Society | Soziales

Wertvolle Beziehungen

Soziales und Kapital – zwei Begriffe, die keineswegs im Widerspruch zueinander stehen, sagt Angelika Hagen. Die Unternehmensberaterin coachte Südtiroler Gemeindevertreter am Mittwoch in der Eurac in Sachen Sozialkapital.
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Foto: Alperia

Frau Hagen, Sie führen - demnächst auch in einigen Südtiroler Gemeinden – Erhebungen zum Sozialkapital durch. Ein neuer Trend?
Angelika Hagen: Die Sozialkapitaltheorie hat eigentlich bereits in den achtziger Jahren in den USA ihren Anfang genommen. Damals publizierte der in Harvard tätige Politologe Robert Putnam eine vielbeachtete Studie, in der er untersuchte, welche systemischen Auswirkungen es hat, wenn das soziale Kapital weniger wird und sich Menschen aus dem zivilgesellschaftlichen Leben zurückziehen. Bis dahin hatte man das Netz sozialer Beziehungen und die Fähigkeit des positiven Miteinanders, der Kooperation und des Vertrauens als etwas Selbstverständliches genommen. Doch als diese Selbstverständlichkeit in Folge des Wertewandels und der rasanten Beschleunigung der Lebensprozesse drohte verloren zu gehen, erkannte man plötzlich den Wert von Sozialkapital.

Und welchen Wert hat Sozialkapital?
Man sieht beispielsweise, dass Leute mit gutem Sozialkapital viel gesünder sind oder dass es zu mehr Produktivität und Innovation führt. Insofern trifft sich das Soziale wieder mit dem Finanzkapitalbegriff. Als klar wurde, welch dramatische ökonomische Auswirkungen es hat, wenn Sozialkapital verschwindet, sind auch Organisationen wie die Weltbank oder die OECD auf die Welle aufgesprungen; letztere beispielsweise mit dem Programm „Measuring Social Capital“. Aktuell kommt aber auch aus anderen  Wissenschaftsbereichen wie  der Gehirnforschung oder der Neurobiologie sehr viel Bestätigung für die Sozialkapitaltheorie. Dort kann mittels bildgebender Verfahren gemessen werden, was passiert, wenn Menschen miteinander kooperieren, sich was Gutes tun oder miteinander musizieren oder tanzen. Da kommt es dann zur Ausschüttung von Glücksbotenstoffen und die stärken das Immunsystem enorm und machen einfach glücklich.

 

Sie haben mittlerweile einen Datenpool aus über 18.000 Befragungen. Wie genau misst man das Sozialkapital eines Menschen oder einer Gemeinde?
Im wesentlichen werden dabei drei Ebenen angeschaut: die Mikrobene, also die engsten Beziehungen und die Familie, dann der Kreis aus Bekannten und Netzwerken sowie schließlich die Makroebene, das größere Ganze, zu dem ich mich zugehörig fühle. Darüber hinaus untersuchen wir auch Phänomene, die in der Fachsprache Bonding und Bridging heißen: Ist ein Mensch oder eine Gemeinschaft eher nur mit Gleichgesinnten zusammen oder werden auch Brücken zu anderen Menschen gebaut, kümmert man sich aktiv um Menschen, die neu hinzukommen? All diese einzelnen Ebenen werden in Fragebogen abgefragt werden, und dann auch mit Fragen zu Gesundheit und anderen Daten ergänzt.

Können Sie aus ihren bisherigen Ebenen allgemeine Trends herauslesen?
Sehr vorsichtig, ja. In Österreich ist das Sozialkapital in einem Bundesland wie Vorarlberg beispielsweise deutlich besser als im Osten, weil es dort noch eine viel stärkere Vereinsstruktur gibt. Allgemein gibt es sicherlich einen Trend zur Betonung der Mikroebene, also die Menschen ziehen sich in die eigene Familie zurück, machen angesichts der allgemeinen Überforderung nach außen zu. Was noch sehr auffällig ist, ist, dass auf der Makroebene Themen wie Religion oder Politik fast komplett wegfallen – also Bereiche, über die Menschen traditionell auch unabhängig von sonstigen sozialen Beziehungen Sinn gefunden oder sich als Teil eines größeren Ganzen gefühlt haben. Dies wird zwar teilweise durch Inhalte wie Natur oder Musik ersetzt – doch gleichzeitig bleibt auf dieser Ebene auf ein großes Vakuum.

Angelika Hagen ist systemische Sozialkapital-Forscherin und mit der wissenschaftlichen Leitung der Bürgerbefragung beauftragt, die von der Stiftung Vital im November in den Gemeinden Abtei, Brenner, Kurtatsch, St. Martin im Passier, Prettau und Ulten durchgeführt wird.