Politics | Porträt

Der Italo-Populist

Innenminister Matteo Salvini ist der beliebteste Politiker Italiens und der vielleicht meistgefürchtete Europas. Jetzt will er die ganze Macht.
Salvini, Matteo
Foto: ilmeridio
Matteo Salvini weiß, wann er Extremisten, Rassisten oder Faschisten vor sich hat. Und als er zum Abschluss seiner Kampagne für die EU-Wahlen im vergangenen Mai die Anführer von elf „Schwesterparteien im Geiste“ zum rechten Hochamt vor den Mailänder Dom geladen hat, ist er sich ganz sicher, weit und breit keine zu erblicken. „STOP den Bürokraten, den Bankern, den Gutmenschen, den Flüchtlingsbooten!“, verkünden die riesigen Bühnenplakate, vor denen der Chef der Lega ans Mikrofon tritt und ruft: „Auf diesem Platz gibt es keine Extremisten, keine Rassisten, keine Faschisten! Wenn es in Italien und Europa einen Unterschied gibt, dann zwischen denen, die nach vorn schauen und an einem Zukunftstraum bauen, und jenen, die einen Krieg gegen die Geister der Vergangenheit führen. Hier ist nicht die Ultrarechte versammelt, sondern die Politik des gesunden Menschenverstandes. Die Extremisten sind die, die Europa 20 Jahre lang im Namen der Prekarität und der Armut regiert haben. Wir erleben einen historischen Augenblick, denn wir werden unser Land und Europa von der in Brüssel organisierten, illegitimen Besatzung befreien!“ 
 
 

Anarcho-Linker, Kommunist, radikaler Rechter

 
Dabei hat der 1973 als Sohn eines Mailänder Unternehmensleiters und einer Hausfrau geborene Matteo Salvini seine Politisierung im berühmt-berüchtigten linken Centro Sociale Leoncavallo erfahren. Ein außerhalb Italiens wenig bekanntes Faktum: Salvini war 1996/97 auch Gründer und Anführer des Movimento Comunista Federalista Padano, mit Hammer und Sichel im Logo. Bis heute verteidigt er seine damalige Bewegung. Es sei darum gegangen, alle sozialen Schichten des „padanischen Volkes“ zu vereinen, eben auch die Arbeiter und Unterprivilegierten. In ihren jungen Jahren waren etliche Größen der Lega Nord (so der alte Name der Partei) in der Linken aktiv. 
 

Von der Lega Nord zur Lega Salvini

 
Die Forderung der Lega nach mehr Unabhängigkeit von Rom oder gar vollständiger Loslösung war durch radikalen Anti-Südländer-Rassismus geprägt. Der Reichtum des Nordens sei Ergebnis der soziokulturellen Überlegenheit der dort lebenden Menschen, ihres Fleißes, ihrer Effizienz, ihrer Denk- und Lebensart. Das Wort Rasse vermied man, nicht jedoch den landläufigen Schimpfnamen für die Süditaliener: terroni (die, die Erde bearbeiten). 
 
 
Die terroni seien eben arbeitsscheu, verschlagen, bestechlich. Bürokratie, Korruption, mangelnder Ordnungssinn, Kriminalität und Mafia, wirtschaftliche Rückständigkeit, Arbeitslosigkeit und Armut? Eine Folge der Wesensart. Im Internet sind Videos abrufbar, die Salvini mit Gesinnungsgenossen zeigen, Bierkrüge schwenkend und Schmählieder singend: „Riecht nur, wie es stinkt, wie es stinkt – Achtung, da kommen die Neapolitaner ...“ Und weiter: „Napoli merda, Napoli cholera, sei la vergogna dell’Italia intera.“ („Neapel Scheiße, Neapel Cholera, du bist die Schande ganz Italiens“) Dazu kommen Salvinis Attacken gegen Minderheiten wie diese nach der Räumung einer Roma-Siedlung: „Ja, die Ratten sind leichter loszuwerden als die Zigeuner.“ 
Nach einem kolossalen Skandal um Veruntreuung staatlicher Parteiförderungsmillionen erlitt die Lega bei den Parlamentswahlen 2013 eine schwere Schlappe, ihr Stimmenanteil wurde von 8,3 auf 4,3 Prozent halbiert. Salvini wurde zum neuen Parteichef gewählt und verordnete der Lega eine radikale Wende: „Unsere Priorität auf internationaler Ebene ist es, den Euro zum Bröckeln zu bringen und Europa neu zu gründen. Deshalb sagen wir Ja zu Bündnissen mit den Einzigen, die keine Euro-Idioten sind: mit den Franzosen der Le Pen, den Holländern Wilders’, den Österreichern Mölzers, mit den Finnen, also mit den Kräften eines Europas der Vaterländer.“ 
 
 
Die Slogans gegen die süditalienischen terroni wurden durch jene gegen die negri, die Migranten und gegen die muslimischen „Terroristen“ ersetzt. George Soros, Davos und die Bilderberger seien „die Feinde der Vaterländer“, die Finanzmächte und die Bankiers die Strippenzieher einer EU, die zum Gulag für die Völker Europas geworden sei. Das Prima il Nord wurde zum Prima gli italiani – die Italiener zuerst. 
 

