Chronicle | Medien

Die Falschmeldung

Der Gerichtsfall Stein an Stein ist ein Musterbeispiel wie unseriös in Südtirol nur all zu oft Gerichtsberichterstattung gemacht wird.

Das Urteil im Stein an Stein Prozess gegen Maximilian Rainer fällt am 10. November 2014. So steht es am Mittwoch in drei Südtiroler Tageszeitungen, in den Online-Medien und so meldet es die RAI Südtirol im Radio und im Fernsehen.
Würden Sie glauben, wenn jetzt ein kleines Medium – wie es salto.bz ist – behauptet, dass das nicht stimmt? Natürlich nicht. Wie können sich alle Südtiroler Medien so irren? Das ist unmöglich.
In Wirklichkeit ist es aber so. Denn das Urteil gegen Maximilian Rainer fällt nämlich nicht am 10, sondern am 12. November 2014. So jedenfalls haben es das dreiköpfige Richterkollegium, die Staatsanwaltschaft, Rainers-Verteidigung und die Anwältin der Nebenkläger am Dienstag-Nachmittag im großen Verhandlungssaal des Bozner Landesgerichts vereinbart.
Die Vorsitzende Richterin Carla Scheidle legte für den Prozess gegen den ehemaligen SEL-Generaldirektor Maximilian Rainer vier weitere Verhandlungstage fest. Am 8. Oktober werden die Prozessparteien noch die letzten Dokumente hinterlegen können. Am 15. Oktober sollen Oberstaatsanwalt Guido Rispoli und die Nebenkläger, das sind die Anwälte der SEL, ihre Plädoyers halten. Am 7. November wird Rainers Anwalt Carlo Bertacchi sein Plädoyer halten. Am 12. November wollen die Prozessparteien replizieren. Für diesen Tag ist dann auch das Urteil angesetzt.
Natürlich werden Sie jetzt sagen, ein falsches Datum ist doch kein Beinbruch. Zudem ist Besserwisserei immer unsympathisch.
Doch es geht hier leider um mehr. Es geht darum, wie man in Südtirol (Gerichts)-Berichterstattung betreibt. Wie Meldungen und Nachrichten aus dem Justizpalast leider nur all zu oft zustande bzw. nicht zustande kommen. Und es geht um eine nicht nur in Südtirol grassierende Unart des modernen Journalismus.

Markenzeichen Abschreiben

Als kritischer Leser oder Leserin glauben Sie natürlich immer noch nicht, dass alle Südtiroler Medien eine Falschmeldung lancieren. Das ist doch unmöglich, werden Sie sagen.
Verständlicher wird es wenn man weiß, dass keiner und keine dieser Journalisten, die über den Stein an Stein-Prozess berichten am Dienstag im Gerichtssaal anwesend waren. Die Verhandlung verfolgten nur der Autor dieser Zeilen, ein Fotograf und kurzzeitig eine Kollegin eines Privatsenders. Dieser Zustand ist dabei durchaus keine Ausnahme.
Diese Tatsache soll kein Vorwurf sein. Durch die Sparmaßnahmen in Medien sind auch die Gerichtsreporter einem besonderen Druck ausgesetzt. Sie müssen mehrere Verhandlungen gleichzeitig verfolgen und zusätzlich noch die sogenannte „schwarze Chronik“ betreuen. Das ist so aber nicht möglich. Deshalb haben sich die lokalen Gerichtsreporter medienübergreifend auf eine Arbeitsteilung geeinigt. Eine Arbeitsteilung, die organisatorisch vielleicht nötig, journalistisch aber mehr als bedenklich ist.
Ein Journalist oder eine Journalistin holt die Informationen ein und gibt sie dann an die Kollegen weiter. Meistens sind es Hintergrundgespräche mit dem Staatsanwalt oder mit der Verteidigung. Der Medienkonsument merkt davon kaum etwas.

Wahrheit dritter Hand?

Diese Methode führt dazu, dass die Berichtserstattung in den meisten Fällen in den lokalen Medien absolut gleichförmig verläuft. Vor allem aber festigt diese Art der Berichterstattung Wahrheiten, die über drei Ecken zustandekommen und nicht direkt.
Kann ich als Journalist mir von einem Verteidiger oder einem Staatsanwalt schildern lassen, was der Zeuge oder die Zeugin gesagt haben und dann darüber schreiben? Haben beide nicht einen subjektiven Blick auf das Geschehen? Ist es überhaupt redlich über Zeugenaussagen zu schreiben ohne anwesend zu sein. Dem Leser und der Leserin, das aber vorzugaukeln.
Wenn alle Medien dasselbe melden, dann muss es stimmen. Das denkt doch jeder. Die Korrektur einer Falschmeldung ist so aber kaum mehr möglich.
Solange es um ein Datum geht, passiert nicht viel. Aber vor Gericht geht es meistens, um menschliche Existenzen, um Freiheit oder Haft und um Schuld oder Unschuld. Nuancen in der Berichtserstattung können hier unwiderrufliche Schäden anrichten. Der Betroffene kann sich gegen die Mauer der freiwillig gleichgeschalteten Presse kaum durchsetzen.
Im Fall des Stein an Stein-Prozesses hat sich jemand um zwei Tage vertan. Aus dem Fehler machen Südtiroler Medien einen Tag später eine unverrückbare Tatsache.
Man muss jetzt fragen, wie oft sich die Medien hier vertun. Und sich die Realität und die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal um zwei Tage unterscheiden.