Society | Integration

"Zusammenleben ist nichts Besonderes"

Leon Pergjoka aus Bruneck gewährt Einblicke in die Arbeit des Integrationsbeirates: Was er bewegt und bewegen möchte.
Leon Pergjoka BIM
Foto: @salto.bz

Vor 20 Jahren kam er als Kind nach Südtirol. Mit 30 bekleidet Leon Pergjoka nun das Amt des Präsidenten des Beirats für Integration und Migration (BIM) der Stadtgemeinde Bruneck. Vor Kurzem wurde er von der Landesregierung in den Landesbeirat für Integration berufen. Pergjoka ist von Beruf Lehrer und engagierte sich schon früh für ein friedliches Miteinander verschiedener Kulturen. 

salto.bz: Herr Pergjoka, Sie kommen aus dem Kosovo, sind mit 10 Jahren nach Südtirol geflohen…

Leon Pergjoka: Der Krieg hatte gerade begonnen, als wir losgezogen sind, meine Geschwister, meine Mutter und ich. Mein Vater war schon hier. Das war auch mein Glück, dass ich auf legalem Weg gekommen bin. Also war es keine Flucht im eigentlichen Sinne, aber eine der letzten Möglichkeiten, das Land zu verlassen. Ich bin hier in die vierte Klasse eingestiegen und habe bis auf das Studium in Trient und Bologna meinen Bildungsweg in Südtirol durchlaufen.

Integration betrifft jeden Menschen. Integration heißt, miteinander leben können, miteinander auskommen.

Wie schätzen Sie die Situation für Menschen auf der Flucht in Südtirol heute ein, verglichen auch mit Ihrer damaligen Situation? 

Ich hatte gewissermaßen Glück im Unglück. Zu meiner Zeit gab es viel weniger Vorurteile. Die Leute waren offener – nein, viel eher beobachtend. Wir sind in ein ziemlich kleines Dorf im Ahrntal gekommen, zuerst wurde geschaut, was jemand tut, was da passiert. So habe ich es erlebt. Man hat sich schrittweise angenähert. Heute finde ich es schrecklich, mit welchen Vorurteilen Fremden begegnet wird – Fremden, die hierherkommen mit der Ansicht, hier seien das Leben und die Menschen besser, hier achte man Menschenrechte. Ich kann mir vorstellen, dass es schockierend ist, wenn Menschen hier ankommen und auf emotionaler und menschlicher Ebene eine Blockade erleben. Ich sehe das oft bei meiner Arbeit in der Schule, mit neuen Schülern. Ich habe zwar weniger mit Flüchtlingen zu tun, aber man erlebt oft eine totale Abschottung, auf beiden Seiten. Es fällt mir schwer damit umzugehen, weil ich das selbst erlebt habe. Ich kenne den Schmerz.

Für Sie hat die Arbeit im Beirat für Integration und Migration der Stadtgemeinde Bruneck (BIM) vor fünf Jahren begonnen…

In Sachen Integration bin ich eigentlich schon mein halbes Leben tätig, da bereits meine Eltern früh in diesem Bereich aktiv waren. Die Arbeit für ein friedliches Zusammenleben habe ich von daheim mitbekommen. Vor einigen Jahren wurde ich eingeladen, mich beim Integrationsbeirat in Bruneck zu beteiligen. Und irgendwann hat es dann geheißen, ich solle Präsident werden. Ich habe mir gedacht: Warum nicht?

Wie schaut die Arbeit im Integrationsbeirat konkret aus?

Wir sind ein beratendes Gremium, die Entscheidungen trifft am Ende die Politik. Im Integrationsbeirat sind viele Bereiche vertreten: Wirtschaft, Bildung, Arbeit. Es gibt Diskussionen, Fragen und Themen werden aufgeworfen. Es ist aber schwierig, etwas konkret zu fassen. Wir machen die Tätigkeit schließlich freiwillig und sind auch sonst noch engagiert. Momentan bin ich es noch, der ein bisschen mehr Freiraum hat. Deshalb gibt es viel Arbeit für mich. Aber von Seiten der Gemeinde gibt es viel Unterstützung, vor allem für bürokratische Angelegenheiten. Momentan konzentrieren wir uns eher auf Veranstaltungen, die wir mitorganisieren.

Es ist oft schwer für mich, mich mit dem Flüchtlingsthema auseinanderzusetzen, weil es mich sehr berührt. Wenn man das selbst erlebt hat, kann man nicht ruhig bleiben. 

Waren Ihre bisherigen persönlichen Erfahrungen ein Anstoß für Ihr politisches Engagement in einem beratenden Organ der Gemeinde?

Durch mein Studium, meine Tätigkeiten, Seminare und Fortbildungen habe ich im Bereich Integration Erfahrung gesammelt. Jeder trägt Verantwortung für die Gesellschaft und dafür, etwas beizutragen, wenn er kann. Ich mache es vor allem für den Ort, für die Stadt, für das Land, wo ich lebe, vor allem aber auch für die neue Generation, für die Jugend. Aber für alle, Migranten und Einheimische. Momentan insbesondere in Bruneck. Ich könnte ja auch einfach sagen, mir ist es gut ergangen, ich habe keine Probleme, einen Beruf und könnte mich nicht beklagen. Ich bin „durchgekommen“. Bei der Generation 2.0 geht es oft genau in diese Richtung. Aber ich bin ja noch Generation 1.5 (lacht).

