Society | CasaPound

„Gewalt ist für die Wähler eine Nebenwirkung“

Samstagnachmittag protestierten Antifaschisten in Bozen gegen die jüngste Gewalttat von CasaPound. Der Zulauf zu den Rechtsradikalen hält indessen ungebrochen an.

„Jetzt zeigen sie ihr wahres Gesicht“, sagt der Oberschullehrer Giorgio Mezzalira über CasaPound: „Vor einigen Monaten standen sie noch in den Schlagzeilen, weil sie Straßen säuberten und Spritzen in den Stadtparks aufsammelten. Inzwischen gibt es ganz andere Anlässe, über sie zu sprechen.“ Damit bezieht sich Mezzalira auf den Vorfall aus der Nacht vom letzten Freitag auf Samstag (16. Juli), als zwei CasaPound-Mitglieder den 19-jährigen Davide Gallo blutig geprügelt haben sollen, weil dieser vor dem Sitz der CasaPound das partisanische Kampflied „Bella Ciao“ gesungen hat. Auf einem Handy-Video soll einer der beiden Angreifer deutlich zu erkennen sein: Davide Brancaglion, der für die Gemeinde Bozen im Stadtviertelrat von „Don Bosco“ sitzt. Und das ist kein Einzelfall. Erst im Januar war Brancaglion beim Angriff auf einen 17-Jährigen involviert, vermutlich, weil er auf seinem Handy „Bella Ciao“ als Klingelton spielte. Das Opfer musste daraufhin mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Wie ein paar hundert andere, nahm Mezzalira am antifaschistischen Protestzug teil, der am späten Samstagnachmittag durch Bozen zog. Der Sinn der Kundgebung ist es vor allem, ein klares Zeichen zu setzen. „Bolzano è antifascista“, skandierten die Demonstranten in lauten Chören. Vor allem hier, unter überzeugten Antifaschisten, wird aber auch versucht zu verstehen, warum so viele Menschen ihre Stimme an CasaPound abgeben. Bei den Gemeindewahlen im Mai erreichten die „Faschisten des Dritten Jahrtausend“ beinahe 7 Prozent der Stimmen. Für sie bedeutete das, durch drei Mitglieder im Gemeinderat vertreten zu sein. Also dreimal so viele wie ein  Jahr zuvor, als nur Andrea Bonazza in den Gemeinderat gewählt wurde – was damals bereits italienweit für Aufsehen sorgte.

Für den Historiker Hans Heiss, der an diesem Samstagnachmittag auch auf die Straße ging, liegt die Wurzel des Erfolgs von CasaPound in ihrem konkreten Engagement vor Ort: „Ihre Mitglieder zeigen Präsenz, sie geben sich nicht repräsentativ, sondern als Bürger, die wie ihre Wähler in ihrem Viertel konkret etwas verbessern wollen. Das weckt ein starkes Gemeinschaftsgefühl und zieht die Wähler an.“ So kam es dazu, dass die Leute von CasaPound bei einem großen Teil der Bevölkerung ein reingewaschenes Image gewannen und sogar von der Staatspolizei schon als „bravi ragazzi“ bezeichnet wurden. Ob das auch die Erfolgsstrategie für andere Parteien sein könnte? „Sicher“, meint Heiss. „Direkte Präsenz unter den Bürgern ist immer gut“. Allerdings diene jene Präsenz, die CasaPound mit Aktionen wie dem Aufsammeln von Spritzen in Parks zeigt, eher dazu, einfach nur ein bisschen gute Werbung zu machen. Wie auch der Demonstrant Mezzalira bemerkte: Das wahre Gesicht der Partei zeige sich erst in der Nacht, wenn die Menschen nicht zusehen, in Übergriffen, wie letzte Woche gegen Davide Gallo.

Heiss ist überzeugt, dass die Gewalt nicht nur ein vereinzeltes Phänomen war, sondern fester Bestandteil der Gesinnung der „bravi ragazzi“. Das scheint ihre Wähler aber wenig zu stören. Liegt es nur daran, dass sie diesen Aspekt gar nicht wahrnehmen, oder daran, dass sie ihn sogar verherrlichen? Die meisten würden einfach großzügig darüber hinwegsehen, meint Heiss: „Die Gewalt ist nur eine Nebenwirkung. Sie wird für mehr Ordnung und Sicherheit in Kauf genommen“. Das sei eine weitverbreitete Haltung, sagt Heiss und verweist auf die aktuellen Geschehnisse in der Türkei.

Der Blick auf das Globale ist auch bei Lucio Ferrari, Mitglied der ANPI aus Carpi, zu finden. Der Zulauf zu den Rechtsextremen ist seiner Meinung nach zum Teil auch auf ein Versagen der Linken zurückzuführen: „Weltweit waren linke Parteien nicht in der Lage, Antworten auf die wirtschaftlichen und sozialen Krisen zu geben.“ Dabei hätten wachsende soziale Ungleichheit und steigende Arbeitslosigkeit gerade linken Parteien, die mehr Gerechtigkeit und Absicherung fordern, in die Hände spielen sollen. Front National, AfD und CasaPound waren aber besser darin, den wachsenden Unmut der Bevölkerung in Wählerstimmen zu verwandeln. „Wahrscheinlich ist auch die innere Uneinigkeit, ein alter Mangel der linken Parteien, eine Ursache für ihr Scheitern“, so Ferrari.

Zumindest die antifaschistischen Demonstranten schienen an diesem Tag aber alles andere als uneinig. Geschlossen zogen sie vom Bahnhofspark über die Talferbrücke in Richtung Hadrianplatz. In der Nähe des CasaPound-Sitzes, der von der Polizei hermetisch abgeriegelt wurde, gab es dann noch einige „Bella Ciao“-Ständchen.