Der digitale Propagandafeldzug

 
Der von Salvini engagierte „Digital-Philosoph und Social-Megaphon“ Luca Morisi schuf eine schlagkräftige Internet-Propaganda-Truppe. Den mittlerweile mehr als 3,7 Millionen Followern auf Facebook, 1,7 Millionen auf Instagram und 1,1 Millionen auf Twitter werden nicht nur rund um die Uhr politische Botschaften und Instant-Statements zu aktuellen Ereignissen serviert, sie bekommen Salvini zum Anfassen, in jeder Situation und Lage und mehrmals täglich interaktiv im Livestream: das Nutella-Brot zum Frühstück, die spöttischen Kusshände für die professoroni, intellettualoni und buonisti (Gutmenschen), die durch ihre Verteidigung der „Meeres-Taxi“ der NGO-Seenotretter in Wirklichkeit den „Bevölkerungsaustausch“ befeuerten. 
Er, der „Capitano“, habe hingegen durch Sperrung der Häfen die Migranten-Invasion gestoppt, gegen die illegalen Roma-Siedlungen die Bagger geschickt, den Gebrauch von Schusswaffen zur Selbstverteidigung gegen Einbrecher gesetzlich erleichtert und biete Brüssel die Stirn. Auf die Maastricht-Regeln pfeife er, wenn es um Investitionen und Arbeitsplätze für die Italiener geht.
Die propagandistische Dauermobilisierung fiel selbst im Süden des Landes auf fruchtbaren Boden: Von 4,3 Prozent im Jahr 2013 auf 17,4 bei den Parlamentswahlen 2018 und mehr als 34,3 Prozent bei den EU-Wahlen im Mai 2019 hat die Lega in sechs Jahren ihren Stimmenanteil verachtfacht und ist zur stärksten Partei geworden. Die Fünf-Sterne-Bewegung wurde in der kurzen Regierungszeit hingegen halbiert, fiel auf 17 Prozent. Salvini hat die unerfahrene und konzeptlose Truppe an die Wand gespielt, ja am Nasenring vorgeführt und sich als der starke Mann Italiens etabliert. 

Ihren Erfolg verdankt die Salvini-Lega vor allem der seit 20 Jahren andauernden Wirtschaftsstagnation Italiens. In der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone leidet ein Drittel der Bevölkerung unter sozialen Nöten. Bei gesamtstaatlichen elf Prozent betragen die Arbeitslosigkeit im Süden 18 und die Jugendarbeitslosigkeit bis zu 50 Prozent. Jährlich gehen 150.000 junge Italiener auf Arbeitssuche in andere EU-Länder. Fast die Hälfte der italienischen Familien kann sich keinen Urlaub leisten, 70 Prozent keine Ersparnisse zur Seite legen, 15 Prozent können weder ihre Wohnung angemessen heizen noch jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder ein vegetarisches Äquivalent essen. Kafkaeske Bürokratie und grassierende Korruption haben bei der Gesundheitsversorgung, den öffentlichen Dienstleistungen, der Justiz und Infrastruktur teilweise Dritte-Welt-Zustände zur Folge. 
 

Die soziale Rechte

 
Der dem Partito Democratico nahestehende Philosoph und ehemalige Bürgermeister von Venedig, Massimo Cacciari, bezeichnet im Interview die Salvini-Lega als die „soziale Rechte: Die heutige Lega besetzt in ihrer Sozialpolitik viele klassische Themen der Linken – Pensionen, Einkommen, Schutz des Arbeitsplatzes usw. Damit knüpft sie viel mehr an die Phrasen des Mussolini-Faschismus während seiner radikalen Phasen und während der Repubblica di Salò an. Heute sagt Salvini: Wenn wir das Diktat der EU ablehnen, werden wir für uns, im nationalen Rahmen, eine echt soziale Politik umsetzen. Das ist die Destra sociale, die neue soziale Rechte. 
Das stellt für die Linke ein kolossales Problem dar und ist heute die wirkliche Gefahr. Denn wenn man die traditionellen Themen der radikalen Rechten – den Nationalismus, die Xenophobie, streng konservative Positionen in Gesellschaftsfragen – mit einer starken sozialen Ausrichtung der Partei kombiniert, dann spricht man potenziell bis zu 80 Prozent der Bevölkerung an. (...) Die Linke würde dann zur Partei, die noch den Kampf um Demokratie, Menschenrechte, Pazifismus und für ein föderales Europa führen könnte, eine Linke der Bürgerrechte und moralischen Prinzipien, also maximal eine Zehn-Prozent-Partei. Das ist die Gefahr.“ 
 