Findet man als Integrationsbeirat Gehör bei den politischen Entscheidungsträgern?

Für das, was wir als Beirat gemacht haben, ist die Resonanz sehr positiv, sei es vom Bürgermeister, der Gemeindeassessorin oder vom Gemeinderat generell. Andererseits werden wir als beratendes Gremium, als das, was wir eigentlich sind, sehr wenig in Anspruch genommen. Am ehesten noch von unserer politischen Vertretung, die den Beirat ins Leben gerufen hat, Assessorin Ursula Steinkasserer Goldwurm. Von ihrer Seite kommen öfters Fragen, mit ihr wird oft lange diskutiert. Und um das geht es ja auch. Was ich aber merke, ist, dass sich die Sprache der Politiker geändert hat, wenn man beispielsweise über neue Mitbürger redet. Eine gewisse Wirkung hat man also doch, hier in Bruneck. Auch wenn diese gering ist. Gerade auch Veranstaltungen sind also wichtig, um die Leute zum Nachdenken anzuregen. Man verändert zwar nicht die Welt, aber es macht etwas erkennbar, bringt Menschen zusammen.

Eine Sprache zu lernen, genügt nicht. Für Integration braucht es kulturelle Mediation. 

Was bedeutet für Sie Integration?

Integration ist ein Lebensprozess, eine Wechselwirkung zwischen Menschen, ein Sozialisierungsprozess. Ich sehe das nicht in erster Linie in einem migrantischen Kontext. Integration betrifft jeden Menschen. Integration heißt, miteinander leben können, miteinander auskommen. Der Integrationsdiskurs auf MigrantInnen bezogen ist sehr komplex. Dazu halte ich ganze Seminare.

Sie sind vor kurzem auch in den Landesbeirat für Integration bestellt worden. Wie ist es dazu gekommen?

Es ist wieder auf mich zugekommen (lacht.) Die Anfrage von Landesrat Achammer kam ganz offiziell. Ich war hin- und hergerissen, wurde dann von vielen darauf angesprochen und habe mich schlussendlich auch beworben. Dass ich jetzt wirklich ernannt wurde, habe ich erst seit dem ersten Gespräch mit Ihnen erfahren.

Wofür wollen Sie sich einsetzen?

Ich möchte etwas für die Jugend und die Schulen bewegen, inbesondere für Kinder und Jugendliche, die neu nach Südtirol kommen. Ich erlebe viel zu oft, dass junge Menschen sich völlig verschließen, aufgrund von Enttäuschungen, Verletzungen und negativen Erfahrungen. Das beobachte ich sowohl bei MigrantInnen als auch bei Einheimischen. Auch wenn das Problem noch nicht so akut ist wie anderswo. Wir müssen Integration aktiv voranbringen und die Grundvoraussetzungen sicherstellen, auch wenn sie institutionell nicht völlig kontrolliert werden kann.

Jeder trägt Verantwortung für die Gesellschaft und dafür, etwas beizutragen, wenn er kann.

Wo sehen Sie Schwierigkeiten?

Das große Problem ist das mentale Chaos, das ein Mensch mit Migrationshintergrund erlebt. Viele wissen nicht, woher sie kommen und wer sie eigentlich sind. Das macht es schwierig, eine Identität zu stiften. Man wird als jemand, der in Südtirol geboren ist, plötzlich mit der Realität konfrontiert, dass man anders, ein Fremdkörper ist. Umso schwieriger ist dann auch die Arbeit mit den Eltern. Viele Einwanderer sind in erster Linie damit beschäftigt, ihre Grundbedürfnisse zu decken. Das macht es schwierig, sie aktiv in den Integrationsprozess einzubeziehen.

Ansetzen möchte ich beim Kennenlernen der eigenen Kultur, Sprache und Geschichte. Ein Beispiel wäre die Autonomie, für die in Südtirol lange gekämpft wurde. Für wen oder was man aber gekämpft hat wird unwichtig, wenn man das Gefühl kennt, für eine Sache gekämpft zu haben. Am Ende trifft man sich in den menschlichen Grundwerten.

Der BIM wird am Stadtfest in Bruneck mit einem eigenen Programm vertreten sein. Was sind Ihre Intentionen?

Vor zwei Jahren waren wir schon beim Stadtfest dabei. Heuer ist unser Programm größer. Wir sind besser organisiert, mit sehr vielen involvierten Personen, arbeiten eng mit dem Verein „Diverkstatt“ zusammen. Es wird einige Musik-Acts geben, z.B. aus Süd- und Nordafrika oder als Highlight am Sonntag den Auftritt von Elina Duni, einer bekannten Jazz-Sängerin aus Albanien und der Schweiz, die mit ihrem preisgekrönten Album „Partir“ in neun verschiedenen Sprachen auftreten wird. Sie ist also in gewisser Weise die Synthese unseres Projekts. Das Essen wird übrigens marokkanisch sein. 

 

Bei uns kommen alle zusammen, Italiener, Deutsche, Ladiner sowie neue Mitbürger. Wir wollen symbolisch das Zusammenleben zwischen den verschiedenen Kulturen und auch Sprachgruppen feiern. Es ist nur eine Momentaufnahme, aber es bringt zum Nachdenken. Das Projekt soll in gewisser Weise signalisieren, dass Zusammenkommen und Zusammenleben nichts Besonderes, sondern etwas Normales sind.