Was wollen wir Südtiroler sein?
Wenn ich am Morgen auf dem Balkon unserer Unterkunft stehe und in die Landschaft blicke, deutet kaum etwas auf die Besonderheit dieses Ortes hin. Eine Stunde später aber sitze ich in einem Seminar über künstliche Intelligenz und Ethik. Ich diskutiere mit jungen Menschen aus Äthiopien, Ägypten, Deutschland, Frankreich… In der Pause dichte ich mit LiteraturstudentInnen aus London, und am Abend: Techno-Party. Wie ich diesen Beitrag schreibe, sitze ich zwar auf einer Terrasse, die sich auch in meinem Garten befinden könnte. Neben mir aber unterhalten sich gerade zwei junge Frauen aus Schweden und Brasilien über das Konzept der Ehe und dessen Zukunft.
Und ich beginne zu erahnen, was diesen Ort so besonders macht.
Eigentlich wollte ich aber über etwas anderes berichten: Am Nachmittag besuche ich ein Linguistik Seminar. Unter anderem berichtet ein Experte aus Australien über Konfliktbewältigung zwischen Sprachgruppen, über Bürgerkrieg und über die gezielte Ermordung von Lehrkräften. Nicht zum ersten Mal bewundere ich die Errungenschaften in Südtirol. Gleichzeitig erhoffe ich mir hier aber auch eine Antwort auf die Frage zu finden, die mir bereits öfters und auch in Alpbach gestellt worden ist: Fühlst du dich als Südtiroler eher als Österreicher oder als Italiener?
Kompatscher gegen Melting Pot
Am Vortag noch sprach sich der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher in einer Fragerunde im kleinen Rahmen mit den StipendiatInnen gegen einen Melting Pot und gleichzeitig für das Bewahren unserer kulturellen Wurzeln in Südtirol aus. Schon im Gespräch fragte ich mich, ob das wirklich ein Widerspruch sein muss.
Im Seminar nun diskutieren wir die Fähigkeit der Sprache, Grenzen zu schaffen, aber auch zu überwinden. Wir diskutieren das Verständnis von Identität und Kultur. Außerdem besprechen wir, wie ein zwei- bis dreisprachiges Bildungsprogramm in einer Region mit verschiedenen Sprachgruppen idealerweise aussehen könnte und was die Ursache für viele Konflikte zwischen Sprachgruppen ist: Fehlender Kontakt und Austausch.
Freundlicherweise hat sich der Professor nach dem Seminar spontan dazu bereiterklärt, mit einer kleinen Gruppe aus SüdtirolerInnen und TrentinerInnen weiter zu diskutieren. Im Gespräch entwickelt sich eine starke Idee: Die einer flexiblen und vielseitigen Identität. Zum einen sind Sprache und Kultur nicht fix, sondern verändern sich pausenlos und unaufhaltsam. Zum anderen sind wir gar nicht gezwungen, unsere alte Identität und Kultur aufzugeben, wenn wir eine neue erwerben. Unsere Persönlichkeit wird lediglich vielseitiger, um eine Facette bereichert.
Spezialsession für die SüdtirolerInnen und TrentinerInnen
Um dies zu ermöglichen, braucht es Kontakt und Austausch. Was das Zusammenleben der Sprachgruppen in Südtirol betrifft, glaube ich, dass wir diesbezüglich noch vieles verbessern können. Konkret bin ich davon überzeugt, dass es deutlich mehr Durchmischung, und deutlich weniger Unterschiede oder Staatsangehörigkeiten braucht.
Nach mehr als eineinhalb Stunden Diskussion verabschieden wir uns schließlich. Wenn ich nach einer Woche im europäischen Forum Alpbach nun etwas gelernt habe, dann, dass ich mich als Südtiroler nun nicht mehr entscheiden will, ob ich mich eher als Italiener oder als Österreicher fühle. Sondern dass ich vieles bin: Durch die deutsche Kultur geprägt, durch die italienische bereichert, und vor allem neugierig.
Dieser Beitrag gefällt mir
Dieser Beitrag gefällt mir Maximilian Gasser! Er macht auch Mut und vielleicht optimistisch, obwohl ich bezüglich dieses Themas aus meiner Erfahrung her eher pessimistisch bin. Aber eure Generation muss einen Neustart versuchen!
