Menschen, also acht Prozent der Bevölkerung von diesen Überschreitungen betroffen sind“, sagt Dissinger. Und die gesundheitsschädlichen Auswirkungen einer erhöhten NO2-Belastung würden von  Atemwegs- und Kreislauferkrankungen über ein erhöhtes Krebsrisiko bis zu psychischen Krankheiten reichen.

Nachdem eine Einhaltung der EU-Grenzwerte in diesem Bereich ab 2015 verpflichtend sei, sind laut dem Vorsitzenden des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz politische Maßnahme zur Einschränkung des Verkehrs überfällig – allen voran bei den zwei Millionen LKW, die Südtirol jährlich durchqueren und die laut Dissinger die größte Emissionsquelle der NO2-Belastung darstellen. „30 Prozent davon fahren  nur deshalb durch Südtirol, weil der kürzere Weg über die Schweiz teurer ist“, sagt Dissinger. Mit einer Anhebung der Gebühren, wie sie in Nordtirol bereits teilsweise gemacht wurde, könnte hier ein wichtiger Effekt für die Gesundheit der Bevölkerung erzielt werden.

Und was ist wenn auch bis zum kommenden Jahr keine Maßnahmen gesetzt werden, um die Einhaltung der EU-Grenzwerte zu gewährleisten? „Entweder greift ohnehin die EU ein“, anwortet Dissinger, „oder sonst ziehen wir als Dachverband in Betracht, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einzureichen.“