 
Erstmals seit 1945 verweigerte mit Salvini ein Innenminister der Republik die Teilnahme an den Gedenkzeremonien des staatlichen Feiertages zur Befreiung Italiens von Faschismus und Nazi-Besatzung. Seinem Beispiel folgten sämtliche Minister, Gouverneure, Bürgermeister und Parteifunktionäre der Lega. Der in der Verfassung festgeschriebene Antifaschismus und somit der demokratische Nachkriegskonsens wurden vom Vize-Regierungschef als obsolet erklärt: „Am 25. April werden wieder die Faschisten und die Antifaschisten marschieren, die Kommunisten, die Roten und die Schwarzen und die Blauen. Wir schreiben das Jahr 2019. Da interessiert mich das Derby zwischen Faschisten und Kommunisten wenig – mich interessiert die Zukunft.“ 
Neben namhaften Intellektuellen, Vertretern der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft hat jüngst Papst Franziskus in scharfem Ton vor einem weiteren Rechtsruck gewarnt: „Ich bin besorgt, denn wir hören wieder Reden, die an jene Hitlers von 1934 erinnern. ‚Wir zuerst, wir, wir!‘ (...) Der Souveränismus ist eine Übertreibung und führt immer zum Krieg.“ 
Bei sofortigen Neuwahlen wäre eine extrem rechte Regierung unter Salvini mit Forza-Italia-Chef Silvio Berlusconi und den neofaschistischen Fratelli d’Italia so gut wie fix. Salvinis Koalitionsbruch könnte aber auch zum fliegenden Wechsel der Fünf Sterne in eine Regierung mit dem Partito Democratico führen. Ein gefährliches Manöver, sagen die Gegner. Salvini könnte sich als Opfer einer Palastintrige gerieren und seinen Popularitäts-Höhenflug fortsetzen.
Ob sofort oder in näherer Zukunft – für die EU wäre der harte Konfrontationskurs eines putin- freundlichen Salvini-Italiens nach dem Brexit der nächste folgenschwere Schlag. 
 
 
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Hans Drumbl Sat, 08/24/2019 - 19:06

Conte hat ausgesprochen, was er in den Monaten als Regierungschef an Erfahrungen angesammelt hat. Es reicht, um seinen Gegner ein für alle Mal aus dem Kreis der seriösen, akzeptablen Politiker auszuschließen. Wer die Grimassen Salvinis während der Rede Contes gesehen hat und wer die Replik Salvinis unter dem Gesichtspunkt institutioneller und sprachlicher Konventionen, auch der Würde, beurteilt, wird sich sagen: Nach Strache die zweite Demaskierung eines Populisten.
Salvini hat sich entblößt und alle haben dabei zugeschaut. Das kann er nicht rückgängig machen. Er hat eigentlich nicht sein Gesicht verloren, sondern die Maske, derer er sich bediente, um Erfolg zu haben. Der souveräne Spieler in seiner gewohnten Maske steht plötzlich ohne Maske da. Das ist genau der Fall, von dem Büchner in seinem Drama „Dantons Tod“ spricht: LACROIX: Und Collot schrie wie besessen, man müsse die Masken abreißen. DANTON: Da werden die Gesichter mitgehen.

Sat, 08/24/2019 - 19:06 Permalink
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19 amet Sat, 08/24/2019 - 20:21

Ich erinnere mich noch an das grölen des Salvini auf dem Bierfest: Che puzza, arrivano i napoletani , scappano anche i cani u.s.w. Und dann gibt es noch Idioten in Süditalien die so eine Figur wählen. Die Dummheit stirbt wahrlich nie aus.

Sat, 08/24/2019 - 20:21 Permalink
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Elisabeth Garber Wed, 08/28/2019 - 22:43

Das findet man heute so um diese Zeit auf Salvinis Twitterseite...XY Antwort an @matteosalvinimi
La prossima volta invece di far cadere il Governo, magari usa il cellulare e chiarisci le tue idee, non ci sarebbe stato tutto sto casino. Siamo nel 2019.

Ist das ein Salvinianer oder ein Kritiker? Ich befürchte fast ein Salvinianer - wegen '...magari usa il cellulare e ...'

Wed, 08/28/2019 - 22:43 Permalink