Als ich 1977 nach Bozen kam und meine ersten Bekanntschaften gerade in der wachsenden und energievollen Neuen-Linken-Szene gemacht habe, gab es diesbezüglich Aufbruchsstimmung. Deutsche und Italiener agierten gemeinsam. Italiener sprachen auch von sich aus deutsch. Dieser Trend wurde von Alex Langer und seiner Bewegung gefördert und gestärkt. Die Devise war, jeder spricht seine Sprache und der andere versteht sie. Bei öffentlichen Diskussionen oder bei den Gewerkschaftsversammlungen funktionierte das aber mehr schlecht als recht. Also gab es z.T. auch gedolmetschte Konferenzen. Die Bereitschaft zu dieser sogenannten passiven Zweisprachigkeit war bei den Italienern schon immer geringer als bei den Deutschen. In den 80-er Jahren ist die Stimmung dann aber ins Negative gekippt: es gab erneut Terroranschläge und es zeigten sich die negativen Auswirkungen der Proporzbestimmungen auf die jungen, meist besser ausgebildeten Italiener, die plötzlich in ihren traditionellen Berufsbereichen (z. B. Bahn, Öffentlicher Dienst, Einbruch bei der Schwerindustrie) sich ihrer beruflichen Zukunft beraubt sahen. Die Folgen waren, Erstarken des MSI bzw. der italienischen Rechten einerseits und sinkende Bereitschaft, mit der Deutsche Bevölkerung ein Zusammenleben zu suchen und eben auch geringere Bereitschaft, Deutsch zu lernen und zu reden. Plötzlich sprachen Italiener mit guten Deutschkenntnissen nicht mehr deutsch, ich wurde im mehrheitlich italienischen Kondominium im Stiegenhaus nicht mehr gegrüßt, usw.
Ihr jungen Deutschen, Italiener, usw. kennt diese Zeit nicht mehr und seid nicht betroffen. Ihr müsst unvoreingenommen einen neuen Versuch starten!
Eine erfrischend
Eine erfrischend unvoreingenommene Sichtweise. So was entwickelt sich, wenn das Thema Identität ohne Angstneurosen angegangen wird. Manche werden sich am Begriff "Durchmischung" stoßen, der ja politisch und historisch belastet ist. Da war zum einen die Programmatik der Trennung der Sprachgruppen, die von Landesrat Zelger propagiert wurde, zum anderen die Bestrebung der Anerkennung einer "gemischten" Sprachgruppe. Neuerdings wird die Durchmischung der Sprachen und der Kulturen (auch mit Bezug auf das Migrationsthema) wieder als Menetekel eines drohenden Identitätsverlustes an die Wand gemalt. Die Möglichkeit, vielfältige kulturelle und sprachliche Identitäten kennenzulernen bzw. inmitten einer solchen Vielfalt aufzuwachsen ist eine Chance der Erweiterung des eigenen Horizonts. Vorsicht bei der Verwendung des Begriffs "Durchmischung" ist m. E. angebracht. Ich kann nur zustimmen, dass es Neugierde, Information, mehr Kommunikation und Austauschmöglichkeiten braucht. Es geht darum, entsprechende Angebote zu schaffen, aber auch die Bereitschaft zu wecken, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Kultur muss hier eine Politik der offene Türen fördern.
doch, mich stört der Melting
doch, mich stört der Melting Pot, ein Schmelztiegel täte es auch.
Sowas habe ich mir auch
Sowas habe ich mir auch gedacht: Wenn die Frage der Identität kollektiv gestellt wird, ist das Unheil schon vorprogrammiert.
Falsche Fragestellung:
Falsche Fragestellung:
richtige Fragestellung wäre "was will Herr Gasser sein"
Es wirkt sehr anmaßend, diese Frage für die Südtiroler im allgemeinen beantworten zu wollen.
" Zum einen sind Sprache und
" Zum einen sind Sprache und Kultur nicht fix, sondern verändern sich pausenlos und unaufhaltsam. Zum anderen sind wir gar nicht gezwungen, unsere alte Identität und Kultur aufzugeben, wenn wir eine neue erwerben. Unsere Persönlichkeit wird lediglich vielseitiger, um eine Facette bereichert." In diesen Sätzen wird eine Südtiroler Besonderheit deutlich. Ich will das im Bereich der Volksmusik aufzeigen - das mag zwar wenige interessieren - ist aber ein Extrem-Beispiel. Hört man z. B. in Rai-Südtirol Alpenländische Volksmusik, dann hört das Alpenland westlich am Arlberg und südlich in Salurn auf. Und es wird auch nur museale Volksmusik gebracht. Alles Neue und Experimentelle ist nicht mehr würdig, Volksmusik genannt zu werden und wird auch nicht gefördert. Das wird in Österreich und in Bayern ganz anders gehandhabt und gelebt. Z. B. im Bayrischen Rundfunk hört man auch noch Volksmusik aus dem Alemannischen Kulturbereich (Deutschschweiz, Vorarlberg, Allgäu, usw.) und experimentelle, schräge und auch spontane, zeitgemäße, lustige Lieder und Gstanzeln gehören zur Selbstverständlichkeit. In Südtirol glaubt man aber etwas zu verlieren, wenn man etwas Lebendiges, Spontanes, Experimentelles hinzu nimmt!
In reply to " Zum einen sind Sprache und by Sepp.Bacher
Bei Rai Südtirol sind viele,
Bei Rai Südtirol sind viele, viel zu viele Mitarbeiter. Trotzdem ist niemand fürs abstauben zuständig.
Do sig ma nix vor lautr Weppehottln.